Zimmerer und Dachdecker auf der Walz: von einem Ort zum anderen

Eine gehörige Portion Mut muss man mitbringen für dieses letzte Abenteuer. Drei Jahre und einen Tag sind die Zimmerer- und Dachdeckergesellen auf der Walz. Zugehörig in Gesellenvereinigungen oder als Freireisende sind die Männer (und auch Frauen) oft in vielen Ländern unterwegs – eine geschichtliche Einführung.

Die Geschichte des Handwerks und die zünftige Wanderschaft hat eine sehr lange Tradition. Mit der Entstehung von Bauhütten im Mittelalter entwickelte sich für die Gesellen in den Zunftstatuten die Vorschrift, nach der Lehrzeit und der Freisprechung durch den Meister, eine mehrjährige Wanderschaft anzuschließen. So wanderten ganze Bauhandwerksgruppen oder einzelne Gesellen von Baustelle zu Baustelle (oft von einem Kirchenbauprojekt zum anderen) innerhalb Deutschlands oder sogar in ganz Europa. Die zünftige Wanderschaft gab es allerdings bis ins 19. Jahrhundert bei allen Handwerkern, zum Beispiel auch bei Buchdruckern und Friseuren.

 

Jedes Gewerk hatte seine eigene Zunft

Die einzelnen Zünfte waren gewerkbezogen. So gab es Handwerkerzünfte von Zimmerleuten, Maurern oder Dachdeckern, aber auch von Schneidern, Schmieden und Schustern. Sie bildeten feste Gemeinschaften und gaben sich jeweils eine Zunftordnung mit verschiedenen Artikeln. In diesen Ordnungen waren zum Beispiel die Entlohnung, die Arbeitszeit oder die ­Aus­bildungsdauer zum Gesellen geregelt. Es gab Meisterzünfte aus denen später die heutigen Innungen hervorgingen; aus den Gesellenzünften entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gewerkschaften und die Schächte. Die Wanderschaft war damals und ist heute sozusagen die „Hochschule des Handwerks“. Dabei entstanden von Zunft zu Zunft unterschiedliche Sitten und Bräuche. Sie äußerten sich unter anderem in der Entbietung eines bestimmten Grußes oder im Tragen von bestimmter Arbeitskleidung. Wenn ein Geselle auf die Wanderschaft ging, erkannte man bereits an seiner Kluft, zu welcher Gilde er gehörte. Im Laufe der Zeit entstanden unter den Wandergesellen verschiedene Lieder, Trinksprüche oder Verse für die Vorsprache bei einem Meister, bei dem man Arbeit suchte.

 

Das Auf und Ab der Wanderschaftsbewegung

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert verlor die Tradition der zünftigen Wanderschaft immer mehr an Bedeutung. Unter Bismarck wurde der Wanderzwang aufgehoben. Die Anzahl der wandernden Gesellen unterlag im 20. Jahrhundert großen Schwankungen. Während der Weltkriege waren fast keine Wandergesellen unterwegs. Die Schächte (die Vereinigungen der Wandergesellen) waren im Dritten Reich durch die Nationalsozialisten verboten. Jedoch waren in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts etwa 1500 und in den Fünfzigerjahren rund 1000 Gesellen auf Wanderschaft. In der DDR war dieser Brauch von staatlicher Seite allerdings nicht vorgesehen und damit nicht existent. Hier erfuhr die Gesellenwanderung erst nach der Wiedervereinigung – mit offenen Grenzen und einer vermehrten Reiselust – eine Renaissance.

In Westdeutschland allerdings brachte der wachsende Wohlstand zur Wirtschaftswunderzeit fast den Garaus für die Reisenden, wohl hatte man es nicht mehr nötig, für drei Jahre auf die Straße zu gehen. Das 1970er Jahre-Bild der Straße war somit ohne die Handwerksburschen mit Stock und Hut geprägt.

Heute reisen – nach Schätzungen – wieder etwa 400 fremdgeschriebene Handwerker aller Schächte durch Europa und die Welt. Zimmerer und Dachdecker bilden mit rund 100 Wandergesellen eine der größten Gruppen. 

Das hört sich nach nicht viel an, doch die Zahl steigt, denn in den letzten Jahrzehnten fand die Tradition wieder mehr Anhänger und heute sieht man wieder öfter zünftige Gesellen auf der Wanderschaft. Für die Erhaltung dieser Tradition machen sich verschiedene Gesellenvereinigungen stark. So gibt es die „Rolandsbrüder“, die „Freiheitsbrüder“, die „Freien Vogtländer“, die „Rechtschaffen Fremden Zimmerleute und Maurer“, den „Freien Begegnungsschacht“ und „Axt und Kelle“. Nicht als Schacht organisiert sind die „Freireisenden“. Im Freien Begegnungsschacht, bei den Freireisenden und auch bei Axt und Kelle werden auch Handwerker anderer Berufe als den Bauberufen und auch Frauen aufgenommen. Die vier erstgenannten Schächte sind in der C.C.E.G. (Vereinigung der europäischen Gesellenzünfte) organisiert. Die C.C.E.G. hat beratenden Status beim Europarat. In Deutschland finden an verschiedenen Orten zünftige Gesellentreffen statt, so zum Beispiel das „Offene Gesellentreffen“ in Blankenburg / Harz am 9. September 2012 im Herbergsmuseum. In Rumänien gibt es die „Gesellenherberge Hermannstadt“.



Autoren


Lutz Reinboth ist Bauingenieur und schreibt regelmäßig für die Zeitschriften dach+holzbau und bauhandwerk, Gábor Wallrabenstein ist freier Fotograf und lebt in Bielefeld.

Kontaktadressen rund um das Thema Wandergesellen

www.cceg.eu

www.blankenburg.de

www.gesellenherbergehermannstadt.de

www.tippelei.de

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