Risiken kennen und Abstürze vermeiden

Der 4. Fachkongress für Absturzsicherheit 2019 in Hamburg

Wie man Risiken für Absturzunfälle minimiert und Mitarbeiter davon überzeugt, sich richtig abzusichern, zeigte der 4. Fachkongress für Absturzsicherheit in Hamburg. Knapp 250 Teilnehmer/innen kamen zum Kongress, um sich über das Thema Absturzsicherheit zu informieren und auszutauschen.   

Zwei Drittel aller tödlichen Abstürze ereignen sich aus weniger als fünf Metern Höhe, berichtete André Büschkes, Vizepräsident des Zentralverbands des deutschen Dachdeckerhandwerks, auf dem 4. Fachkongress für Absturzsicherheit 2019. Abstürze hätten nicht nur schlimme Folgen für die Betroffenen, sondern auch für den Betrieb. Das weiß Büschkes aus eigener Erfahrung, denn er ist Geschäftsführer eines Dachdeckerbetriebs. Für ein Unternehmen mit acht Mitarbeitern würde der Ausfall eines Kollegen über drei Wochen Kosten von bis zu 3790 € erzeugen, etwa durch Überstunden von anderen Kollegen und die Nichterledigung von Aufgaben, so Büschkes.

Viele Absturzunfälle sind verhaltensbedingt

Dabei könnten Risiken für die Mitarbeiter durch das Einhalten weniger Regeln minimiert werden, etwa das Sichern von Absturzkanten und Dachöffnungen oder das Benutzen von sicheren und freigegebenen Gerüsten. 80 Prozent aller Absturzunfälle seien verhaltensbedingt, daher sei es wichtig, die Mitarbeiter für das Thema Absturzsicherheit zu sensibilisieren. Eine betriebliche Erklärung, mit der sich alle Mitarbeiter im Betrieb auf die Einhaltung lebenswichtiger Verhaltensregeln einigen, sei dabei ein erster Schritt. Diese kann angefordert werden unter www.bau-auf-sicherheit.de/programm.html. Der ZVDH-Ordner „Sicher auf dem Dach“ biete darüber hinaus mit zahlreichen Checklisten, Formularen und Vorlagen alle notwendigen Informationen für den betrieblichen Arbeitsschutz im Dachdeckerhandwerk. Er steht allen Mitgliedern einer Dachdeckerinnung als elektronisches Hilfsmittel frei zur Verfügung. Die gedruckte Version des Ordners kann kostenpflichtig angefordert werden. Nähere Informationen dazu gibt es bei Jens Möller vom Landesinnungsverband des Dachdeckerhandwerks Hessen ().

Unfallzahlen im Baugewerbe weiterhin hoch

Der 4. Fachkongress für Absturzsicherheit am 10. und 11.12.2019 im Hamburger Grand Elysée Hotel bot ein umfassendes Vortragsprogramm an zwei Tagen. Eine offene Diskussionsrunde zum Thema Absturzsicherheit mit namhaften Herstelllern aus der Branche und eine begleitende Fachausstellung ergänzten das Programm. Von der Planung und Ausführung über das Projektmanagement bis hin zur Absturzsicherheit aus Sicht von Bauunternehmern behandelte der Kongress das Thema aus verschiedenen Perspektiven.

Wie aktuell das Thema Absturzsicherheit ist, wurde im Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Marco Einhaus deutlich, er ist Leiter des Sachgebiets Hochbau der BG Bau. Die Unfallzahlen im Baubereich seien weiterhin hoch und nach wie vor gebe es zu viele Absturzunfälle, erklärte Einhaus. Das Zimmererhandwerk sei mit 141,9 Unfällen pro 1000 Beschäftigten im Jahr 2018 besonders betroffen gewesen, im Bauhauptgewerbe liege die Zahl bei nur 93,1 Unfällen pro 1000 Beschäftigten.

