Autarkes Tiny House aus natürlichen Baustoffen

„Circular Tiny House“ aus Holz, Stroh und Lehm in Coburg gebaut

Auf dem Gelände der Hochschule Coburg ist im Rahmen eines studentischen Forschungsprojekts ein „Circular Tiny House (CTH)“ entstanden. Gebaut wurde es mit natürlichen Baustoffen wie Lehm, Stroh und Holz. Der Strom- und Heizwärmebedarf des Hauses wird über Photovoltaikmodule gedeckt.

Laut einer UN-Studie ist der Bausektor weltweit für fast 40 Prozent der CO2-Emissionen und bundesweit für rund 50 Prozent des Mülls verantwortlich. Hinzu kommen ein zunehmender Mangel an bezahlbarem Wohnraum, explodierende Preise auf dem Immobilienmarkt sowie ein hoher Flächenverbrauch, den die Bundesregierung bis zum Jahr 2030 deutlich senken will. Experten fordern in diesem Zusammenhang ein Umdenken und alternative Lösungsansätze. Hier setzt die Idee der sogenannten Tiny Houses an. Die kleinen, freistehenden Häuser verfügen über eine Nutzfläche zwischen 15 und 45 m2 und erfreuen sich großer Beliebtheit. Laut des deutschen Tiny-House-Verbands hat sich der Markt für die Minihäuser in Deutschland in den vergangenen Jahren rasant entwickelt. Demnach erhöht sich fast monatlich die Zahl der unterschiedlichen Mini-Hausvarianten und Hersteller. Experten wie Prof. Dr. Rainer Hirth, Prodekan der Fakultät Design an der Hochschule Coburg, sehen im Tiny House jedoch keine Generallösung für politische und bauliche Herausforderungen. Vielmehr eigne es sich als Sonderlösung zur Nachverdichtung von Baulücken und ungenutzten Restflächen im städtischen Raum. So können wertvolle Flächen optimal genutzt und sparsame Minihäuser geschaffen werden, die für viele Menschen erschwinglich sind.

 

Minihaus ohne Beton und Stahl

Ein besonders nachhaltiges Minihaus – ein sogenanntes „Circular Tiny House“ (CTH) – mit hoher Autarkie, das kein CO2 ausstößt, dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft entspricht und ohne jeglichen Abfall wieder zurückgebaut werden kann, hat ein studentisches Team um Prof. Hirth zu Forschungszwecken auf dem Campus der Hochschule Coburg errichtet. Mithilfe von eigens erstellten Entwürfen ist so ein Tiny House ohne Rollen entstanden, das gänzlich auf die Baustoffe Beton und Stahl verzichtet.

Das „Circular Tiny House“ auf dem Gelände der Hochschule Coburg besteht ausschließlich aus nachwachsenden, wiederverwendbaren Baustoffen
Foto: Sebastian Kolm

Das „Circular Tiny House“ auf dem Gelände der Hochschule Coburg besteht ausschließlich aus nachwachsenden, wiederverwendbaren Baustoffen
Foto: Sebastian Kolm

Das Tiny House verfügt über 18 m² Wohnfläche, verteilt auf zwei Geschosse. Dadurch wirkt es besonders großzügig. Das CTH bietet Platz für ein Doppelbett, einen Laptop-Arbeitsplatz, ein Sofa zum Entspannen, eine „Smart Kitchen“, ein Bad und Stauraum. Außerdem ist in dem Haus Platz für drei Personen zum gemeinsamen Essen.

 

Lehm als zirkulärer Baustoff

Die tragende Konstruktion des Minihauses besteht ausschließlich aus Holz, das aus geschädigten Kiefern- und Fichtenbeständen aus der unmittelbaren Umgebung gewonnen wurde. Für die Dämmung der Wände wurde der nachwachsende und CO2-speichernde Rohstoff Stroh gewählt. Die Herausforderung bestand darin, aus diesem sehr weichen, flexiblen Material eine Wand zu errichten, die verputzt werden konnte.

