Stadt der Zukunft: sauber und essbar

In Zukunft werden immer mehr Menschen in Städten wohnen werden. Das kann eine große Chance für das Baugewerbe sein, denn neue Konzepte wollen auch umgesetzt werden. Im zweiten Teil der Serie geht es um die Möglichkeit, Gebäude in die Schadstoff-Reduzierung miteinzubeziehen und in der Stadt zu gärtnern.

Die rasch fortschreitende Urbanisierung fördert im Siedlungsraum der Städte diverse Umweltproblematiken, die zum Teil massive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner haben. Neben Industrie- und Autoabgasen sind hier auch die Lärmbelastung zu sehen, die Emission von Feinstäuben, die thermische Überhitzung der Städte und die Verschmutzung der Niederschlagswässer.

Insbesondere große Stadtgebäude können durch die bauliche Beschaffenheit ihrer Gebäudehülle einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der genannten Umweltproblematiken leisten.

Lärmreduktion durch absorbierende Fassaden

Bereits 2002 verabschiedete das Europäische Parlament die Richtlinie über die „Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm“, um sicherzustellen, dass Bürger vor schädlichem Lärm zu schützen sind. Kommunen müssen deshalb ihrerseits Lärmminderungspläne aufstellen und können zum Beispiel auch durch planerische Vorgaben Lärmvorsorge treffen.

Seit Jahrzehnten finden im Infrastrukturbau langlebige, nachhaltige holzbasierte Bauelemente zur Reduktion von Verkehrslärm Anwendung. In verfeinerter Form können solche Bauelemente auch Anwendung im Siedlungsbau finden und insbesondere an stark belasteten Verkehrstraßen die Nachteile von Schallreflektierenden „harten“ Metall-, Stein- und Glasfassaden ab­­mildern.

Auch Akustikputze können Schallabsorptionsgrade von bis zu 60 Prozent erreichen. Allerdings muss beachtet werden, dass sich bei einer Anwendung an der Außenfassade Verunreinigungen durch Feinstaub und Wasser in den großen Poren des Putzes einstellen können. Es müssen deshalb geeignete Anstrichsysteme, zum Beispiel auf Siloxan-Basis, aufgebracht werden, die dies verhindern ohne das Schallschluckvermögen des Putzes abzumindern.

Luftreinigung durch Fassaden- und Dachbegrünung

Die Idee, Pflanzen und Bäume in Großstädten zu integrieren, um die Luftverschmutzung durch Feinstaub und Luftschadstoffe zu reduzieren, ist nicht neu. Allerdings stehen im begrenzten Straßenraum großer Städte nicht in ausreichendem Maße Flächen zur Begrünung zur Verfügung. Deswegen rückt die Möglichkeit der Dach- und Fassadenbegrünung in den Fokus der Betrachtungen.

Während die klassische natürliche Fassadenbegrünung durch Selbstklimmer (zum Beispiel Efeu) durchaus zu Fassadenschäden führen kann, sind neueste Fassadenbegrünungssysteme moosbasiert. Moose vergrößern ihre spezifische Oberfläche um das 30 fache und sind negativ geladen, so dass die positiv geladenen Teilchen des Feinstaubes angezogen werden.

Der Großteil des Feinstaubes wird verstoffwechselt. Berücksichtigt man, dass die amorphe Moosoberfläche gleichzeitig Schall absorbierend wirkt und durch die Bewässerung der Pflanzen Verdunstungskälte entsteht, ist darstellbar, solche Moossystemwände gezielt zur Verbesserung des Innerstädtischen Kleinklimas einzusetzen.

Luftreinigung durch Titandioxid

Bei der Photokatalyse dient Titandioxid (TiO2) als Katalysator. Unter Einstrahlung von UV-Licht werden an der Oberfläche des Titandioxids (zum Beispiel eines Dachsteins) freie Radikale gebildet, die organische Substanzen zersetzen und gasförmige Stoffe oxidieren können. Im Falle der Oxidation von Stickoxiden (zum Beispiel Autoabgase) erfolgt eine Umwandlung von NO und NO2 in Nitrat (NO3). Dieses Salz ist gut in Wasser löslich, in geringen Dosen unbedenklich für die Umwelt und wird mit dem Regenwasser von der Oberfläche abgeführt.

Titandioxid wird bereits erfolgreich zur Selbstreinigung von Bauelementen (zum Beispiel bei Dachsteinen – dort gibt es dann keine Algen mehr) eingesetzt. Denkbar sind deshalb auch gezielte Anwendungen an Gebäudefassaden, um den durch das Auftreten von UV Strahlen eintretenden chemischen Effekt zur Zersetzung von Feinstäuben zu nutzen.