Neue Regeln für den Gerüstbau

Um mehr Sicherheit auf Baustellen und speziell im Umgang mit Gerüsten zu schaffen, wurden im vergangenen Jahr die Technischen Regeln für Betriebssicherheit TRBS2121 überarbeitet und verschärft. Die wesentlichen Neuerungen fasste Marco Einhaus in seinem Vortrag noch einmal zusammen. So sollten bei Gerüsten ab einer Aufstiegshöhe von mehr als fünf Metern Treppen, Aufzüge oder Transportbühnen statt Leitern genutzt werden. Neu ist auch die Forderung, dass bei durchgehender Gerüstflucht auf der obersten Gerüstlage ein einteiliger Seitenschutz oder ein Montagesicherungsgeländer verwendet werden muss, bevor von dort aus weiter montiert werden darf. Einige Gerüstsysteme, etwa das „Peri Up Easy“ der Peri GmbH, bieten die Möglichkeit, mit einem vorlaufenden Geländer oder Gitter einen Seitenschutz vorzurüsten, bevor die oberste Gerüstlage überhaupt betreten wird. Ausgenommen von der Regel sind Gerüste an Erkern oder Balkonen, hier sollte ­Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz genutzt werden. Bevor diese eingesetzt wird, sollte eine Gefährdungsbeurteilung erstellt und die Mitarbeiter im Umgang mit der PSAgA unterwiesen werden.

Nur noch Stufen, keine Sprossen

Für Leitern gilt nach der neuen TRBS2121: Wird die Leiter als Arbeitsplatz genutzt, muss der Beschäftigte mit beiden Füßen sicher auf einer Stufe oder Plattform stehen. Das Arbeiten von Leitern mit Sprossen ist nicht mehr zulässig, ebenso das Arbeiten von der Leiter ab fünf Metern Arbeitshöhe. Wird die Leiter als Zugang zum Arbeitsplatz genutzt, dürfen damit keine Höhenunterschiede von mehr als fünf Metern überwunden werden. Die BG Bau fördert die Anschaffung von Stufen-Schiebeleitern, leichten Plattformleitern, Bautreppen und kleinen Hubarbeitsbühnen als Alternativen zu herkömmlichen Leitern. Kleine, leichte Höhensicherungsgeräte und geeignete Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) werden ebenfalls mit Arbeitsschutzprämien bezuschusst, in Verbindung mit erfolgreicher Teilnahme an einer Schulung zum Umgang mit PSAgA. Mehr Informationen zu den Arbeitsschutzprämien der BG Bau finden Sie unter www.bgbau.de/service/angebote/arbeitsschutzpraemien.

Umfangreiche Höhenzugangskonzepte

Über die Planung und Ausführung von Absturzsicherheitseinrichtungen berichtete Architekt Tim Hupe in seinem Vortrag. Als Beispiele für bereits umgesetzte Konzepte nannte er die Allianz Arena in München und das Congress Center in Hamburg. Die Stahlkonstruktion der Allianz Arena wurde mit Kunststoffmembranen verkleidet, dafür kamen unter anderem Hubsteiger, Dachfangnetze und PSAgA zum Einsatz. Für das Congress Center Hamburg musste ebenfalls ein umfangreiches Höhenzugangskonzept entwickelt werden, etwa für die Fensterreinigung. Diese erfolgt bei geschlossenen Fenstern von außen per Hubarbeitsbühne, bei Fenstern die sich öffnen lassen von innen mithilfe von Anschlagpunkten und PSAgA.

Einblicke in die Arbeit der Höhenretter

Tobias Slabon gab in seinem Vortrag auf dem Kongress einen Einblick in die Arbeit der Höhenrettungsgruppe der Feuerwehr Hannover. Er ist für das Sachgebiet Gebäude- und Sicherheitstechnik der Berufsfeuerwehr Hannover verantwortlich und seit 2009 aktiver Höhenretter. Zu der Einheit der Feuerwehr Hannover zählen 45 aktive Höhenretter. Wer in die Höhenrettungsgruppe kommen wolle, müsse nicht nur schwindelfrei sein und eine schnelle Auffassungsgabe haben, erklärte Slabon, sondern auch eine 80stündige Grund- und eine 80stündige Zusatzausbildung absolvieren. Arbeitsunfälle im Hoch- und Tiefbau, technische Hilfe bei Sturmschäden und das Retten von Personen aus Tunneln, Schächten und von hohen Gebäuden – die Einsatzgebiete der Höhenretter sind vielfältig.

