Denkmalgerechte Translozierung

Grenzübergreifend im Dreiländereck von Deutschland, Polen und Tschechien gibt es die sogenannten „Umgebindehäuser“. Diese dort typische Bauart verbindet Blockbau, Fachwerk- und Massivbauweise miteinander. Der Bericht zeigt eine gelungene Translozierung des „Stellmacherhauses“ nach Zgorzelec.

Die Umgebindehäuser entstanden bereits im 15./16. Jahrhundert. Dorfhandwerker vereinten seinerzeit in einem Optimierungsprozess die Fachwerk- und Blockbauweise miteinander. Die Blockstube – einem Holzkasten gleich – wird hierbei von einem Tragwerk „umbunden“, auf dem das Dach oder Fachwerkobergeschoss ruht. Diese Stützkonstruktion ist das Umgebinde. Für diese Bauweise gab es auch einen praktischen Grund. Der Webstuhl in der Wohnstube sollte seine Schwingungen nicht auf das Tragwerk übertragen.

Die Anforderungen von Wohnen und Arbeiten wurden in idealer Weise durch die geeignete Verwendung vor Ort vorkommender Materialien und den daraus entwickelten Konstruktionen erfüllt. Die verschiedenen Haustypen, Bauelemente und Materialkombinationen mit Bruchstein-, Ziegel- und Natursteinmauerwerk sowie Blockbau und Fachwerk erfordern eine intensive Ausein-andersetzung mit den verschiedenen Baugefügen.

Das mehrstöckige „Stellmacherhaus” aus dem Jahr 1822 ist als Stock-Umgebindehaus mit Block-Erdgeschoss und Fachwerkstock ein wertvolles Beispiel der ehemaligen Lausitzer Architektur. Es sind die vielen Details, die die Einzigartigkeit dieses Baudenkmals ausmachen, wie zum Beispiel die Pfosten mit Zierholzschnitzereien, verstärkt mit kurzen, bogenförmigen Kopfbändern, das Mansardendach, das Portal und die schmiedeeisernen Elemente der Türen und Gitter.

Die bereits vom Verfall bedrohte bauliche Pracht schien endgültig dem Untergang geweiht. Denn der Fachwerkbau stand ursprünglich im 23 km entfernten Wigancice Žytawskie. Diese alte Dorflandschaft sollte wegen der Expansion des nahegelegenen Bergwerks Turów vollständig eingeebnet werden. Dann kam die Idee der Verlegung, der Translozierung (Gebäudeversetzung) des kompletten Bauwerks. Öffentliche Mittel wurden zugesagt und das Projekt konnte starten.

Demontage des Stellmacherhauses

Bereits 1999 erfolgte eine exakte zeichnerische Bestandsaufnahme sowie eine detaillierte Bau- und Zustandsbeschreibung als Dokumentation und Grundlage der Translozierung.

Zur Sicherung des Gebäudes wurden zunächst die Fenster und Türen des Stellmacherhauses komplett ausgebaut und die Öffnungen mit Brettern geschlossen. Zur Vermeidung von Feuchte- und Schwammschäden an den Hölzern wurden die Fußböden und die Lehmfüllungen entfernt.

Der „Rückbau“ wurde 2005 in Form einer wand- beziehungsweise gebindeweisen vorsichtigen und substanzschonenden Demontage in nur drei Tagen vorgenommen. Nach Abnahme der Dachziegel wurden die 520 Einzelteile der Konstruktionshölzer von Blockstube, Umgebinde und Fachwerkskelett einzeln nummeriert und mit „Adolit Holzwurmfrei“ imprägniert. Die demontierten Holzbalken, die nicht sofort geschützt werden, unterliegen meist einem beschleunigten Zerfall. In diesem Fall gelang es aber, alle Teile binnen zwei Wochen sorgfältig mit Hilfe von Remmers-Produkten zu konservieren. Die Zeit wurde eingesetzt, um allseitig einen sehr effektiven vorbeugenden und bekämpfenden Holzschutz am Einzelteil durchzuführen. Auf Grund des guten Zustandes des Lärchenholzes mussten aber nur sechs Teile ersetzt werden!

