Rückblick auf den Fachkongress für Absturzsicherheit 2025 in Berlin
Exkursion zum Axel-Springer-Neubau mit Live-Vorführung von HöhenarbeitenRund 190 Teilnehmende besuchten den 9. Deutschen Fachkongress für Absturzsicherheit am 25. und 26. November 2025 in Berlin. Neben informativen Fachvorträgen gab es auf dem diesjährigen Kongress eine spannende Exkursion zum Axel-Springer-Neubau in Berlin inklusive einer Live-Demonstration der Höhenarbeiten an der Fassade mit Seilzugangstechnik.
Dieses Jahr fand der Deutsche Fachkongress für Absturzsicherheit bereits zum neunten Mal statt. Wie relevant das Thema Absturzsicherheit nach wie vor ist, zeigt ein Blick auf aktuelle Statistiken der BG Bau: Für die ersten zehn Monate des Jahres 2025 wurden der BG Bau nach vorläufigen Zahlen 75 000 Arbeitsunfälle gemeldet – 6178 davon waren Absturzunfälle (2024 waren es insgesamt 7231 Absturzunfälle). Von diesen Absturzunfällen endeten bereits in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 26 tödlich und damit genauso viele wie im gesamten Jahr 2024.
Mehr als ein Drittel der tödlichen Absturzunfälle in diesem Jahr ereignete sich bei Dacharbeiten. Die meisten dieser Unfälle seien auf Durchstürze durch nicht durchtrittsichere Dachbereiche wie etwa Licht- oder Dachplatten zurückzuführen, erklärte Prof. Dr.-Ing. Marco Einhaus auf dem Kongress, er ist kommissarischer stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Prävention der BG Bau. Drei tödliche Absturzunfälle in diesem Jahr standen laut BG Bau im Zusammenhang mit Arbeiten an Photovoltaikanlagen, etwa deren Montage oder Reinigung.
Sicheres Arbeiten an Photovoltaikanlagen
Um die Absturzgefahr bei der Montage und Wartung von Photovoltaikanlagen zu reduzieren, sollten laut der BG Bau für den sicheren Zugang zum Dach Gerüste mit Treppenaufstieg oder Treppentürme genutzt werden. Anlegeleitern seien für diesen Zweck nicht geeignet. Eine andere Möglichkeit ist, die PV-Module per Kran auf das Dach zu heben. Bei der Montage von Photovoltaikanlagen auf Steil- und Flachdächern sollten außerdem Wartungswege für spätere Arbeiten eingeplant werden, was laut Marco Einhaus häufig nicht umgesetzt werde. Zudem verwies er auf eine Themenwebseite der BG Bau, die weitere Informationen enthält (siehe unter www.bgbau.de/solaranlagen).
Digitale Lösungen zur Prävention von Absturzunfällen
Digitalisierung, Robotik und KI sind Themen, die im Baubereich immer mehr Fahrt aufnehmen – und auch auf dem Fachkongress für Absturzsicherheit in diesem Jahr eine wichtige Rolle spielten. So nannte Marco Einhaus aktuelle Beispiele für den Einsatz von digitalen und KI-gesteuerten Lösungen im Baubereich, durch die Risiken bei der Arbeit in der Höhe minimiert werden sollen, etwa die Reinigung von Fassaden durch Drohnen oder den robotergestützten Aufbau von Gerüsten. Außerdem wurde auf dem Kongress die Quin-Sensortechnologie vorgestellt, die es ermöglicht, wichtige medizinische Daten digital auf einem Sensor („Quin-Tag“) zu speichern, der am Helm oder der Kleidung befestigt wird. Im Notfall können Rettungskräfte auf diese Daten zugreifen, indem sie ihr Smartphone an das Tag halten.
