Freiformdach setzt neue Maßstäbe

Wisdome Stockholm, Tekniska Museet Stockholm

Der Bau des „Wisdome“, einer wissenschaftlichen Erlebnisarena am Nationalen Technischen Museum in Stockholm, lotet mit seinem wellenartigen Dach die Grenzen des bisher technisch Machbaren aus. Die gewölbte Dachkonstruktion besteht aus Fichten-Furnierschichtholz und ist mit Holzdübeln verbunden.

Der Neubau des „Wisdome“ in Stockholm wurde zwar noch nicht eingeweiht, wird aber schon jetzt als eines der wichtigsten Bauprojekte Schwedens gehandelt. Zum „Wisdome“ gehört eine spektakuläre Holzdach-konstruktion mit einer Fläche von 1325 m² und einem einzigartigen, gewölbten Dach, dem sogenannten „Main Roof“. Mit einem kraftvollen Schwung verbindet das freigeformte Holzdach die Innen- und Außenbereiche des Technischen Museums in Stockholm und schafft einen spektakulären Innenraum.

Entworfen wurde die freigeformte Überdachung vom schwedischen Architektenpaar Elding Oscarson in Zusammenarbeit mit dem norwegischen Bauingenieur Florian Kosche. Auf der Grundlage ihrer Entwürfe detaillierten die Holzbauspezialisten von Blumer Lehmann zusammen mit ihren Planungspartnern den Free-Form-Bau und sorgten vor Ort für die plangerechte Umsetzung.

Kuppelschale aus Brettsperrholz

Im Inneren der Erlebnisarena entsteht ein halbkugelförmiges Kuppeltheater mit einem Durchmesser von fast 22 m und rund zwölf Metern Höhe, der eigentliche „Wisdome“, der ein 3D-Kino mit 100 Sitzplätzen beherbergen wird. Unter seinem Dach werden die Besucher in Zukunft von 360-Grad-3D-Projektionen vollständig umhüllt – moderne Visualisierungstechniken schaffen hier Möglichkeiten für ein völlig neues Erleben von Technik und Wissenschaft. Die Kuppelschale des „Wisdome“ ist aus Brettsperrholz gefertigt. Der Kuppelbau wurde im schwedischen Werk von Stora Enso produziert und vor Ort unter einem Montagezelt aufgebaut. Auch für diesen Holzbau erfolgte die Detailplanung durch das Blumer Lehmann-Team in der Schweiz. Die Einweihung des neuen Museumsbaus „Wisdome“ in Stockholm mit dem spektakulären Dachtragwerk aus Holz ist für dieses Jahr anvisiert.

Dachkonstruktion aus Furnierschichtholz

Das Bauen mit Holz – vor allem mit den beiden Holzwerkstoffen Brettsperrholz (englisch: „CLT“ = Cross Laminated Timber) und Furnierschichtholz („LVL“ = Laminated Veneer Lumber) – war eine der Vorgaben im Architektenwettbewerb. Einer der Hauptpartner des Bauprojekts ist Stora Enso, eines der größten Forstunternehmen der Welt mit Sitz in Finnland und Schweden. Stora Enso stellt das gesamte Holzmaterial für das Projekt zur Verfügung.

Durch seine hohe Tragfähigkeit lassen sich mit LVL-Furnierschichtholz große Spannweiten ohne Stützpfeiler realisieren. Die LVL-Platten, die für das Dach des Museumsneubaus verwendet wurden, bestehen aus mehreren Furnierschichten, die in der Produktionsstätte von Stora Enso im finnischen Varkaus miteinander verleimt wurden. Normalerweise wird LVL nicht in Sichtqualität angeboten. Da aber nach dem Entwurf der Architekten die feine Struktur des Furnierschichtholzes erkennbar bleiben sollte, wurde für dieses Projekt die höchste visuelle Qualitätsstufe hergestellt. Insgesamt 850 m³ Furnierschichtholz wurden produziert und in rechteckigen Platten in Abmessungen von 13,5 x 2,4 m an das Blumer-Lehmann-Werk in der Schweiz geliefert. Die Platten waren auf eine Stärke von 31 mm kalibriert.

Komplexes Freiform-Dachtragwerk

Mit seiner Holzbauerfahrung und dem technischen Know-how in der Projektplanung und -umsetzung raffinierter Freiform-Geometrien erwies sich das schweizerische Holzbauunternehmen Blumer Lehmann als der richtige Partner für die Umsetzung des ambitionierten Holzbau-Projekts. Unterstützt von seinen Partnern aus vielen vorangegangenen Freiform-Projekten, den Holzbau-Ingenieuren von SJB Kempter Fitze mit Hermann Blumer sowie den parametrischen Planern von Design-to-Production, begann das Blumer- Lehmann-Team mit der Planung und Detaillierung der komplexen Dachkonstruktion.

