Pyramidenartiges Reetdach in Berlin
Auf der Suche nach einem Reetdachdeckerbetrieb für ihr Kulturhaus am Flussbad-Campus in Berlin-Lichtenberg wurde die Bauherrschaft in Köpenick fündig: Reetdachdecker Marco Weichert, der sich 2004 mit seinem Reetdachbetrieb selbständig gemacht hat, führte das Projekt gemeinsam mit seinem Team aus.
„The Reethaus“ nennt sich ein Neubauprojekt in der Rummelsburger Bucht im östlichen Berliner Bezirk Lichtenberg. Zusammen mit weiteren Gebäuden bildet es den neu entstandenen Flussbad-Campus. Dieser umfasst Flächen für Ausstellungen, ein Hotel, ein Restaurant und einen unterirdischen Veranstaltungsraum mit einem auffälligen, mit Reet eingedecktem Dach. Das markante Veranstaltungsgebäude, das den Namen „Reethaus“ trägt, besteht oberirdisch fast nur aus einem pyramidenartigen Reetdach und dient mit seinem innenliegenden 360°-Raumklangsystem als Kulturort für künstlerische Darbietungen, Installationen und Konzerte.
Durch das Glasdach in der Pyramidenkuppel fällt Tageslicht in den vollständig von der Reeteindeckung umhüllten Raum
Foto: steffenharmuth.com
Das Spezielle an dem Gebäude sind die Architektur und die Materialien, die auf einen Entwurf der österreichischen Architektin Monika Gogl zurückgehen. Das im Grundriss polygonale Gebäude liegt in weiten Teilen etwa 1,5 m unterhalb des Geländeniveaus. Zur Spree hin öffnet sich das Gebäude über seine gesamte Breite, verfügt insgesamt über eine etwa 5 m hohe Dachkuppel sowie zwei Lichthöfe. Durch ein Oberlicht in der Mitte des Sparrendachstuhls fällt natürliches Licht in das Gebäude, durch ein umlaufendes Lichtband im Erdgeschoss kann man das Reetdach von unten betrachten. Die Wände des Veranstaltungsraumes bestehen aus Stahlbeton, der auch im weiteren Ausbau sichtbar geblieben ist.
Reetdach mit der Form eines Pyramidenstumpfs
Die Kuppel des Veranstaltungsgebäudes wurde von der Holzbau Eder GmbH aus Bad Feilnbach in Holzbauweise errichtet und erhielt eine aufwendige Reeteindeckung. Die Dachkuppel hat die Form eines Pyramidenstumpfs mit einer horizontalen Grundfläche und einer schrägen Deckfläche, die jeweils viereckig polygonal sind. Markant sind die zwei steilen Dachflächen mit einer Neigung von 75° bis 80° und die zwei flacheren Dachflächen (Neigung 41° bis 45°). Die äußeren Kantenlängen der Grundfläche betragen 13,15 m / 12,95 m / 11,30 m und 12,90 m. Die vier oberen Eckpunkte der Dachkuppel befinden sich auf unterschiedlichen Höhen.
Das Tragwerk der Kuppel wurde aus Brettschichtholz und die Dachflächen aus vorgefertigten Modulen hergestellt. Diese setzen sich zusammen aus Sparren mit einem Achsabstand von einem Meter, einem Rähm oben und einer Schwelle unten sowie OSB- und Schalldämmplatten, welche die Konstruktion aussteifen. Die Dachflächen-Module wurden in umlaufende Stahlwinkel eingestellt, die auf der Oberseite der Stahlbetonwände befestigt wurden und miteinander verbunden sind. Im Anschlussbereich der beiden flacheren Deckenflächen wurde ein zusätzlicher Gratsparren vorgesehen.
Der äußere Dachaufbau besteht aus OSB- und Schalldämmplatten („Phonestar Plus Tri“ von der Wolf Bavaria GmbH) und ist komplett schwingentkoppelt aufgebracht. Über diesen Platten verlegten die Dachdecker zunächst Unterdeckbahnen für den Witterungsschutz und dann eine Holzunterkonstruktion für die Reeteindeckung. Den Innenbereich der Kuppel verkleideten die Mitarbeiter von Weichert Dachbau mit einer vertikal verlaufenden Lattung aus gedämpftem Fichtenholz. Dahinter verbirgt sich das Soundsystem des Raumes. „Die Herausforderung bestand darin, die von der Firma Holzbau Eder auf den Millimeter genau geplante Anordnung der Lattung auch so akkurat anzubringen“, erklärt Marco Weichert, Geschäftsführer von Weichert Dachbau.
Verlegung mit Stangendraht und Schraubbindung
Auf den Dachflächen des Gebäudes verlegte das Team von Weichert Dachbau handgeschnittene, türkische Reetbunde. Das Reet wurde Schicht für Schicht von der Traufe bis zum Oberlicht verlegt. Dabei legten die Handwerker die Bunde erst auf die Decklage auf und zogen sie dann mit 4,5 mm starken, verzinkten und parallel zur Dachlattung verlaufenden Stangendrähten (dem sogenannten „Schachtdraht“) an die Lattung heran. Anschließend schraubten sie einen 1 mm starken Chrom-Nickeldraht, befestigt an einer Edelstahlschraube, per Akkuschrauber durch die etwa 30 cm starke Deckschicht in die Dachlatte und verdrillten ihn über dem Stangendraht – die sogenannte „Schraubbindung“. Über den so befestigten Stangendraht wurde die Reetschicht auf die Lattung gepresst.
