„Man muss im Unternehmen gemeinsame Werte schaffen, nach denen man handelt und arbeitet!“
Interview mit Jan Voges, Dachdeckermeister, ZVDH-Vizepräsident und „Roofer's Club“-MitgliedDas Aufeinandertreffen von Menschen aus der Generation der „Babyboomer“ und jungen Menschen aus der „Generation Z“ kann für Reibungen sorgen. Im Interview spricht Jan Voges, Vizepräsident des ZVDH, über seine Erfahrungen in diesem Zusammenhang und mögliche Lösungen für Dachhandwerksbetriebe.
Interview: Nathalie Brum
Herr Voges, was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen für Dachdeckerbetriebe mit Blick auf die aktuelle Situation in der Baubranche?
Jan Voges: Als größte Herausforderungen sehe ich den demographischen Wandel und den damit einhergehenden Fachkräftemangel. Ich glaube, dass wir uns in einer größeren Krise befinden als wir das aktuell wahrnehmen, weil wir Krisen immer in Verbindung mit wirtschaftlichen Problemen bringen. Die größte Herausforderung ist meiner Meinung nach, insbesondere junge Menschen aus der „Generation Z“ dazu zu bewegen, als Nachwuchskräfte in die Betriebe zu kommen und auch zu bleiben. Wenn man sich die Attribute der „Generation Z“ anschaut, dann sind das vor allem erstmal Individualisten, die freiheitsliebend sind, was mit den Hierarchien auf einer Baustelle nicht wirklich harmoniert.
Eines der größten Probleme derzeit ist außerdem, dass der gesellschaftliche Stellenwert des Handwerks einfach schlecht ist. Als unser Sohn nach dem Abitur am Gymnasium zunächst den Dachdeckerberuf lernen wollte, haben die Lehrer einen großen Aufstand gemacht.
Wie drücken sich diese Herausforderungen im täglichen Umgang mit Auszubildenden aus?
Zum Beispiel beim Thema Führerschein. Das ist ein unglaublich großes Problem. Junge Menschen machen nicht mehr unbedingt gerne den Führerschein. Ein weiteres Problem ist natürlich das Thema Erziehung. Eltern erziehen die Kinder in der „Generation Z“ nicht mehr in einem Hierarchiegefüge, sondern auf Augenhöhe und freundschaftlich. Das mag auf den ersten Blick gut sein, aber es führt zu einer extremen Überbehütung. Die „Generation Z“ ist in der realen Welt überbehütet und in der digitalen Welt unterbehütet. Ein Attribut dieser Generation ist das Sammeln risikoarmer Erlebnisse in der digitalen Welt. Im Handwerk spüren Sie jedoch die Konsequenzen ihres Handelns an jeder Ecke.
Welche Folgen hat das für Dachdeckerbetriebe?
Die Dachhandwerksbetriebe haben Probleme, ihre Termine zu halten, weil es schwer ist, belastbares, zuverlässiges Personal zu finden. Die Konsequenz ist, dass immer mehr Betriebe schließen. Man hört von vielen Inhabern, dass Sie es leid sind, sich mit solchen Personalthemen auseinanderzusetzen. Es ist schwierig, wenn man nicht mehr die Entscheidungsgewalt hat, ob die Termine auf der Baustelle eingehalten werden oder nicht.
Jan Voges ist Gründer und Inhaber des Dachdeckermeisterbetriebs Jan Voges GmbH im niedersächsischen Lamspringe und Mitglied im „Roofer’s Club“
Foto: Erdal Top
Wie lässt sich das Dachdeckerhandwerk für junge Menschen attraktiver gestalten?
Ausschlaggebend für junge Menschen ist, dass sie sich im Betrieb aufgenommen und willkommen fühlen. Das Wichtigste ist tatsächlich ein gutes Team. Ich glaube nicht, dass es mit dem Aufstellen eines Riesenrads oder Autoscooters auf dem Hof getan ist oder mit einem Grillfest, dem zweiten Fitnessraum, einer Sauna oder damit, jeden Tag Tischtennis-Rundlauf zu spielen. Das ist alles „nice-to-have“, aber ich glaube, das bringt alles nichts, wenn der Rest irgendwie nicht funktioniert. Ich glaube, dass man die Sichtweise der „neuen“ Generation, aber auch die der Babyboomer, die den größten Teil im Dachdeckerhandwerk ausmachen, verstehen muss. Sie sind in unterschiedlichen Wertesystemen aufgewachsen und das hat immer zur Folge, dass es Reibungspunkte gibt. Die gibt es ja schon zwischen Enkel und Großvater, aber da existiert eine emotionale Bindung. Diese emotionale Bindung zwischen einem Gesellen und einem Auszubildenden gibt es eben nicht.
Wie kann man für diese emotionale Bindung im Unternehmen sorgen?
Sie müssen eine Unternehmenskultur schaffen. Es muss Werte geben, nach denen wir arbeiten, handeln und diese Werte muss man zusammen im Team aufstellen. Wir müssen miteinander umgehen können, sodass wir uns streiten, aber auch die Meinung des Anderen akzeptieren können. Das ist leicht dahin gesagt, aber schwierig umzusetzen. Eine Unternehmenskultur können Sie nicht kaufen, sondern dazu müssen Sie bereit sein. Sie müssen auch Leute um sich herum haben, die ebenfalls für die Einführung einer neuen Unternehmenskultur bereit sind und das Mindset dazu haben.
Welche Tipps haben Sie für Dachdeckerbetriebe, die neue Auszubildende und Fachkräfte suchen?