Für alle, die die Höhenretter der Feuerwehr Hannover und andere Höhenrettungsgruppen aus Deutschland in Aktion erleben möchten, hatte Tobias Slabon noch einen Tipp: Am 20.6.2020 treten 16 Höhenrettungsgruppen beim nationalen Leistungsvergleich der Feuerwehr-Höhenretter auf der Messe Interschutz in Hannover gegeneinander an. Mehr Informationen dazu gibt es unter: www.interschutz.de/de/rahmenprogramm/wettbewerbe-awards.

Eine Ausstellung zum Kongress im Grand Elysée Hotel zeigte verschiedene Systeme und Lösungen zur Absturzsicherheit. Die Adler Montageservice GmbH präsentierte sich als Dienstleister für die Montage von Treppentürmen, Randschutznetzen für Dacharbeiten und die Vermietung von Arbeitsbühnen. Ein innovatives Seitenschutzsystem für Dächer, das ohne Auflast auskommt und so mehr Platz für Dacharbeiten bietet, zeigte die Sifatec GmbH & Co. KG. Das Sifatec-Montageteam baut die patentierte Flachdach-Absturzsicherung, bestehend aus Seitenschutz und je nach Bedarf einem Treppenturm, deutschlandweit auf und nach Abschluss der Dacharbeiten wieder ab. Ein breites Sortiment an Anschlagpunkten für das Steil- und Flachdach, Seilsicherungssystemen, Flachdachgerüsten und mehr stellte die Firma ST Quadrat Fall Protection in der Ausstellung zum Kongress vor. Neu im Programm hat sie ein Seitenschutzsystem zur Montage unter der Attikaabdeckung, das „Lux-top G-T Direkt AT“. Ab- und Durchsturzsicherungen für Aufsetzkränze zeigte die Firma Kingspan Light + Air/Essmann. Die Peri GmbH informierte die Kongressteilnehmer über ihr Gerüstsortiment, zu dem unter anderem das „Peri Up Easy“-Gerüst gehört, bei dem die nächste Gerüstebene sicher von der unteren Gerüstlage aus montiert wird. Das Gerüstsystem lässt sich auch mit dem Modulgerüst „Peri Up Flex“ kombinieren und so um einen Treppenturm ergänzen. Gurte, Sicherungssysteme, Falldämpfer und Seile zur Absturzsicherung gab es von der Firma Bornack zu sehen.

Zum Abschluss des zweiten Kongresstages gab die Expeditionsfotografin und Vulkanforscherin Ulla Lohmann mit ihrem Vortrag „Ich mach das jetzt! Meine Reise zum Mittelpunkt der Erde“ spannende Einblicke in ihre Reisen. Den Vortrag bebilderte sie mit spektakulären Bildern von ihren Reisen, die sie unter anderem in die Südsee und in den Krater eines aktiven Vulkans führten.

Die Qualität der Fachvorträge und der Gedankenaustausch mit Kollegen waren für viele Besucher des Fachkongresses die Hauptgründe für ihre Teilnahme, das zeigte eine Umfrage unter den Teilnehmern. Dabei konnte das Vortragsprogramm überwiegend die Erwartungen der Teilnehmer erfüllen. Allerdings wünschten sich manche Teilnehmer mehr Praxisbezug und fachliche Tiefe. Ausgewählte Vorträge des Kongresses können Sie online nachlesen und herunterladen unter www.kongress-absturzsicherheit.de/4-kongress-fuer-absturzsicherheit_3280328.html.

Autor

Stephan Thomas ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift dach+holzbau.

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