Wartungs- und Inspektionsarbeiten mit Drohnen
Eine Möglichkeit, um Arbeiten in der Höhe sicher zu gestalten, ist der Einsatz von Drohnen, wie Friederike Biffar vom Start-up Aithon Robotics aufzeigte
Foto: Stephan Thomas
Eine Möglichkeit, um Arbeiten in der Höhe sicherer zu gestalten und Absturzgefährdungen zu vermeiden, ist der Einsatz von Drohnen. Wie sich nicht nur Inspektions-, sondern auch Wartungsarbeiten an schwer zugänglichen Bereichen in der Höhe mit Drohnen durchführen lassen, zeigte Friederike Biffar vom Unternehmen Aithon Robotics auf dem Kongress in Berlin. Das Start-up aus der Schweiz hat eine spezielle Drohne entwickelt, die mit verschiedenen Werkzeugen (bis 5 kg Maximalgewicht) ausgestattet werden kann. Je nach Ausstattung kann die Drohne entweder Kernbohrungen durchführen, Sensoren platzieren, Scans vornehmen oder einen Korrosionsschutz auftragen. Die Drohne wird dabei von einem Mitarbeitenden von Aithon Robotics zu ihrem Einsatzort geflogen und dort sicher positioniert. Danach kann sie mit ihren Wartungs- oder Inspektionsarbeiten beginnen. Friederike Biffar betonte, dass Aithon Robotics derzeit europaweit nach Projektpartnern sucht, die das Drohnensystem für Arbeiten in der Höhe einsetzen möchten. Weitere Informationen und den Kontakt zum Unternehmen finden Sie online unter www.aithon-robotics.ch.
Präzedenzfall als Weckruf an die Bauindustrie
Fachanwältin Manuela Reibold-Rolinger stellte auch dieses Jahr auf dem Fachkongress für Absturzsicherheit aktuelle Rechtsfälle zur Diskussion
Foto: Dennis Rabeneick
Die Fachanwältin Manuela Reibold-Rolinger stellte auf dem Fachkongress erneut aktuelle Rechtsfälle vor, zum Beispiel einen Fall aus Österreich, der als rechtlicher Präzedenzfall und Weckruf an die gesamte Bauindustrie zu sehen sei, so die Fachanwältin. In diesem Fall verletzte sich ein Arbeiter bei einem Sturz aus 8 m Höhe schwer, da der Vorarbeiter fahrlässig gegen die Arbeitnehmerschutzvorschriften der bauausführenden GmbH verstoßen habe. Der Vorarbeiter hatte angeordnet, eine 120 kg schwere Glasscheibe händisch aus dem Rahmen zu heben, anstatt auf den Kran zu warten. Geklagt hatten in diesem Fall die Sozialversicherungen, die die bezahlten Leistungen für den Arbeitnehmer von der bauausführenden GmbH erstattet haben wollten. Der OGH urteilte, der Vorarbeiter sei nicht nur eine ausführende Arbeitskraft, sondern als Repräsentant des Unternehmens zu betrachten. Sein Handeln werde direkt dem Unternehmen zugerechnet, welches für leitende Mitarbeiter und deren Fehlverhalten verantwortlich sei. Die bauausführende GmbH muss daher der Sozialversicherung die Kosten ersetzen, da der Unfall durch grobe Pflichtverletzung verursacht wurde.
Gefährliche Situationen auf dem Dach
Bernd Lausch, Leiter der Gebäudetechnik bei Dussmann Facility Management, berichtete auf dem Kongress über Herausforderungen im Gebäudebetrieb. Aus seiner langjährigen Erfahrung als Fachkraft für Arbeitssicherheit und Auditor von Dachflächen beschrieb er „Do’s & Dont’s“ in der Gebäudetechnik und zeigte Negativbeispiele von gefährlichen Dächern. So fehlten seiner Erfahrung nach oft Geländer oder Anschlagpunkte oder Dächer seien so gestaltet, dass Gefahrensituationen entstehen, wie zum Beispiel ein Durchstürzen durch Dachöffnungen oder ein Stolpern über die Attika. Auch beim Dachzugang mit Leitern kann es zu gefährlichen Situationen und Unfällen kommen, da Leitern keine integrierte Absturzsicherung haben, anders als etwa eine Hubarbeitsbühne. Diese gelten laut der BG Bau als sichere Alternative zu Leitern.
