Massivholzbau trifft Recycling

Recyclinghaus aus leimfreien "Nur-Holz"-Elementen und wiederverwendeten Baustoffen in Hannover

Ein Massivholzhaus, das zum überwiegenden Teil aus recycelten Baustoffen besteht? Doch, so etwas gibt es. Dem Architekturbüro Cityförster ist die Verbindung aus leimfreiem „Nur-Holz“ und Baustoffrecycling mit ihrem Experimentalhaus im vergangenen Jahr in Hannover gelungen.

Den gebauten Bestand als Ressource anzusehen, ist nicht neu. In vergangenen Jahrhunderten sahen Handwerker die vorhandene Bausubstanz als Baustofflieferant. Zimmerer verwendeten Hölzer aus altem Fachwerk und Dachstuhl, Maurer Steine von Stadtmauern oder Burgen, aus Abriss und Ruinen. Doch was das Büro Cityförster gemeinsam mit ihrem Bauherrn, dem Wohnungs- und Bauunternehmen Gundlach Bau und Immobilien in Hannover realisiert hat, ist in seiner Konsequenz neu und ein Experiment: Eine leimfreie Massivholzkonstruktion als statische Grundlage für ein Wohnhaus, das zum überwiegenden Teil aus recycelten Baustoffen besteht. „Das führte zu sehr vielen besonderen Details“, sagt Architekt Nils Nolting vom Büro Cityförster.

Leimfreie Massivholzelemente aus „Nur-Holz“

Viele der gebrauchten Materialien stammen aus laufenden Projekten der Firma Gundlach. Doch nicht alles konnte aus Recyclingmaterial gebaut werden. So besteht das Haus konstruktiv aus leimfreien Massivholzelementen, so genanntem „Nur-Holz“ der Firma Rombach Bauholz + Abbund. Dabei handelt es sich um eine patentierte Bauweise, bei der die kraftschlüssige Verbindung der Brettlagen mit Vollgewindeschrauben aus Buchenholz hergestellt wird. So kann man bei der Herstellung der „Nur-Holz“-Massivholzelemente auf Leim verzichten. Stattdessen werden die Brettlagen in Kreuz- und Diagonallagen auf einem Montagetisch angelegt, darin ein Sackloch gebohrt und die Vollholzgewindeschraube eingeschraubt. Diese nimmt die Feuchte der umgebenen Brettlagen auf, quillt auf und verbindet sich so unlösbar mit dem Umgebungsholz.

Wohnhaus in Massivholzbauweise

Die bei Rombach Bauholz + Abbund in Oberharmersbach vorgefertigten „Nur-Holz“-Elemente stellten die Zimmerleute in Hannover auf eine Bodenplatte aus Recyclingbeton, unter der sich eine Dämmung aus Schaumglasschotter und Fundamente aus Recyclingbeton befinden, der in Niedersachsen erstmalig für den Bau eines Hauses zugelassen wurde. Die 18,5 bis 21,5 cm dicken „Nur-Holz“-Wand-elemente bilden die tragenden Innenwände und die Außenwände, deren Holzoberfläche mit vertikaler Brettlage innen sichtbar ist. Im Erdgeschoss wurden die Holzelemente aus Gründen des konstruktiven Holzschutzes im Fußpunktbereich auf einen Sockel aus Stahlbeton C25/30 gestellt. Die als Überzüge erforderlichen Träger montierten die Zimmerleute in verschiedenen Abmessungen als Brettschichtholzträger. Die Träger sind raumseitig durch die ausgeklinkten „Nur-Holz“-Wandelemente überdeckt.

Wärmedämmung aus alten Jutesäcken

Außen stellten die Zimmerleute vor die Massivholzwände mit außen liegender Lufdichtungsbahn einen Fassadenrost mit Fassadenstielen aus Konstruktionsvollholz. Den Fassadenrost dämmten die Handwerker anschließend mit einem Klemmfilz, der aus alten Jutesäcken hergestellt wurde („Thermo Jute 100“). In den zum Dämmstoff verarbeiteten Jutesäcken wurden vormals Kakaobohnen für die Schokoladenherstellung aufbewahrt und angeliefert. Früher mussten die Säcke nach einmaliger Nutzung entsorgt werden.

