Lehm, Wasser und gehäkseltes Reet

Dächer aus Reet sind bekannt – Reet kann aber auch, gehäkselt und mit Lehm und Wasser gemischt, zum Dämmen benutzt werden. In Lübeck nutzten Zimmereigesellen und Architekturstudenten eine Lehm-Reet-Mischung, um die Gefache eines Pavillons für Wandergesellen auszufüllen.

Der achteckige Pavillon für Wandergesellen in Lübeck ist acht Meter hoch und wurde 1986 erbaut. Im oberen Geschoss bietet er fünf Schlafplätze für reisende Gesellen, unten einen Aufenthaltsraum. Pit Zimmerer, Zimmereigeselle auf der Walz, wurde 2017 auf den in die Jahre gekommenen Pavillon aufmerksam. Er entwickelte ein Konzept, ihn zu sanieren. Als Dämmung sollte eine natürliche Lehmmischung zum Einsatz kommen. Dafür suchte Pit Zimmerer den Kontakt zu einem Lehmbauexperten in Lübeck und stieß über eine Internetrecherche auf Heiner Lippe, Professor für Architektur an der Technischen Hochschule Lübeck. 2017 fand ein erster Termin mit Architekturstudenten der FH Lübeck und Heiner Lippe statt. Dabei ging es darum, Holzverbindungen und die Hölzer im Turm zu erneuern. Im Erdgeschoss des Pavillons wurden dabei neue Eichenschwellen verlegt, oben Lärchen- und Fichtenholzbalken. Zimmereigeselle Pit holte sich für diese Arbeiten weitere Gesellen auf der Walz zur Unterstützung.

Das erneuerte Fachwerk aus Fichten- und Lärchenholzbalken sollte traditionell mit Lehm ausgefacht werden. Im Rahmen einer Projektwoche im Mai 2018 entwickelten Zimmerer und Studenten gemeinsam eine Mischung für die Dämmung. Die Bestandteile: Lehm, Wasser und Reethackschnitzel. Traditionell werden Holzhackschnitzel in den Lehm gemischt, hier kam aber gehäckseltes Reet zum Einsatz, um das Rohgewicht des Lehms zu verringern. Die Mischung für die Gefache besteht aus einem Drittel Lehm und zwei Dritteln Hackschnitzeln. Die 10 bis 50 mm großen Schilfabschnitte stammen vom Schilfrohrhändler Hiss

Reet aus Bad Oldesloe. In Lübeck haben die Reethackschnitzel einen ihrer ersten Praxistests als Teil einer Dämmung erlebt. „Ist zu viel Lehm drin, dämmt das Material nicht. Es darf nur ein Hauch Lehm auf den Häckseln sein“, erklärt Architekturprofessor Heiner Lippe. Als Schalung, die die Lehm-Mischung in den Gefachen hält, nutzt man normalerweise Haselnuss- oder Weidenruten, die dann verflochten werden. Bei dem Pavillon in Lübeck kamen stattdessen geschnittene Reet-Matten von Hiss Reet als Schalung zum Einsatz. Stück für Stück wurden die Schilfrohrmatten von innen über die Gefache genagelt. Von oben füllten die Studenten und Handwerker die Lehm-Reetmischung in die Gefache. „Die Schilfmatten sind ein guter Halter für die Dämmung und gut zu verarbeiten“, sagt Architekturstudent Manuel Horn aus Hamburg.

Heiner Lippe führt an der FH in Lübeck auch Testreihen durch, um die Reethackschnitzel-Lehm-Mischung weiterzuentwickeln. Dabei geht es darum, das richtige Mischverhältnis von Lehm und Reet zu finden und die Bau­­physik zu verbessern. Schon die ersten Projekttage haben ihm gezeigt: „Die Verarbeitung von Schilfhäckseln ist so einfach wie die von Holzhackschnitzeln. Ich benötige keine speziellen Geräte und nicht viel Kraft.“

Ziegel aus Lehm in Handarbeit

Einige Gefache des Pavillons erhielten eine andere Art von Dämmung, die auch aus Lehm und Reethackschnitzeln bestand: Leichtlehmziegel. Mit dem Erstellen der  Ziegel war unter anderem Kübra Sabanci aus Hamburg beauftragt. Die Architekturstudentin füllte dazu Holzformen mit der Lehm-Reethackschnitzel-Mischung. Die Formen wurden auf der Baustelle aus mitteldichten Faserplatten zusammengeschraubt. „Wir haben den Inhalt etwa eine Woche trocknen lassen, danach die fertigen Leichtlehmziegel herausgehoben und eingebaut“, sagt Sabanci, die aus der Türkei stammt. Sie ist auf gewisse Weise für die Arbeit mit Lehm prädestiniert: „In meiner Jugend haben meine Großeltern in Anatolien Häuser mit Leichtlehm gebaut. Mein Traum ist es, eine ganze Stadt aus nachwachsenden Rohstoffen zu entwerfen“, sagt sie.