Das Auftragen des Lehmputzes auf der Innenseite der Strohwand erfolgte in rund acht Arbeitsgängen
Foto: Markus Pollach

Das Auftragen des Lehmputzes auf der Innenseite der Strohwand erfolgte in rund acht Arbeitsgängen
Foto: Markus Pollach
Als natürliche Ergänzung zum Baustoff Stroh nutzte man für die Innenwände einen Grundputz, Feinputz und Lehm-Wandfarbe des Herstellers Lehmorange. Als einer der ältesten Baustoffe der Welt zeichnet sich Lehm durch seine guten bauphysikalischen Eigenschaften aus. Er besteht aus rein natürlichen Materialien wie Ton, Steinen, Sand und Kies und wirkt sich dank seiner hohen thermischen Masse positiv auf das Raumklima aus. So verfügt Lehm über eine ausgeprägte Energiespeicherfähigkeit sowie thermische Trägheit. Damit sorgt er im Sommer für einen angenehmen Kühleffekt und trägt im Winter zu einer angenehmen Raumwärme bei. Lehm ist zudem diffusionsoffen und kann überschüssige Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen. Er ist zudem in der Lage, Gerüche aufzunehmen und hochfrequente elektromagnetische Strahlung abzuschirmen. Weil Lehm als Naturprodukt regional gewonnen und rückstandslos in den Natur- oder Produktkreislauf zurückgeführt werden kann, eignet er sich besonders für den Einsatz in zirkulär geplanten Bauprojekten.

 

Schicht für Schicht

Der Lehmputzauftrag auf der Innenseite der Strohwand im „Circular Tiny House“ erfolgte in rund acht Arbeitsgängen, die jeweils eine eigene Trocknungszeit benötigten. Die Putzarbeiten wurden in der kühlen und relativ trockenen Luft der Wintermonate November und Dezember durchgeführt. Der Putz wurde mit einem Lüfter beheizt und belüftet und trocknete schnell aus, sodass die Arbeiten in sechs Wochen abgeschlossen werden konnten. Im letzten Arbeitsschritt wurden die Wände mit Lehmfarbe von Lehmorange gestrichen. Die so errichteten, 35 cm dicken Stroh-Lehm-Wände verfügen über einen U-Wert von 0,13 W/m2K, der unter den Anforderungen eines Passivhauses liegt und den Heizenergiebedarf damit insgesamt niedrig hält.

 

Lehm-Heizelemente für den Dachausbau

Die elektrische Strahlungsheizung im Dach sorgt für ein angenehmes Raumklima und ist von innen nicht sichtbar
Foto: Sebastian Kolm
Die elektrische Strahlungsheizung im Dach sorgt für ein angenehmes Raumklima und ist von innen nicht sichtbar
Foto: Sebastian Kolm

Das CTH arbeitet energetisch autonom und deckt seinen gesamten Energiebedarf durch die Sonne. Die notwendige Wärme für die Bewohner wird über eine elektrische Strahlungsheizung von Lehmorange zugeführt. Diese wird von insgesamt zwölf PV-Paneelen auf dem Dach gespeist. In der Dachschräge wurden neben Basis-Lehm-platten insgesamt vier Lehm-Heizelemente mit einer Größe von 1250 x 625 mm und einer Dicke von 22 mm eingebaut. Das Besondere dabei: Direkt in die Lehm-platten integriert ist ein Karbonvlies, das mit Schwachstrom beheizt wird. Es wandelt die per Heizdraht zugeführte, elektrische Energie nahezu verlustfrei in Wärme um. Da die Wärme direkt an den Baustoff Lehm mit seiner guten Wärmespeicherkapazität weitergeleitet wird, entstehen keine Energieverluste. Die Strahlungsheizung sorgt für ein behagliches Raumklima.

 

Fünf Jahre bis zum Rückbau

Das CTH auf dem Hochschulcampus in Coburg wird künftig als Gästewohnung für Dozenten und Studenten genutzt. Über einen Zeitraum von etwa fünf Jahren möchte das Projektteam per Monitoring belegen, dass sich ein solches Gebäude ausschließlich mit Photovoltaik-Kollektoren betreiben lässt. Nach Ende der Mess- und Nutzungszeit wird das Minihaus rückstandsfrei demontiert. Dabei kann das Lehm-Stroh-Gemisch auf einem nahegelegenen Feld untergepflügt werden. Der Draht aus den Lehm-Heizelementen wird geborgen und separat entsorgt. Die Lehmplatten selbst können recycelt und wiederverwendet werden.

Mehr über das Circular Tiny House lesen Sie hier

Autor

Florian Bielmeier ist Produktmanager bei der Lehmorange GmbH in Pfeffenhausen.  


Bautafel (Auswahl)

Bauvorhaben Forschungsprojekt „Circular Tiny House“

Bauherr Hochschule Coburg, Fakultät Design

Architektur/Projektleitung Prof. Dr. Rainer Hirth, LBA Anders Macht, cand. Arch. Christopher Nguyen, cand. Arch. Till-Oliver Frank

Hersteller Lehmprodukte Lehmorange, Pfeffenhausen, www.lehmorange.de

Bauzeit 9.2021 bis 6.2022

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