Sicherheit auf Hubarbeitsbühnen
Janina Hintermayer von der IPAF widmete sich in ihrem Vortrag der Sicherheit bei der Verwendung von Hubarbeitsbühnen
Foto: Stephan Thomas
Dennoch sind Hubarbeitsbühnen nicht per se sicherer, da Bedienungsfehler und Fahrlässigkeit ebenfalls zu schweren Unfällen führen können. Das zeigte Janina Hintermayer von der IPAF (International Powered Access Federation), die sich in ihrem Vortrag der Sicherheit bei der Verwendung von Hubarbeitsbühnen widmete. Dabei ging sie zunächst auf das relevante Regelwerk ein und erläuterte, nach welchen Kriterien die Maschinenauswahl zu erfolgen hat: Neben dem Gelände sind hier vor allem die erforderliche Höhe, die zu hebende Last oder die auszuführenden Arbeiten zu nennen. Zur Verdeutlichung beschrieb sie eindrücklich Unfälle mit Hubarbeitsbühnen, die auf menschliches Versagen zurückzuführen waren. So kostete beispielsweise eine nicht abgesperrte Straße einem Arbeiter in Großbritannien das Leben, als ein Doppeldeckerbus den Korb einer Arbeitsbühne übersah. Um solche Unfälle zu verhindern, bietet die IPAF Bedienerschulungen über externe Schulungszentren sowie kostenloses Info- und Lehrmaterial an. Weitere Infos dazu gibt es unter diesem Link.
Die Geschichte der Seilzugangstechnik
Wenn die Arbeit mit Hubarbeitsbühnen nicht möglich ist, wird auf Seilzugangstechnik zurückgegriffen. Einen historischen Streifzug durch das Thema unternahmen Frank Seltenheim und Sven Drangeid von der Zitras Gesellschaft für sichere Höhenarbeiten in ihrem Vortrag. Bis in die 1990er Jahre fehlten Rechtsgrundlagen für Seilzugangstechniken, in der Bundesrepublik war Industrieklettern untersagt, im Gegensatz zur ehemaligen DDR. 1995 nahm das Thema mit der Verhüllung des Reichstagsgebäudes durch Christo Fahrt auf. Dafür wurden knapp 100 ausgebildete Industriekletterer gebraucht, deren Einsatz sollte aber auf das Event beschränkt sein. Die Reichstagsverhüllung beeindruckte nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Fachleute und führte in den folgenden Jahren dazu, dass Rechtsgrundlagen geschaffen wurden. So wurden verschiedene Regelwerke aufgestellt, sowie Verbände wie der FISAT gegründet, da die Erfahrungen aus dem Projekt gezeigt hatten, wie wichtig Standards und eine systematische Ausbildung sind. Heute unterliegen Seilzugangstechniken einem festen Regelwerk. Zum Einsatz kommen sie unter anderem in Gebäuden mit hohen Glasfassaden, wie zum Beispiel dem Neubau des Axel-Springer-Medienkonzerns in Berlin.
Exkursion zum Axel-Springer-Neubau
Während einer Exkursion zum Axel-Springer-Neubau in Berlin bekamen die Fachbesucher die Gelegenheit, Industriekletterer und Seilzugangstechniken live in Aktion zu beobachten. Empfangen wurden die Gäste von Andreas Ludwigs, Geschäftsführer der Axel Springer Services & Immobilien, der einige Eckdaten zum Neubau bereithielt: Der Baustart war im Oktober 2016, die Eröffnung im Oktober 2020. Das Gebäude umfasst eine Gesamtfläche von 52 000 m² und hält 3000 Arbeitsplätze bereit, von denen aktuell jedoch nicht alle besetzt sind. Große gekrümmte Freiform-Glasfassaden, bestehend aus 1552 Scheiben, lassen viel Tageslicht in das rund 45 m hohe Atrium.