Regen- und Grauwassernutzung

Zusätzlich zu den Urbanisierungseffekten verstärkt der Klimawandel die Häufigkeiten extremer Witterungsereignisse wie Starkregen oder Hitze-/Trockenperioden in den Städten. Seit Jahrzehnten leisten deshalb begrünte Dächer einen Beitrag zur Speicherung und damit zur Verstetigung des Wasserabflusses einerseits und zur Vorreinigung der Niederschlagswässer durch Erdfiltersysteme.

Aktive Systeme bereiten Regenwasser und Grauwasser zur weiteren Verwendung in den Gebäuden auf. Dies führte zu einer signifikanten Reduktion des Frischwasserverbrauches und in bestimmten Städten/Stadtbezirken bereits zu „Abwassermangelerscheinungen“ in den Vorflutern. Dennoch sind mittelfristig betrachtet Investitionen in dezentrale Regenwasserspeicherung sowie Grau/Regenwassernutzungssysteme nachhaltig, da sich so die Reinvestitionen in zentrale Anlagen verringern werden. Im Gegensatz zu Einfamilienhauslösungen mit relativ hohen Investitionskosten bezogen auf den Schmutzwasseranfall, ergeben sich bei Stadthäusern mit 30 oder mehr Bewohnern, auch bei Nachrüstungen, Einsparpotentiale die eine Amortisation innerhalb von 10 Jahren möglich erscheinen lassen. (Dehoust, 2012)

Nahrungsmittelherstellung in den Städten

Eine wesentliche Folge des Anwachsens der Städte ist auch die Versorgung immer größerer Menschenmengen mit Lebensmitteln, deren Transport hin zum Verbraucher und im weiteren der Abtransport des Mülls. Ein Ausweg aus dieser Misere könnte sein, einen Teil, besonders der frischen Lebensmittel, wie zum Beispiel Obst und Gemüse innerhalb der bebauten Flächen herzustellen und damit gleich mehrere Problematiken zu mildern:

Ein Verkürzen der Transportvorgänge reduziert die Schadstoffzufuhr in die Stadtluft, Pflanzen wandeln Kohlendioxid in Sauerstoff um und binden gleichzeitig Feinstaub, Pflanzen verdunsten Wasser und kühlen so gegebenenfalls ihre Umgebung. Diese neue Form des Gärtnerns hat sich unter „urban farming“ einen Namen gemacht und wird in vielen Städten praktiziert. Für Dachdecker erschließen sich mit dem Bau solcher Stadtgärten beziehungsweise auch Gründächern vielfältige neue Betätigungsfelder.

Die Dachfarm

In Deutschland stehen theoretisch etwa 360 Mio. m2 Dachfläche für den möglichen Anbau von Obst und Gemüse zur Verfügung. In den USA wurden, aufgrund der dort sehr weit aufgefächerten Stadtlandschaften, schon vor Jahren auch kommerziell ausgerichtete Dachgewächshäuser errichtet.

Dachgewächshäuser sind in der Regel nicht verfahrensfrei zu errichten und müssen deshalb auf deren baurechtliche Machbarkeit überprüft und in einem regulären Genehmigungsverfahren zugelassen werden.

Für die kommerzielle Nutzung von Dachgewächshäusern ist dies als Zweig der Landwirtschaft den Gartenbaubetrieben und nicht den Gewerben zuzuordnen. Dadurch ist die Nutzung zulässig in:

Kleinsiedlungsgebieten (§ 2 BauNVO),

Dorfgebieten (§ 5 BauNVO),

Mischgebieten (§ 6 BauNVO),

Sondergebieten (§§10,11 BauNVO) falls im Bebauungsplan ausdrücklich als zulässig benannt,

Allgemeinen Wohngebieten (§4 BauNVO) falls diese hier ausnahmsweise zugelassen wurden.

Anbau in Erde

Hierbei handelt es sich um das klassische Anbauverfahren, das allerdings auf Dächern eher selten verwendet wird. Zumeist sind vorhandene Dächer nicht darauf ausgelegt hohe Erdlasten aufzunehmen. Darüber hinaus muss die intensiv bebaute Erde regelmäßig ausgetauscht werden. Anderseits kann der Anbau von biozertifizierten Produkten für den Anbau in Erde sprechen.