Mit verzinkten Stangendrähten, die parallel zur Lattung verlaufen, wird das Reet an die Dachlatte gezogen. Anschließend wird ein Bindedraht, befestigt an einer Schraube, durch die Reetschicht in die Dachlatte geschraubt und über dem Stangendraht verdrillt
Foto: steffenharmuth.com
Bei einem Reetdach in normaler Steillage wird jedes Bund in der Länge drei- bis viermal mit dem Bindedraht fixiert, an die Dachlatten gebunden und mit dem Klopfbrett in Form gebracht. Der Stangendraht liegt dann 15 bis 17 cm tief in der Mitte der Eindeckstärke (30 cm bis 35 cm) und wird jeweils mit der folgenden Decklage überdeckt. Durch die aufwendigen Holzbauarbeiten und die Dachform des Reetdachhauses in Berlin-Lichtenberg dauerte es in diesem Fall etwas länger bis zur Fertigstellung des Daches als sonst. Insgesamt mussten dabei 320 m² Dachfläche mit mehr als 4000 Bunden Reet eingedeckt werden.
Unterdeckbahnen und Brandschutzsystem
Als Unterdeckbahn kam die dunkelblaue „Majcoat SOB“ von Siga unterhalb der Reetdeckung zum Einsatz. Diese Bahn verfügt über eine integrierte Doppelklebezone für dauerhaft regensichere und winddichte Gebäudehüllen im Außenbereich. Sie klebt laut Hersteller dauerhaft und extrem stark bei Kälte sowie Hitze und ist dreilagig mit einer Funktionsschicht durch zwei Vliese geschützt. Die Unterspannbahn ist zudem schlagregensicher, dauerhaft diffusionsoffen sowie robust und reißfest, wodurch Schäden während der Bauphase vermieden werden.
Als Unterdeckbahnen wurden „Majcoat SOB“-Bahnen von Siga auf dem Dach verlegt. Darüber wurde die Unterkonstruktion für die Verlegung des Reets erstellt
Foto: steffenharmuth.com
Für den Brandschutz des Reetdaches wurde das Brandschutzsystem „Sepatec“ in das Dach integriert. Hierbei handelt es sich um ein patentiertes System für die Erstellung einer brandhemmenden Schicht in Reetdächern. Ein Glasfasergewebe, das erst bei Temperaturen über 800 °C schmilzt, wird dabei auf der Innenseite des Daches zwischen Dachsparren und Reetdeckung eingezogen. An den Traufkanten und am Dachfirst wird Steinwolle eingebracht, die Temperaturen über 1000 °C widersteht. Das „Sepatec“-System verhindert, dass sich Flammen im Brandfall über Hohlräume zwischen Reet und Dachsparren ausbreiten. So kann sich ein Brand nicht mehr auf der Innenseite des Daches ausbreiten, wie dies bei Reetdächern ohne Brandschutzsystem der Fall wäre (mehr über das Brandschutzsystem lesen Sie in Ausgabe 3/2025 der dach+holzbau, siehe hier ).
Besondere Herausforderungen
Mit dem handgeschnittenen Reet konnten die Flächen an den beiden flacheren Seiten des Daches sehr leicht eingedeckt werden. Schwieriger war es an den steilen Dachseiten, weil die Reet-Halme aufgrund ihrer Länge dafür weniger geeignet waren und über die Drähte aufwendiger fixiert werden mussten. Gefordert war eine gewisse Scharfkantigkeit, was bedeutet, dass das Reet in diesen Bereichen explizit herausgebildet werden musste. Dafür war eine besonders akkurate und saubere Arbeit gefordert, die viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung erforderte und mit den gewünschten gröberen Reet-Halmen schwerer zu erstellen war. Die zweite Besonderheit lag in der besonders dicken Traufe, in die das Reet mit bis zu 70 cm Stärke eingedeckt werden musste. Das bedeutete einen weitaus größeren Materialaufwand. Wegen der großen Menge an Reet war es ein enormer Aufwand, den stabilen und langlebigen Halt der Eindeckung hinzubekommen.
Wegen der großen Menge an Reet war der Aufwand hoch, einen stabilen Halt des Materials an der Traufe zu erzielen
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Oben in der Mitte am Glasdach sollte möglichst kein Draht sichtbar sein – das ist ungewöhnlich im Vergleich zu normalen Reetdächern und bedurfte einiger Finesse bei der Ausführung. Die schwierigsten Bereiche des Daches befanden sich laut Marco Weichert in den steilen Ecken der vertikalen Dachflächen. Hier konnte mit einer speziellen Einlattung vorab das gewünschte Ergebnis erzielt werden. Ebenfalls herausfordernd war die Gestaltung des Firstes, in den ein großes Glasdachfenster eingebaut wurde und der ebenfalls mit Reet eingedeckt werden sollte. In diesem Bereich, dem Abschluss des Daches, musste eine akkurat gerade Linie des Reets herausgearbeitet werden und es durften ebenfalls keine Bindedrähte sichtbar sein.
An den steilen Dachseiten war die Reeteindeckung besonders anspruchsvoll, weil die Reet-Halme hier aufwendiger fixiert werden mussten
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Ulrich Krumstroh ist freier Fachjournalist und Inhaber der Presseagentur Elbfaktor in Trittau. Natali Weichert arbeitet in der Geschäftsleitung des Reetdach-Fachbetriebs Weichert Dachbau GmbH in Berlin.
Bautafel (Auswahl)
Projekt Neubau des Kultur- und Veranstaltungszentrums „The Reethaus”
auf dem Flussbad Campus in Berlin-Lichtenberg
Bauherr Claus Sendlinger, Berlin
Architektur Monika Gogl, www.gogl-architekten.at
Reetdach Weichert Dachbau GmbH, Berlin, www.reetdach-berlin.de
Fertigstellung 2023