Die stützenfreie Dachgeometrie des Neubaus in Stockholm überspannt eine Fläche von 25 x 48 m. Auf drei Seiten des Gebäudes ergänzt ein Vordach das Dachtragwerk und führt dabei die Krümmung der Dachfläche auf eine Ebene mit der Trauflinie. Die Geometrie des muschelähnlichen Dachkörpers weist auf der einen Seite hohe Krümmungen auf – und funktioniert damit eigentlich wie ein Schalentragwerk. Auf der anderen Seite läuft das Dach flach aus zu einem reinen Biegetragwerk. „Hier für die erforderliche Spannweite von 25 m eine durchgehende Konstruktion zu finden, war schon eine große Herausforderung“, erinnert sich David Riggenbach, Holzingenieur und Projektleiter bei Blumer Lehmann.

Der Architektenentwurf sah außerdem eine deutlich sichtbare LVL-Struktur für die Dachkonstruktion vor, die sich damit von der geschliffenen CLT-Konstruktion der Domkuppel abheben sollte. „Unsere Aufgabe war es daher, ein Tragwerkskonzept zu erarbeiten, mit dem sich das gewünschte Architekturdesign umsetzen ließ“, erinnert sich Martin Looser-Frey, Bereichsleiter Free Form und zuständig für den internationalen Verkauf bei Blumer Lehmann.

Gitterschalen-Konstruktion aus LVL-Balken

Die Holzbau-Ingenieure von SJB Kempter Fitze entschieden sich bei dem Dachtragwerk des Hauptdaches für eine Gitterschalen-Konstruktion mit kreuzweise angeordneten LVL-Balken, die mit formschlüssigen Dübel-Verbindungen zu einem doppelt gekrümmten Gitterrost zusammengesetzt wurden, berechnet mithilfe moderner Planungstools. Getragen wird die unterschiedlich stark gewölbte Dachkonstruktion am Rand von 24 massiven Stützen, die aus blockverleimtem LVL in der Größe 60 x 80 bzw. 60 x 60 cm bestehen. Die Stützen wurden dort biegesteif mit dem etwa 1,20 m hohen Betonsockel verbunden. Um die horizontale Deformation des Dachtragwerks zu begrenzen, wurden Spannstäbe in die Holzstützen integriert, auf die nach der Montage eine beträchtliche Vorspannkraft aufgebracht wird. Auf den Stützenköpfen ist ein massiver Randträger angeordnet, der die Freiformkonstruktion umlaufend auf allen Seiten umschließt.

1:1-Modelle für den Probelauf

Drei Mock-ups, das sind Demonstrationsmodelle in Realgröße, lieferten die erforderlichen Informationen für die spezielle Bauweise des Dachtragwerks. An den etwa vier Meter hohen und 6 x 8 m breiten 1:1-Modellen ließen sich die Konstruktion und die Montageprozesse vorab genau überprüfen – ein entscheidender Faktor bei solch einem ungewöhnlichen Projekt.

Insgesamt fünf Lagen aus LVL-Trägern, jeweils drei in Querrichtung und zwei in Längsrichtung, bilden das Gitterschalen-Dachtragwerk des Neubaus. Auf der Baustelle wurden die Tragbalken mit den Buchstaben A, B, C, D und E bezeichnet. Anders als bei Konstruktionen aus Brettschichtholz, die im Werk gebogen und gefräst werden und als komplette Bauteile auf die Baustelle kommen, wurde beim Bau des Hauptdaches im Werk nur die unterste Lage in der gewünschten Krümmung verklebt und als fertiges Bauteil geliefert. Diese Lage diente während des anspruchsvollen Montageprozesses für alle weiteren Lagen als Lehrgerüst. Die Monteure fixierten sie über einem Flächengerüst mit einem Raster von 2,5 x 2,5 m, das später zurückgebaut wurde. Die weiteren vier Trägerlagen wurden erst bei der Montage auf der Baustelle gebogen und verdübelt.

Dübel und Zapfenverbindungen aus Holz

Im Juni 2022 starteten die Holzbauarbeiten für das Dach vor Ort in Stockholm unter einem wettergeschützten Zelt, im Dezember wurden sie abgeschlossen. Für die erste Lage des Daches (A-Lage) wurden die von Stora Enso gelieferten Plattenstreifen im Schweizer Blumer-Lehmann-Werk CNC-mäßig gefräst. Anschließend wurden sie auf einer speziell gefertigten Schablone in die gewünschte Krümmung und Torsion gebracht und dann miteinander verdübelt und verklebt. Zuletzt kam alles am gekrümmten Bauteil nochmals unter die CNC-Fräse. Die Lage A war damit die Einzige, die in fertig gekrümmten Bauteilen auf die Baustelle geliefert wurde. Jeweils drei vorgefertigte Segmente ergaben einen 25 m langen Balken.

