Mit Holz zu neuen Ufern
Holztechnologie lotet Grenzen im Brückenbau aus
Seit Sommer 2017 gibt es eine neue, fast 100 m lange Radwegbrücke in Neckartenzlingen. Durch die Bauweise mit gestuft verklebten Blockträgern aus Brettschichtholz wurden die Grenzen des Ingenieurholzbaus neu ausgelotet. Hier zeigt sich erneut das Potential des Baustoffes Holz.
Die neue Neckarüberquerung für Radfahrer und Fußgänger war seit langem Wunsch der Gemeinde Neckartenzlingen. Vorrangiges Ziel war es, die Linienführung des Neckartalradweges zu optimieren. Hinzu kam, dass ein bestehender Radweg über den Fluss viel zu schmal für heutige Anforderungen ist und unmittelbar an der Straße entlangführt. Mit drei Metern Breite bietet die neue autofreie Brücke nun ausreichend Platz.
Die Ortschaft im naturnahen Neckartal liegt unmittelbar an dem inzwischen vielgenutzten Neckartalradweg. Der führte jedoch bisher nur über eine stark befahrene Autobrücke von der Bundesstraße in den Ortskern. Die alte Bestandsbrücke verfügt neben zwei Autofahrspuren lediglich über einen 1,5 m breiten Geh- und Radweg und eine gefährliche Einmündungssituation für Radler. Nachdem man sich im März 2016 zu der Planungsbeauftragung entschlossen hatte, wurden zwei verschiedene Varianten untersucht.
Entwurfsgedanke
Der Bauort der Brücke wurde frühzeitig im südlichen Bereich der alten Bestandsbrücke lokalisiert. Da der Neckar im Bereich der Brücke eine Kurve beschreibt, erschien es für die harmonische Wegeführung sinnvoll, eine im Grundriss S-förmige Geometrie zu wählen.
Für das seitliche Erscheinungsbild verglich man die Variante einer abgespannten Pylonbrücke mit zwei Masten und eine Variante eines untenliegenden Durchlaufträgers in Blockträgerbauweise. Sowohl aus gestalterischen Gründen, aber auch wegen Aspekten des Vogelschutzes entschied man sich rasch für die kompakte zweite Variante ohne aufragende Bauteile. Die Blockträgervariante erzeugt darüber hinaus mit einfachen Mitteln eine gestalterische Besonderheit, die durch den gestuften und gebogenen Blockträger aus Brettschichtholz noch zusätzlich erzeugt wird.
Statisches System
Die Basis der Konstruktion ist durch einen einfachen durchlaufenden dreifeldrigen Gerberträger definiert, der im Bereich der großen Stützmomente über den Pfeilern in der Querschnittshöhe angepasst ist. Die gestalterisch markante Querschnittsaufweitung orientiert sich mit der gestuften Ausformung an der Statik und dem optimierten Produktionsprozess von blockverleimten Holzträgern. Denn für die Herstellung werden Brettschichtholzträger mit abnehmendem Querschnitt einfach liegend aufeinander geleimt.
Eine Anlehnung an historische Holz-Kragarmbrücken wurde hierbei durchaus angestrebt. Bei diesem Brückentyp sind – Blattfedern ähnelnd – verschiedene Tragglieder am Auflagerpunkt additiv aufgeschichtet. Zum Ende des jeweiligen Kragarms reduziert sich die Anzahl der Tragglieder, so dass gestalterisch eine Verschlankung zur Feldmitte hin resultiert.
Materialwahl – nach traditionellem Vorbild
Für das Bauwerk wurde bewusst der Werkstoff Holz ausgewählt. Das Einfügen in die naturnahe Umgebung stellte dabei eines der wichtigsten Kriterien dar. Doch gerade die anspruchsvolle Geometrie durch die zweifach gebogenen Brückenelemente legte den Werkstoff nahe. Wirtschaftliches Bauen ist durch kompakt verleimte Brettschichtholz-Konstruktionen gut realisierbar.
Nicht zuletzt der historische Kontext des Baufeldes spricht einmal mehr für Holz: Am Brückenstandort wurde in früheren Jahrhunderten Holz aus dem Schwarzwald in den Neckar zum Flößen verladen. Von dort gelangte das Holz dann flussabwärts in den europaweiten Holzhandel und stellte eine Lebensgrundlage von Neckartenzlingen dar. Das in Sichtweite befindliche Hotel „zum Flößer“ erinnert noch an diese ortstypische Tradition.
Holzschutz
Die Betonplatten weisen Einzellängen von knapp 2 m auf, und eine Breite von 3,6 m (= Brückenbreite), so dass nur Querfugen entstehen. Da die Unterlüftungsebene eine Höhe von etwa 5 cm aufweist, können die Entwässerungsrinnen dort gut und optisch unauffällig platziert werden. Um dem seitlich angreifenden Schlagregen zu entgehen, dessen Fallwinkel normativ in DIN 68800 in Deutschland mit 30° zur Lotrechten angegeben wird, folgt die Tragstruktur dieser Vorgabe. Die Verjüngung der gestuften Blockträger orientiert sich an dieser 30° Linie, und ist durch den überkragenden Belag geschützt.