Der Abbau des ersten Stockwerkes erfolgte ohne ­Demontage der Pfeiler des Umgebindes, die mit den Holmen verbunden waren. Der Transport erforderte deshalb den Einsatz von Spezialfahrzeugen. Der Trans­­­­­­port der Ladung mit Übergröße – die längsten transportierten Pfeiler hatten die Länge von 17,05 m – wurde durch die örtliche Polizei gesteuert.

Wiederaufbau am neuen Standort

Neun Tage dauerte das Aufrichten der Holzkonstruktion am neuen Standort in Zgorzelec und der Zusammenbau des originalen Stützwerks ohne Schrauben und Nägel. Zur Vorbereitung war der gemauerte Teil des Erdgeschosses und der Keller mit Betondecke bereits fertig gestellt, ebenfalls die Kreuzgewölbe aus Ziegel.

Für die denkmalgerechte Sanierung der Holzteile und für den Bautenschutz setzten die Handwerker Remmers-Produktsysteme ein. Deshalb waren bei der Restaurierung die Experten des Löninger Unternehmens von Anfang an in die Zusammenarbeit der Baudenkmalpflege und der beteiligten Unternehmen eingebunden.

Zur Bekämpfung holzzerstörender Insekten und Pilze sowie zum Schutz der Holzkonstruktion vor Neubefall wurden „Adolit Holzwurmfrei“ und „Anti Insekt“ eingesetzt. Für den dekorativen Holzschutz gelangte die HK-Lasur zum Einsatz, die das Konstruktionsholz auch vor Bläue, Fäulnis, Algen, Insekten und UV- Strahlung sowie Feuchte schützen soll. Gefachfüllungen, die nicht erhalten werden konnten, wurden mit Gefachmörtel neu ausgefacht. Nachdem bei den Innenwänden, Decken und Blockhölzern die alten Farbschichten abgenommen wurden, zeigen sie jetzt wieder zum größten Teil die ursprüngliche Schönheit durch eine Beschichtung mit farbigem Hartwachs-Öl.

Umfangreiche Restaurierungsarbeiten

Remmers-Produkte kamen auch bei der Bauwerksabdichtung und zur Verfestigung der Natursteinelemente zum Einsatz. So wurde der Sandstein hydrophobiert und damit gegen Durchfeuchtung und Zerfall geschützt. Fehlstellen wurden mit farblich angepasstem Restauriermörtel ausgebessert. Als Fußboden wurden in der Blockstube die auf dem Dach nicht wieder verwendbaren alten Biberschwänze verlegt. Sie erhielten als „Finish“ eine Epoxy Imprägnierung.

Alles wurde liebevoll restauriert: die geschnitzten und profilierten Holzteile der Umgebindeständer und der Decke in der Blockstube, das Portal und die Steingewände der Fenster, die Fensterbekleidungen und die Schmiedearbeiten zeigen jetzt wieder die außerordentliche Lausitzer Handwerkskunst.

80 Prozent der Fenster und Türen, inklusive Futter und Innenbekleidungen, blieben erhalten. Von den 66 Außenfenstern wurde der weitaus größte Teil wieder eingebaut, weitgehend auch die mundgeblasenen Glasscheiben aus der Entstehungszeit. Die Fenster und die Türen sind zum Teil original aus der Bauzeit erhalten, wie die Haustür und die handgeschmiedete Stahltür zum ehemaligen Werkstattbereich.

Heute ist keine Spur mehr von dem Dorf Wigancice geblieben. Das Stellmacherhaus ist der letzte Zeuge der Dorfgeschichte. Mit der Translozierung wurde eine Epoche abgeschlossen, ein Stück der Geschichte darf nun in Zgorzelec weiterleben. Die Translozierung wurde 2012 mit dem Bernhard-Remmers-Preis ausgezeichnet.

Autor

Prof. Dipl.-Ing. Manfred Gerner ist Präsident der Arbeitsgemeinschaft deutsche Fachwerkstädte e.V. und leitete unter anderem lange Jahre die Propstei Johannesberg – das deutsche Zentrum für Handwerk und Denkmalpflege.

Quellen: Der Text basiert zudem auf Beiträgen der Autoren Wojciech Kapałczyński (Leiter der Filiale der Denkmalschutzbehörde in Jelenia Góra) und Jacek Olesiak (Konservator).

Für die Translozierung wurden die 520 Einzelteile nummeriert, konserviert und wieder aufgebaut

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