Substratanbau

Bei dieser Anbaumethode werden leichtere Materialen wie Perlite, Lavastein, Mineralwolle oder ähnliches als Anbaumedium verwendet. Es können sogenannte Tischsysteme verwendet werden, die die Erntegeschwindigkeiten erhöhen und damit die Produktionskosten senken. Bereits mit geringen Schichtstärken ab 8 cm können bestimmte Kräuter und Salate angebaut werden, ab 15 cm zum Beispiel Erdbeeren.

Hydroponischer Anbau

Die Hydrokultur oder Hydroponik ist eine Art der Pflanzenhaltung, bei der die Pflanzen in einem anorganischen Substrat (zum Beispiel Steinwolle, Kokosfaser oder Perlite) statt im Boden wurzeln. Die Ernährung der Pflanzen geschieht über eine Lösung, die Nährsalze enthält. Beim Substratanbau von Fruchtgemüse im Gewächshaus wird weniger als ein Fünftel der Bodenfläche mit 7 cm hohen Substratmatten belegt. Die Pflanzen werden in einer Halterung eingebracht und von unten mit Wasser und Nährlösung bespült. Im Vergleich zu einer geschlossenen, 15 cm starken Pflanzschicht aus Erde ist dies weniger als ein Zehntel des Volumens. Durch das geringe Gewicht können diese Anlagen auf praktisch jedem Dach montiert werden. Auch ist es möglich, mehrere Ebenen übereinander anzuordnen, um die Erträge zu steigern.

Aquaponischer Anbau

Durch die Koppelung der Wasserzuchtverfahren mit dem Anbau von Pflanzen (Fischzucht, Gemüse beziehungsweise Fruchtzucht) werden sehr hohe Synergieeffekte erzielt. Allerdings sind derzeit die Kosten für solche Anlagen noch recht hoch.

Kleintierhaltung in der Stadt

In französischen Baumärkten können Stadtbewohner Volieren samt tierischem Bewohner kaufen und so ihr tägliches Frühstücksei auf dem Balkon oder dem eigenen Dach produzieren. Die Kleintierhaltung für den „Eigenbedarf“ stellt in Dorfgebieten oder allgemeinen Wohngebieten kein Problem dar, da es sich bei einem Hühnerstall um eine bauliche Nebenanlage handelt und das Gebiet trotzdem noch vorwiegend dem Wohnen dient.

Dies gilt jedoch nicht für die kommerzielle „Produktion“ von Eiern. Die derzeitige Rechtssprechung in Deutschland sieht die Grenze bei mehr als 20 Hennen und einem Hahn. Volieren auf dem Flachdach eines Gebäudes sind kein (Voll-) Geschoss, solange diese keine Höhe von 2,30 m aufweisen (Quelle: LBO BadenWürttemberg).

Häuser der Zukunft sind multifunktionell

Häuser der Stadt werden in Zukunft mehr Funktion haben als nur das Wohnen. Die Potentiale sind vorhanden, die Flächen von Gebäuden für den Menschen nutzbar zu machen.

Die Möglichkeit zur Nahrungsmittelherstellung zum Beispiel ist in deutschen Städten durchaus vorhanden. Allerdings sind viele Städte vergleichsweise nah an den landwirtschaftlichen „Standardfeldern und Gärten“ gelegen, so dass sich diese Form der Nahrungsmittelherstellung sicherlich vorerst nicht durchsetzen wird. Auch kommerzielle Anlagen (zum Beispiel Dachgewächshäuser) werden sich womöglich – wegen der Nähe zu ackerbaulichen Flächen – nicht durchsetzen. In den Megastädten Asiens und Amerikas scheint die Möglichkeit des Urban Farming dagegen realistischer.

Nicht zu unterschätzen ist allerdings der Trend, Gemüse selbst anzubauen. Unter dem Stichwort „Essbare Stadt“ gibt es viele Initiativen, die es zu beobachten gilt. Hängende Gärten mit Früchten, die zum Essen einladen, hat es schon in der Antike gegeben, warum also sollen sie keine Renaissance erfahren?!

Autor

Dipl. Ingenieur (FH) Holztechnik Gerhard Lutz ist Ressortleiter und Wissenschaftlicher Berater im Kompetenzzentrum für Holzbau & Ausbau in Biberach.

QuellenZukunftsorientierte Lösungsansätze für verdichteten Wohnungsbau. Bachelorthesis von Daniel Schank, 2014, an der Hochschule Biberach/Riß (bei Vertr. Prof. Dipl. Ing. Gerhard Lutz).

Stadtlärm ist ein unterschätztes Problem, dem mit schallabsorbierenden Fassadenlösungen begegnet werden kann

In Deutschland stehen theoretisch rund 360 Mio. m2 Dachfläche für den möglichen Anbau von Obst und Gemüse zur Verfügung

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