Zwar sind die Massivholzelemente in der Fläche selbst luftdicht. Die Winddichtung vor der Dämmung wurde jedoch mit schwarzen Fassadenbahnen sichergestellt. („Delta S“). In Fassadenbereichen, in denen die Fassadenbahn dem Sonnenlicht ausgesetzt ist (Bereiche der Profilbauglasfassade), setzten die Handwerker eine dauerhaft UV-beständige Fassadenbahn ein („Stamisol Color“).

Recyclingmaterial für die Fassade

Am deutlichsten ist das Recyclingkonzept allerdings an der Fassade zu sehen, die die Handwerker an der Holzrahmenkonstruktion befestigten. Angefangen beim Profilbauglas, das aus einer alten Lackiererei kommt, über das Holz, das von den Saunabänken eines nahen Sportclubs stammt, bis hin zu den Faserzementplatten. Sie kommen aus dem ehemaligen evangelischen „Haus der Jugend“ in Hannover-Linden. „Ein absoluter Glücksfall“, sagt Corinna Stubendorff, die bei Gundlach Bau und Immobilien für die technische Bestandsentwicklung zuständig ist, „die Platten waren erst 2007 verbaut worden, sind also schadstofffrei.“ Tiefschwarz neu beschichtet montierten die Handwerker die Faserzementplatten auf der Holzunterkonstruktion, während sie für die Montage der Elemente aus Profilbauglas eine Unterkonstruktion aus feuerverzinktem Stahl verwendeten. Die „Materialernte“ nehmen wir in einem Artikel in der bauhandwerk genauer unter die Lupe.

Flach- und Steildach mit Schaumglas gedämmt

Die Geschossdecken und die Decke im ­Bereich der Dachterrasse bestehen aus ebenfalls leimfreien, 180 mm dicken Brettstapeldecken, die die Zimmerleute aus statischen Gründen auf der Oberseite mit OSB-Platten beplankten. Bei der Dachkonstruktion des Staffelgeschosses handelt es sich hingegen um 208 mm dicke „Nur-Holz“-Dachelemente, die mit einer innenseitigen Sichtoberfläche hergestellt wurden. Die Dächer erhielten eine Gefälledämmung aus Schaumglasplatten (Foamglas-Platten „T3+“) auf einer kaltselbstklebenden Elastomerbitumenbahn als Dampfsperre und einer Notabdichtung aus einer genagelten Bitumentrennlage.

Die Dachabdichtung erfolgte auf der Dämmung mit einer zweilagigen, bituminösen Abdichtung als fertige Oberfläche des Daches, wobei die obere Lage UV-beständig ist. Dort, wo das Dach geneigt ist, ist die Dachabdichtung sichtbar. Für die Dachterrasse bauten die Zimmerleute einen Terrassenbelag aus unbehandelten Hartholzbohlen (Lärche gehobelt) auf einer Holzunterkonstruktion und Stelzlagern ein. Die Dachabdichtung schützten sie zuvor vollflächig mit einer Bautenschutzmatte aus Recycling-Gummigranulat.

Treppe aus Altbauteilen

Die Wände im Treppenhaus bestehen aus 8,60 m hohen Brettstapelwänden aus im Sägefeinschnitt mit der Gattersäge zugeschnittenen historischen Eichenbalken, die einst für die Stabilität in einem Fachwerkhaus sorgten. Bei den Treppenstufen aus feuerverzinktem Stahl handelt es sich um ehemalige Fenster-Auflagekonsolen, die wiederum aus dem „Haus der Jugend“ zurückgebaut wurden. Die Metallteile für die Unterkonstruktion der Treppe, die Rohre der Handläufe und die Stahlstäbe der Absturzsicherung stammen aus dem Abriss eines Freizeitheimes (FZH Stöcken).

Innenausbau mit Recyclingmaterialien

Die Ziegel, die die Maurer für die nichttragenden Innenwände im Erdgeschoss verwendeten, stammen aus einer abgerissenen Scheune. Wo erforderlich, stellten die Handwerker von den Mauerwerkswänden mit Ankern Verbindungen zu den „Nur-Holz“-Wandelementen her. Zudem gibt es im Erdgeschoss eine Innenwandbekleidung aus einer 20 cm dicken Vorwand aus Gipskartonresten, allerdings nicht als Beplankung montiert, sondern gestapelt verlegt, so dass man den weißen Gips der gebrochenen Platten sieht. Damit die Bruchkanten nicht absanden, strichen die Handwerker sie mit Tiefengrund.