Ein Highlight des diesjährigen Fachkongresses war die Höhenarbeitsdemonstration im Atrium des Axel-Springer-Neubaus
Foto: Anna Dörscheln
Im Vorfeld der Höhenarbeits-Demonstration erläuterte Markus Füss vom verantwortlichen Ingenieurbüro Hochsicher das Seilzugangssystem im Axel-Springer-Gebäude. 80 Prozent der Reinigungs- und Wartungsarbeiten an der Fassade werden mit Seilzugangstechniken ausgeführt. Dafür wurden 1500 verdeckte Anschlagpunkte der Firma LUX-top und ein Schienensystem von Innotech montiert, wobei die Montage rund 8 Monate dauerte. Für die Arbeit in der Höhe an der Fassade führen zwei Seile von oben nach unten, die Steuerung der Winde (ein System von der Firma Mittelmann) durch die Höhenarbeiter erfolgt per Akkuschrauber. Eine Fahrt in die Höhe dauert dabei etwa 4 Minuten. Die Wartungsarbeiten finden zwei Mal im Jahr an der Fassade statt, gearbeitet wird dabei in der Regel nach dem 4-Augen-Prinzip – niemand fährt also alleine nach oben.
Fachausstellung mit Produkten zur Absturzsicherung
Die Fachausstellung des Fachkongresses für Absturzsicherheit lud in den Kongresspausen zum Austauschen und Netzwerken ein
Foto: Dennis Rabeneick
In einer begleitenden Fachausstellung im Foyer des Radisson Collection Hotels stellten die Partner und Förderer des Kongresses ihre Produkte und Services zur Absturzsicherung vor. Dieses Jahr wurde der Fachkongress unterstützt von den Firmen ABS Safety GmbH, Innotech GmbH, der Båstadgruppen aus Schweden, der Fallprotec SA aus Luxemburg, der Grün GmbH, IKAR GmbH, Spanset sowie den Firmen MIPS und Quin. Förderer des Kongresses waren die Edelrid Academy sowie die jährlich in Friedrichshafen stattfindende Fachmesse „Vertical Pro“.
Der 9. Fachkongress für Absturzsicherheit fand dieses Jahr im Radisson Collection Hotel in Berlin statt. Im „Living Tree“ im Foyer des Hotels wurden während des Kongresses Höhenarbeiten durchgeführt
Foto: Anna Dörscheln
Während des Fachkongresses wurden im „Living Tree” im Atrium des Radisson Collection Hotels in Berlin Wartungsarbeiten durch Höhenarbeiter durchgeführt. Die 16 m hohe Baumskulptur mit Vertikalbegrünung besteht aus rund 2000 Pflanzen, umfasst 120 m² und reicht bis ins sechste Stockwerk des Hotels. Das Projekt „Living Tree” erhielt vom Bundesverband Gebäudegrün die Auszeichnung „BuGG-Innenraumbegrünung des Jahres 2025“. Mehr dazu erfahren Sie hier.
Ausblick
Der Deutsche Fachkongress für Absturzsicherheit findet im kommenden Jahr bereits zum zehnten Mal statt. Aufgrund der positiven Resonanz in diesem Jahr veranstaltet der Bauverlag den Fachkongress 2026 erneut in Berlin. Das genaue Datum und der Veranstaltungsort werden rechtzeitig über die Webseite und den Instagram-Kanal des Fachkongresses bekannt gegeben. Weitere Informationen und eine Auswahl an Vorträgen des Fachkongresses für Absturzsicherheit 2025 finden Sie unter www.kongress-absturzsicherheit.de.
AutorenStephan Thomas ist Chefredakteur des Magazins dach+holzbau. Dennis Rabeneick ist Volontär in den Redaktionen der Magazine bauhandwerk und dach+holzbau.