Geschützte Holzbauwerke können gemäß der Ablösebeträge-Verordnung des BMVI mit einer theoretischen Lebensdauer von 60 Jahren, gemäß einer Studie der deutschen Gesellschaft für Holzforschung sogar mit 80 Jahren angesetzt werden. Somit gewährleistet das konstruktive Holzschutzkonzept eine Gleichwertigkeit zu Stahlbetonbrücken und anderen Materialien. Ein chemischer Holzschutz ist bei diesem Holzschutzkonzept theoretisch nicht mehr erforderlich. Es wurde lediglich ein pilz- und bläuevorbeugender, feuchte- und schmutzabweisender Grundanstrich vorgesehen, der insbesondere bei der Montage eine Verunreinigung der Träger vermieden hat.
Leim- und Klebetechnologie
Grundvoraussetzung für den Gestaltungsansatz mit Holz ist die weit entwickelte moderne Holzleim- beziehungsweise Klebetechnologie. Gerade im Holzbau hat die Entwicklung leistungsfähiger Klebstoffe dazu geführt, dass Holz ein industrieller Hochleistungswerkstoff geworden ist. Mittels Keilzinkungstechnik und Schichtverleimung entstehen großformatige Brettschichtholzbinder mit über 45 m Einzellänge. Diese nahezu beliebig gebogenen Einzelbinder werden dann im Zuge einer weiteren Leimung zu so genannten Blöcken verklebt. Hierbei kann die Blockverklebung durchaus verdrillt und zweiachsig gebogen erfolgen. Dabei garantieren hochwertige Klebstoffe die tragende Füllung von produktionsbedingten Hobelschlägen und Hohlräumen von bis zu 5 mm.
Durch die Wahl von gestuften Blöcken statt eines schräg zugeschnittenen Querschnitts werden unnötige Verschnitte bei der Produktion vermieden und die Wirtschaftlichkeit erhöht.
Gute Ökobilanz
Landesweite Aufmerksamkeit
Das Land Baden-Württemberg hat sich die Stärkung der heimischen Holzwirtschaft und die Förderung solch nachhaltiger Holzbauwerke zum Ziel gesetzt. Peter Hauk, Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, war persönlich zur Montage der Brücke vor Ort, um sich ein eigenes Bild von der Konstruktion zu machen. „Die Klimaschutzwirkung von Holz aus nachhaltiger Waldwirtschaft ist unbestritten, und immer mehr Kommunen setzen auf die Verwendung unseres Holzes“, sagte er, „mit dem Bau dieser einmaligen Brücke betont Neckartenzlingen die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand auf diesem Sektor.“
Eine aufgeschlossene und zielorientierte Bauherrschaft machte ein derartiges Vorgehen erst möglich. Durch die Besichtigung von vorbildlichen älteren Bauwerken konnten positive Detaillösungen wie beispielsweise die Belagsausführung übertragen werden, um so eine dauerhafte und robuste Bauweise abzuleiten und Vertrauen bei den Gemeinderäten zu erzeugen.
Die Geschichte des zurückhaltend vertretenen Holzbrückenbaus in Deutschland ist nun durch die neuartige Neckartenzlinger Brücke um ein Kapitel reicher – doch es scheint, dass viele Geschichten noch nicht erzählt sind: Weitere Holzbrücken werden kommen.
AutorDipl. Ing. (FH) Frank Miebach ist Geschäftsführer des Ingenieurbüros Miebach in Lohmar.
Das konstruktive Holzschutzkonzept gewährleistet eine Gleichwertigkeit zu Stahlbetonbrücken und anderen Materialien
Die Möglichkeiten den Ingenieurholzbaus wurden konsequent neu ausgelotet
Gerberträger
Der Gerberträger oder Gelenkträger bezeichnet in der Statik einen Träger über mehrere Auflager, der so mit Gelenken versehen ist, dass er statisch bestimmt ist. Gerberträger-Brücken sind Auslegerbrücken. Der Träger ist nach dem deutschen Ingenieur Heinrich Gottfried Gerber (1832–1912) benannt, der ihn 1866 patentieren ließ. (Quelle: Wikipedia)
Torsionsmoment
In der technischen Mechanik wird ein Moment als Torsionsmoment bezeichnet, wenn ein damit belasteter Körper verdreht (= tordiert) wird. Die im Körper auftretenden mechanischen Spannungen, die dem Torsionsmoment das Gleichgewicht halten, werden Torsionsspannungen genannt.
Bautafel (Auswahl)
Projekt Holzbrücke zur Neckarquerung in Neckartenzlingen
Baujahr 2017, Bauzeit 7 Monate
Bauherr Gemeinde Neckartenzlingen
Bauwerksart Dreifeldrige Blockträgerbrücke als Durchlaufträger mit Gerbergelenken
Entwurf, Konzeption, Statik, Bauleitung Ingenieurbüro Miebach, 53797 Lohmar
Generalunternehmer Gottlob Brodbeck GmbH & Co. KG, 72555 Metzingen, www.g-brodbeck.de
Ausführung Holzbau Schaffitzel Holzindustrie GmbH+Co. KG, 74523 Schwäbisch Hall, www.schaf
fitzel.de
Abmessungen Länge 96,30 m, nutzbare Breite 3,0 m, Trägerhöhe 2,08 m
Spannweite 25,90 m / 44,50 m / 25,90 m
Konstruktion Haupttragwerk bestehend aus im Grundriss gebogenen und im Querschnitt sowie der Ansicht gestuft blockverleimten Brettschichtholz-Trägern. Geländer mit horizontalen Edelstahlseilen und Handlauf aus acetyliertem Brettschichtholz. Brückenbelag aus großformatigen, beschichteten Betonfertigteilen
Ökobilanz Verwendung von etwa 250 m3 Holz bindet etwa 250 Tonnen CO2