Ab der zweiten Lage (B) wurden die Plattenstreifen erst vor Ort gebogen. Die fertig gefrästen Plattenstreifen kamen ab Werk in Paketen gebündelt auf die Baustelle. Die fünflagigen Balkensegmente waren 2,5 bis 12 m lang und wurden für den Transport so abgebunden, dass sie auf der Baustelle direkt zu vollständigen Trägern zusammengefügt werden konnten. Abhängig von ihren Biegeradien bestehen die Längsträger aus fünf bis sieben Segmenten, die Querträger wurden aus drei bis vier Segmenten gefertigt.

Alle 3576 Verbindungen des Dachtragwerks wurden mit Dübeln und Zapfenverbindungen aus Holz erstellt. Die rechteckigen Scherkraftdübel und die konischen Zapfen wurden im Werk aus dem gleichen LVL-Material wie die Balkenlagen gefräst. Die Zapfen wurden immer dort eingesetzt, wo die Träger sich kreuzen. Die Scherkraftdübel dagegen verbinden die Balkenlagen, die in die gleiche Richtung laufen. Nach der Montage der Gitterschale wird die gesamte Dachkonstruktion für den Brandschutz mit einer farbneutralen, feuerhemmenden Beschichtung versehen. Welche Dacheindeckung das Gebäude erhalten wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Von den Architekten war eine Deckung mit geschuppten Holzschindeln vorgesehen. Aufgrund der teilweise geringen Dachneigung sind vor einer solchen Eindeckung aber noch einige Herausforderungen zu lösen.  

 

Autorin

Dipl.-Ing. Inga Schaefer ist freie Architektur- und Baufachjournalistin und lebt in Bielefeld.

Ungewöhnlicher Planungsprozess

Durch das vorgegebene Material und die architektonischen Vorgaben gestaltete sich der Planungs- und Konstruktionsprozess des „Wisdome Stockholm“ für die Spezialisten bei Blumer Lehmann eher ungewöhnlich. Die Entscheidung, die oberen Trägerbalken erst auf der Baustelle händisch zu krümmen, brachte einige Neuerungen für die Planung: Das Free-Form-Team von Blumer Lehmann und seine Planungspartner sind es gewohnt, auch mit zweisinnig gekrümmten Bauteilen zu planen und zu arbeiten und immer in 3D zu denken. Für dieses Projekt mussten sie nun die Formstücke nach der virtuellen Planung der gekrümmten Geometrie zurück abwickeln, damit die LVL-Platten im Werk flach bearbeitet werden konnten. Letztlich bedeutete das eine höhere Planungs- und Programmierleistung, damit die CNC-Maschinen richtig und effizient arbeiten konnten und später alles im Zehntel-Millimeterbereich passt.

Mit digitalen Tools für den Holzbau und das Ingenieurwesen (einschließlich „360+“ und „Calculatis“) sowie CNC-Bearbeitung wurden die Platten in kleine Einzelteile geschnitten, die vor Ort wieder zusammengesetzt werden konnten. Die doppelte Übersetzungsleistung von krumm zu flach, dann wieder von flach zu krumm, war die wirkliche Herausforderung in diesem Projekt. „Dieser Schritt, nach der virtuellen Krümmung jedes Teil virtuell zu strecken, um es physisch wieder zu krümmen, das war bei diesem Projekt für uns das Besondere,“ erklärt David Riggenbach, Projektleiter bei Blumer Lehmann. Das galt besonders für die konischen Dübelzapfen und die dafür vorgesehenen Öffnungen, die in fünf Lagen flach produzierter LVL-Platten im gebogenen Zustand hineinpassen mussten.

Bautafel (Auswahl)

Projekt Museumsneubau „Wisdome“ mit Freiformdachtragwerk für das Technische Museum in Stockholm (Schweden)

Bauherr Tekniska Museet, Stockholm (SE),

www.tekniskamuseet.se/de

Architektur Elding Oscarson Architects, Stockholm, www.eldingoscarson.com

Tragwerk Florian Kosche AS, Oslo/Norwegen,

www.difk.no/en

Holzlieferant Stora Enso, Schweden,

www.storaenso.com/de-de

Holzbauingenieure SJB Kempter Fitze, Gossau (CH), https://sjb.ch/, mit Hermann Blumer

Parametrisches Design Design-to-Production,

Erlenbach (CH), www.designtoproduction.com

Planung und Ausführung (Holzbau) Blumer Lehmann AG, Gossau (CH), www.blumer-lehmann.com

Bauzeit Planungsbeginn 5/2021, Baustart 6/2022, Bauübergabe geplant für 2023

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