Denkmalgeschütztes Dach mit neuem Entwässerungskonzept

Flachdachsanierung und -entwässerung des Historischen Museums Am Hohen Ufer in Hannover

Bei der Dachsanierung des Historischen Museums Hannover trafen Denkmalschutzvorgaben auf Flachdachrichtlinien und DIN-Normen. Die alten Dachabläufe für die Hauptentwässerung stattete man mit Sanierungsgullys aus. Bei der Notentwässerung setzte man auf eine Speierlösung mit gestaffelter Attika.

Im Historischen Museum am Hohen Ufer in Hannover finden sich Exponate zur Geschichte der Stadt Hannover und des Landes Niedersachsen. Geschichte ist aber nicht nur in der Ausstellung versammelt, sondern auch im Gebäude. Als der Architekt Dieter Oesterlen den Museumsbau plante, integrierte er dabei den Beginenturm, den letzten noch erhaltenen Stadtturm, und einen Abschnitt der alten Stadtmauer. Sie wurden Teil des dreistöckigen Gebäudes, das um einen fünfeckigen Innenhof gebaut ist. Eröffnet wurde das Museum 1966.

Altes Dach fast ohne Gefälle

Das dreigeschossige Gebäude hat ein durchgängiges, rund 2620 m² großes Flachdach mit vier Sheddächern. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Dach immer wieder repariert, aber nie vollständig saniert. Der Architekt Willi Reichert sagt über die Herausforderungen, die bei der Sanierung des denkmalgeschützten Bauwerks zusammenkamen: „Es gab erhebliche Mängel bei Dichtigkeit, Wasserableitung, Wärmeschutz, Oberflächenschutz, Absturzsicherung und Blitzschutz. Diese Mängel sollten mit der Dachsanierung unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes behoben werden. Der Denkmalschutz hatte absolute Priorität.“

Das alte Flachdach, das undicht und mit einer nur 4 cm dicken Wärmedämmung versehen war, musste komplett erneuert werden. Das Gefälle war weder ausreichend angelegt noch technisch einwandfrei gebaut. Bei Regen bekamen einige Gullys viel Wasser, sodass sie es nicht abführen konnten, und andere so gut wie gar keins. In vielen Bereichen gab es quasi kein Gefälle. Das Dach war eher ein klassisches Flachdach, auf dem sich das Wasser anstaute. Es wurde ersetzt durch eine Gefällewärmedämmung, die das Wasser gezielt zu den Abläufen führt – mit zwei Prozent Gefälle. Das Dach wurde mit grauen EPS-Dämmplatten „LambdaRoof 031“ von Vedag gedämmt.

Die Position der Altgullys blieb bei der Sanierung erhalten. Bei dem Versuch, die Bestandsgullys aus der Betondecke zu stemmen, stießen die Dachdecker aber schon nach 3 cm auf die tragende Bewehrung der Decke. Obwohl die gesamte Decke nur 6 cm dick ist, war dort noch ein Teil der Gebäudeheizung untergebracht. Die alten Abläufe waren in den Grundsäulen des Gebäudes einbetoniert. Sie konnten nicht aus der dünnen Decke heraus genommen werden, da die Bewehrung im Bereich der Stützen sehr engmaschig verlegt war. Ein Austausch der Gullys hätte zu einer Schwächung der Bewehrung und somit zu einer statischen Belastung des Gebäudes geführt.

Die gesamte Hauptentwässerung läuft über Fallrohre, die „unsichtbar“ in der Mitte der Stützen der Innenräume liegen. Bis auf einen neuen Gully an der einzigen Stelle, die den Zugang zu einer Fallleitung ermöglichte, mussten die alten Abläufe genutzt werden. Sie wurden sorgfältig gereinigt, mit einem neuen Dichtring und dem „SitaSani“-Topfsanierer versehen. Dieser Aufbau wurde dann nach außen verklebt. Eine fachgerechte Sanierung der Altgullys war dabei unmöglich, da sie nach unten halb rund zulaufen. Um die halbrunden Gullys rückstausicher anzubinden, war Kreativität gefragt – und so entwickelte man die Idee mit der „Opferplatte“.

Wasserdicht abgeschottet

Die letzte Wärmedämmplatte, die den jeweiligen Altgully umgibt, wurde zur „Opferplatte“ erklärt. Die 1 m² große Platte, die dort verbaut ist, wurde zu allen Seiten wasserdicht abgeschottet und erst dann in die Dachabdichtung eingebunden. Die Dämmplatte wurde mit der kaltselbstklebenden Elastomerbitumenbahn „Vedatop SU“ allseitig umhüllt und verklebt. Wenn das Wasser in den Fallleitungen ansteigen und durch die Gullys auf das Dach drücken sollte, würde schlimmstenfalls diese Platte durchnässt werden, aber nicht die gesamte, neu verlegte Wärmedämmung des Flachdachs.