Das Leichtlehmprojekt in Lübeck ist nur die Vorbereitung für ein internationales Vorhaben. „Wir testen, ob wir die Fertiglehmziegel eventuell für den internationalen Hochschulwettbewerb Solar-Decathlon einsetzen können“, sagt Professor Heiner Lippe. Die Studenten aus Lübeck bilden mit angehenden Architekten aus dem Senegal und Marokko eines von 20 internationalen Teams. Gemeinsam werden sie im September 2019 zwischen Casablanca und Marrakesch ein solarbetriebenes Gebäude aus nachwachsenden Rohstoffen erstellen und bewohnen. „Eventuell nehmen wir da Reet aus Bad Oldesloe mit. Wir haben aber auch Partner im Senegal, die mit Schilf arbeiten. Möglich wäre es, mit dem Knowhow von Hiss Reet und unserer Expertise Produkte zu entwickeln, die für den marokkanischen Markt interessant sein könnten“, sagt Lippe. Fünf marokkanische Studenten waren bereits auf der Baustelle in Lübeck im Einsatz und sammelten erste Erfahrungen.

Für die angehenden Architekten war die Arbeit mit Lehm und Reet eine Inspirationsquelle. „Ich kann mir gut vorstellen, ein Gartenhaus aus Lehm zu bauen. Wenn es mir nicht mehr gefällt, kann ich es mit Wasser auflösen und  den Lehm neu verwenden“, sagt Architekturstudentin Christin Luther aus Lübeck.

Da der Leichtlehm so problemlos „mit Wasser abreißbar“ ist, musste die Dämmung des Pavillons nach dem Ausfüllen der Gefache gut trocknen. Als letzter Arbeitsschritt folgte ein Oberputz aus Kalk, der das Gebäude wetterfest macht. Endgültig fertiggestellt werden soll der Pavillon im nächsten Jahr, bis dahin kommen immer wieder fahrende Gesellen, um die restlichen Arbeiten zu erledigen. Der Pavillon kann auf Wunsch besichtigt werden, Termine können vereinbart werden mit Heiner Lippe unter: heiner.lippe@fhluebeck.

Autorin

Ulrike Schwalm (M.A. Anglistik) hat langjährige Tageszeitungserfahrung und ist als freiberufliche PR-Redakteurin und Texterin tätig, unter anderen für die Firma Hiss Reet.

Leichtlehm – was ist das?

 

Leichtlehm ist ein Füllmaterial aus Lehm und mineralischen Zuschlagsstoffen wie Holz- oder Reethackschnitzeln. Das Material eignet sich für Innenschalen, zur Dämmung von Außenwänden, zur Füllung von Fachwerkgefachen oder für den Bau von Wänden. Für eine Leichtlehmmischung wird eine Schlämme aus Lehm, gegebenenfalls Sand und Wasser angerührt (bei größeren Mengen im Betonmischer). Dann werden die Zuschlagsstoffe mit der Schlämme übergossen. Der Lehmanteil der Mischung sollte mindestens 30 Prozent betragen. Wird Leichtlehm in Fachwerkgefache eingefüllt, eigenen sich Schilfrohrmatten als Schalung, die nach der Montage an Ort und Stelle verbleiben. Sie werden mit der Leichtlehmmischung hinterfüllt. Nach gründlicher Trocknung können die so entstandenen Wände überputzt werden.

Lehm schützt Holz

Der ökologische Fußabdruck von Leichtlehm ist deswegen so günstig, weil bei der Verarbeitung und dem Transport nur 5-10 Prozent der Energie im Vergleich zu gebrannten Ziegeln oder Beton verbraucht wird. Ein weiterer Vorteil: Leichtlehm schützt Holzbalken wegen seiner geringen Gleichgewichtsfeuchte von etwa fünf Prozent vor Pilzen und Insektenbefall, erspart also chemische Holzschutzmittel.

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