Rahmenwände aus dem Messebau

Die nichttragenden Innenwände im Obergeschoss bestehen aus gebrauchten Rahmenwänden aus dem Messebau und wurden als Holzständerkonstruktionen erstellt. „Sonst werden die nach einmaligem Gebrauch verschrottet, hier bekommen sie ein zweites Leben“, sagt Corinna Stubendorff. Solche Holzplatten verwendeten die Handwerker auch für die Verkleidung der Innenwände, für diverse Einbauschränke, für Fensterlaibungen und raumhohe Türen – teilweise noch mit den ehemaligen Aufdrucken darauf. „Der Messebauer, der zum richtigen Zeitpunkt sein Lager verkleinern wollte, war eine ergiebige Materialquelle“, so Architekt Nils Nolting.

Fazit

Ziel des Experimentalhauses, das vom Institut für Bauforschung begleitet wurde, war die radikale Ressourcenschonung beim Material- und Energieeinsatz durch die konsequente Verwendung von Recyclingbaustoffen. Dieser ökologische Grundgedanke passt hervorragend zum konstruktiven Aufbau des Hauses mit leimfreiem „Nur-Holz“, denn beides ist nachhaltig, der nachwachsende Baustoff Holz ebenso wie die recycelten Baustoffe.

Wichtig war allen Beteiligten, dass trotz der sich daraus ergebenden ziemlich heterogenen Materialmischung der KfW-55-Standard erreicht wird. Mit einer Luft-Wasser-Wärmepumpe mit solarthermischer Unterstützung für das warme Wasser und einer kontrollierten Lüftung samt Wärmerückgewinnung konnte dieses Ziel erreicht werden. Dafür wurde das Projekt beim Bundespreis Umwelt & Bauen vom Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt mit einer Anerkennung in der Kategorie Sonderpreise gewürdigt und jüngst beim Deutschen Fassadenpreis 2020 für vorgehängte hinterlüftete Fassaden mit einem Sonderpreis für Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

Autor

Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherr Gundlach Bau und Immobilien, Hannover, www.gundlach-bau.de

Planung Cityförster architecture + urbanism, Hannover, www.cityfoerster.net

Statik Drewes + Speth, Hannover, www.drewes-speth.de

Bauphysik H2A – v. Heeren Habibi, Hannover, www.h2a-hannover.de

Beton- und Maurerarbeiten Gundlach Bau und Immobilien, Hannover, www.gundlach-bau.de

Zimmererarbeiten Dach & Fachwerk G. Schneider & J. Depenbrock, Springe, www.dachundfachwerk.de

Fassaden- und Metallbauarbeiten Adolf Schwonberg, Hannover, www.schwonberg.de

Trockenbauarbeiten Kühne Akustik- und Trockenbau, Hannover, http://kuehne-bauten.de

Tischlerarbeiten Tischlerei Hass, Hannover, www.tischlerei-hass.de



Herstellerindex (Auswahl)

Recyclingbeton GP Papenburg Betonwerke, Hannover, www.gp.ag/beton-nord

Massivholzelemente Rombach Bauholz + Abbund, Oberharmersbach, www.rombach-nurholz.de

Dämmung aus Jutesäcken HempFlax, Nördlingen, www.hempflax.de

Fassadenbahnen „Delta“, Dörken, Herdecke, www.doerken.de / „Stamisol Color“, Serge Ferrari, CH-Eglisau, https://stamisol.com

Perimeter- und Flachdachdämmung 

Schaumglas „T3+“,Foamglas, Stuttgart, www.foamglas.com

Teppichboden aus Recyclinggarn Carpet Concept, Bielefeld, www.carpet-concept.de

Bodenfliesen „Mosa“, NL-Maastricht, www.mosa.com

Weitere Informationen zu den Unternehmen

Hier finden Sie Grundrisse und Querschnitte des Recyclinghauses in Hannover von Cityförster Architekten.

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