Vorgabe ist, dass interne Entwässerungen – unabhängig von Flachdachabdichtungen oder Steildachdeckungen – grundsätzlich druckfest und rückstausicher auszuführen sind. Das heißt: Wenn man etwa bei starken Niederschlägen das Wasser aus den Grundleitungen nicht wegbekommt, muss das Wasser in der senkrechten Fallleitung anstauen können. Im Zweifel muss es sogar bis auf die Dachfläche anstauen können, ohne dass das Gebäude Schaden nimmt. Das ist bei einem Trennsystem, bei dem man auf der einen Seite Regenfallleitungen und auf der anderen Seite Schmutzwasserleitungen hat, eher möglich als bei einem Mischsystem. Doch das Historische Museum in Hannover hat eine Mischentwässerung. Die ist heute eigentlich nicht mehr erlaubt, bei diesem Gebäude war sie aber unter Ausnutzung des Bestandsschutzes zugelassen.

Notentwässerung: Speier statt Fallrohre

Der Berechnungsregen r(5,5) am Standort ist nach KOSTRA DWD-2000 mit 327,80 l/(s x ha) angegeben. ­Diese im Landesdurchschnitt leicht erhöhte Regenspende wird über die Hauptentwässerung mit 21 Freispiegelgullys fast vollständig abgeführt. Das eher seltene Ereignis eines Jahrhundertregens fängt eine Notentwässerung auf.

Auch bei der Notentwässerung galt es, eine kreative Lösung zu finden, um die Auflagen des Denkmalschutzes zu erfüllen. Bisher lief der Regen, den die Gullys nicht schlucken konnten, einfach über die 3 cm hohe Dachkante. Fallrohre an der Fassade waren bei der Sanierung aus Denkmalschutzgründen nicht erlaubt. Also wurde eine Speierlösung erwogen. Für die war allerdings eine Attika erforderlich. Der neue, wesentlich höhere Wärmedämmaufbau und der Wunsch nach einem Gründach kamen dieser Planung entgegen. „Damit die neue Aufkantung von unten nicht sichtbar ist, wurde in Abstimmung mit dem Denkmalschutz eine gestaffelte Attika geplant. Von unten sieht man nur die denkmalgeschützte 3 cm hohe Dachkante. Je weiter man zurückgeht, umso mehr sieht man von der neuen Aufkantung. Das war ein Kompromiss. Der wurde vorher mit Dummies ausprobiert, bis die Denkmalpflege „Stop“ sagte“, erläutert  Architekt Willi Reichert. Das Problem dabei war: Je weiter man mit der zweiten Kante zurückging, umso mehr Wasser lief nach unten ab. Mit der Platzierung der Attika 70 cm von der Dachkante entfernt wurde ein Kompromiss zwischen Denkmalpflege und Praxisanforderungen gefunden. Über eine mit vorbewittertem Zinkblech verkleidete Dachkante läuft das Wasser jetzt bei Jahrhundertregen ab.

Angeschlossen an ein 125 DN-Fallrohr erbringen „SitaTurbo“-Attikagullys mit rechteckigem Einlauftopf eine Ablaufleistung von bis zu 22 Litern pro Sekunde. Da bei der Sanierung des Museums keine Fallrohre eingesetzt werden durften, musste mit der reduzierten Speierleistung gerechnet werden. Um den Jahrhundertregen r(5,100) von 651,90 l/(s x ha) sicher abzuführen, wurden 40 Attikagullys berechnet und eingebaut. Als Basis für den Einbau der Notentwässerungsgullys dienen Überhöhungen aus Dämmstoff, die auf die Vorgaben des Statikers abgestimmt sind. Zur Sicherheit wurden die Attikagullys minimal tiefer gesetzt als in der Anstauhöhenberechnung des Statikers vorgegeben. So ist sichergestellt, dass sie etwas eher „anspringen“ und das Dach berechnungstechnisch auf der sicheren Seite ist. Die „SitaAttika Turbo“-Gullys, die gemäß den Flachdachrichtlinien etwa 50 cm von der Gesimsaufkantung eingebaut wurden, speien jetzt zuerst frei auf die Zinkabdeckung und dann in die Tiefe auf die Straße. Zur Entspannung bei stärkeren Regenereignissen trägt eine extensive Dachbegrünung mit Retentionseffekt bei. Um die Berechnungsregenspende abzuleiten, wurde ein Gründach mit Faktor 0,5 realisiert: 50 Prozent des Regens der normalen Regenspende werden durch das Gründach zurückgehalten und fließen zeitverzögert ab.

Autorin

Ira Böhland ist Außendienstberaterin und arbeitet in der Handelsvertretung der Sita Bauelemente GmbH in Rheda-Wiedenbrück.

Bautafel (Auswahl) 

Projekt Sanierung des Flachdachs des Historischen Museums, Am Hohen Ufer, Hannover,

Bauherr Landeshauptstadt Hannover, FB Gebäudemanagement, 30159 Hannover

Architekt SR Architekten BDA, Dipl.-Ing. Willi Reichert, 30966 Hemmingen-Ohlendorf,

www.sr-architekten-bda.de

Dachdecker Heiko Bölling Dachdeckermeister GmbH, 30880 Laatzen

Entwässerung „SitaCompact“ senkrecht DN 70, „SitaSani Topfsanierung DN 165“, „SitaTurbo“ als Speier, Sita Bauelemente GmbH, 33378 Rheda-Wiedenbrück, www.sita-bauelemente.de

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