Wichtig ist nach wie vor die Nutzung von sozialen Netzwerken. Mittlerweile haben viele Betriebe das Potenzial von sozialen Netzwerken erkannt. Vielleicht sollte man tatsächlich statt der jungen Menschen bei Instagram mal die Eltern bei Facebook ansprechen, um das Ziel hinter dem Ziel zu suchen. Am Ende des Tages sprechen wir auch davon, dass jemand anderes entscheidet, was für die Jugendlichen gut ist und wir wissen, dass die Eltern ein großer Impulsgeber sind.
Wie schätzen Sie das Potenzial von Frauen als Fachkräften im Dachdeckerhandwerk ein, auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels?
Wenn eine Frau ein Handwerk lernen will, dann ist das glaube ich von vorgestern, wenn man sagt, dass das zu schwer wäre. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass eine Frau auf der Baustelle sogar gut ist, weil sie ausgleichend wirken kann und Dinge mit einem ganz anderen Blickwinkel betrachten kann. Das ist unglaublich wertvoll. Was glaube ich viele Betriebe daran hindert, Frauen als Fachkräfte oder Auszubildende einzustellen, ist zum Beispiel die Gewerbeaufsicht. Wenn Sie eine Frau einstellen, brauchen Sie eine zweite Dusche, ein zweites WC. Auf der Baustelle mit dem Dixi-Klo geht das dann weiter. Das Einstellen von Frauen verhindert nicht der Unternehmer, sondern die Bürokratie.
Wie beeinflusst die Digitalisierung das Dachdeckerhandwerk, welche Chancen bietet sie?
Letztlich macht sie das Leben effizienter und sorgt dafür, dass wir viele Dinge parallel machen können. Sie hilft uns dabei, Dinge zu strukturieren und von verschiedenen Orten aus zu machen. Wir können von überall aus Rechnungen und Angebote schreiben. In unserem Betrieb haben wir eine externe und interne Digitalisierung. Die externe Digitalisierung umfasst das Marketing, die sozialen Medien und die Website sowie das Erstellen von Videos. Die interne Digitalisierung ist natürlich alles, was Sie im Betrieb brauchen. Wir haben seit 15 Jahren eine Software, die alles abdeckt, vom Angebot bis zur Rechnung. Mittlerweile setzen wir sehr häufig Drohnen für Aufmaße ein und erstellen mit dem Aufmaß unser Angebot und unsere Zeitplanung. Wir arbeiten mit dem Airteam und dem Projektmanagement-Tool „Meister Task“. Digitalisierung soll uns das Leben einfacher machen und nicht schwerer.
Welche Vorteile hat für Sie die Mitgliedschaft im Unternehmernetzwerk „Roofer‘s Club“?
Der Austausch mit den Inhaberinnen und Inhabern von anderen Dachdecker- und Zimmereibetrieben im „Roofer’s Club“ ist für Jan Voges sehr wertvoll
Foto: Erdal Top
Ich bin Gründungsmitglied des „Roofer’s Club“ und mehr so eine Art Beisitzer. Ich bin tatsächlich eher derjenige, der gibt anstatt zu nehmen, da ich zur älteren Generation gehöre. Ich will mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, aber ich bin in einigen Dingen ein Pionier. Wir haben mit unserem Dachdeckerbetrieb seit 2009 eine Facebook- und seit 2006 eine Internetseite. Damals war man damit noch ein völliger Exot. Da ich mich schon so lange und so intensiv mit der Branche beschäftige, sehe ich mich da eher als Impulsgeber. Natürlich ist der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen im „Roofer’s Club“ aber extrem wichtig für ein persönliches Vorankommen und ich kann mich mit den anderen Mitgliedern über Themen wie Versicherungen, Werkzeuge oder Mitarbeiterführung austauschen. Das ist für mich immens wertvoll.
Sie sind seit 2024 Vizepräsident des Zentralverbands des deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH). Welche Ziele verfolgen Sie als Vizepräsident des ZVDH?
Mein Ziel ist es, das Dachdeckerhandwerk zukunftsorientiert mitzugestalten. Mein Hauptbereich ist die Berufsausbildung. Ich möchte dafür sorgen, dass nicht nur mehr Menschen ins Dachdeckerhandwerk kommen, sondern dass auch die Abbruchquote in der Ausbildung geringer wird. Wir verlieren etwa 30 Prozent der Auszubildenden in der Ausbildung und im ersten Gesellenjahr. Mein Ziel ist es, dass nicht nur mehr Menschen kommen, sondern dass auch mehr Fachkräfte im Dachdeckerhandwerk bleiben!
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Nathalie Brum, sie arbeitet als freie Journalistin für das Magazin dach+holzbau, ist zudem freischaffende Architektin, Künstlerin und Fachjournalistin.
Über Jan Voges
Jan Voges ist Gründer und Inhaber des Dachdeckermeisterbetriebs Jan Voges GmbH mit Sitz in Lamspringe (Niedersachsen) mit elf Mitarbeitern. Sein Dachdeckerbetrieb führt unter anderem energetische Dachsanierungen, die Installation von Photovoltaikanlagen, Dachbegrünungen, den Dachfenstereinbau sowie Wohnraumerweiterungen in Holzrahmenbauweise durch.
Jan Voges und sein Team wurden bei der „Dachkrone 2022“ in der Kategorie „Bester digitaler Betrieb“ mit dem 3. Platz ausgezeichnet. Außerdem ist Jan Voges Vizepräsident des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) und Mitglied des „Roofer’s Club“, einem bundesweiten Netzwerk aus Inhaberinnen und Inhabern von Dachdecker-, Zimmerer- und Spenglerbetrieben. Mehr Informationen zum Betrieb finden Sie unter:www.voges-dach.de