Holzbau: Baustelle des Monats 4 Seiten (nach Absprache auch mehr), Bilder: Fleder 2 oder 4 = Eröffnungsbild, Fleder 6 relativ groß bringen,

Ein offenes Haus für Denkanstöße

Auf einem ehemaligen Flugfeld in Wiens Stadtteil Aspern soll ein visionäres neues Stadtviertel mit Wohnungen und Arbeitsplätzen entstehen. Die Infozentrale ist in einem spektakulären Holzbau untergebracht und wirbt damit gleichzeitig für den mehrgeschossigen Wohnungsbau aus Holz.

Hier, östlich von Wien auf einem ehemaligen Flugfeld, soll die Zukunft entstehen, zumindest glauben das die Planer des neuen Stadtteils. Das zu sehen, erfordert allerdings ein wenig Vorstellungskraft, denn tatsächlich handelt es sich bei dem 240 Hektar großen Gelände noch um ein unwirkliches Stück Land mit einem ausgebaggerten, künstlich angelegten See. Doch mitten drin steht seit kurzer Zeit ein hölzernes Bauwerk, das Flederhaus, wie eine Trutzburg.

Das hat seinen Namen wegen des Erscheinungsbildes mit seinen Hängematten. Darin sollen die Menschen wie Fledermäuse in Hängematten „abhängen“, also relaxen, sich ausruhen.

Etwas Großes – so die Vision – soll in Aspern, Wiens Seestadt, gelegen im 22. Wiener Bezirk, gelingen. Bis zu 8500 Wohnungen und 25 000 Arbeitsplätze sind geplant. Es ist eines der ambitioniertesten Neubauprojekte Europas und deshalb kein Zufall, dass ein spektakulärer Holzbau – eine fast 16 Meter hohe Freiraum-Skulptur – als Infozentrale ausgewählt wurde, schließlich soll im neuen Stadtteil Raum für die Lebensstile des 21. Jahrhunderts geschaffen werden. Das Unternehmen Griffner hat in nur zweieinhalb Wochen dieses Symbol für Nachhaltigkeit (im eigentlichen Sinne des Wortes = nachwachsend) errichtet.

Der energieautarke Stadtteil

Auf den Holzbau wird in den laufenden Architekturwettbewerben hohen Wert gelegt, denn Ziel ist ein „ressourcenschondes, energieoptimiertes Stadtviertel zu erreichen“, so Wiens damaliger Wohnbaustadtrat Vizebürgermeister Dr. Michael Ludwig, als 2009 das Stadtentwicklungsprojekt Formen annahm. Technologien mit dem Ziel von Nullenergiehäusern beziehungsweise Plusenergiehäusern sollten in konsequenter Weise vorangetrieben werden. Dass Energieautarkie rechnerisch möglich ist, hat das Unternehmen Griffner bei anderen Projekten schon unter Beweis gestellt (unter anderem mit dem Projekt Griffen Green, einem mehrgeschossigen Wohnbauprojekt in Kärnten). Holz ist als nachwachsender, klimaschützender Rohstoff, das Material des 21. Jahrhunderts und, sobald Lebenszykluskosten in Berechnungen einfließen, allen anderen Baustoffen überlegen.  

Neben den bautechnischen Aspekten soll die soziale Nachhaltigkeit als das oberste Entwicklungprinzip für Aspern gelten. Die Seestadt setzt auf großzügig gestaltete Stadthäuser, die dem Anspruch gerecht werden sollen, Beruf und Leben zu vereinbaren (das sogenannte Work-Life-Balance). Von der Starthilfewohnung mit Superförderung bis zum Büro für Firmengründer, vom betreuten Wohnen bis zum Mingo-Büro (Büros ab 15 m2 zu günstigsten Konditionen für Wiener Kleinstbetriebe und Jungunternehmer). Es gibt erste Baugruppen, im Januar feierte das Technologiezentrum aspern IQ Richtfest – dort entstehen bald 250 Arbeitsplätze für die angewandte Forschung und die Entwicklung neuer Technologien –, an der Entwicklung der Infrastruktur wird gearbeitet. Ziel ist es, Interessenten nach Aspern zu locken und dafür übernimmt das Flederhaus mit der Infozentrale die Funktion eines Leuchturms, der die Besucher lenkt!

Kein Neubau aber ein neuer Standort

Das Flederhaus ist kein Neubau, es stand als temporäre Rauminstallation im vergangenen Sommer auf dem Museumsplatz in Wien und lud Besucher ein, in einer der 29 Hängematten schaukelnd eine Pause zu verbringen und die Aussicht auf Wien zu genießen. Die Sequenz eines geöffneten Hauses – fast 16 m hoch, gut 10 m breit und 6,25 m tief – lebt nun an einem neuen Ort weiter. Rund 80 Prozent der Bausubstanz konnten wiederverwendet werden. Erneuert werden mussten aber beispielsweise die Untermörtelung des Trägerrostes und Teile der Außenfassade, weil sie mit Farbe besprüht worden waren. Die demontierten Wand-, Decken- und Dachelemente des Kunstwerkes überwinterten bereits auf der betonierten Landebahn des Flugfeldes – auf Hölzer gelegt und abgedeckt mit UV-sicherer Folie, damit das Holz nicht ausbleicht. Griffner-Mitarbeiter montierten sie Ende März innerhalb zweieinhalb Wochen neu. Der hohe Vorfertigungsgrad und die unkoplizierte Demontage und Montage machten es möglich, dass am 6. April der Richtkranz auf dem Flederhaus flatterte.

 

Die Konstruktion

„Das Stahlfundament wurde zunächst mit Schwerlastankern befestigt“, erklärt Dipl. Ing. Harald Sauer, Architekturleiter bei Griffner. Zusatzgewichte an allen vier Ecken garantieren einen sicheren Stand, selbst bei heftigem Wind.

Dann begann die Montage. Auf der Stahlrahmenoberseite wurden 9 cm hohe, mit passenden Löchern versehene Metalllaschen, aufgeschweißt, entsprechend geschlitzte Kanthölzer aufgesetzt und mit Bolzen verbunden.

Die Flederhaus-Wandelemente sind in Holzrahmenbauweise erstellt und mit OSB-Platten ausgesteift. Außen sind sie mit witterungsbeständigem Lärchenholz beplankt, im geschützten Bereich innen mit Fichtenlatten. Auf die Dämmung wurde verzichtet, weil die Freiraum-Skulptur am alten Standort beidseitig offen war.

Der Boden besteht aus 10 cm dicken Brettsperrholzplatten (BSH) der Firma Binderholz – aus mehreren quer und längs verleimten Fichtenholzlagen. Mit Hilfe von Holz-Untergurten und T-förmigen Verbindungslaschen aus Stahl erfolgt die Befestigung an den Holzstützen (12 x 12 cm) und den schlankeren Stahlstützen (Durchmesser 10 cm). Die Stahllaschen sind das Koppelelement zwischen den waagerechten und senkrechten Rahmenhölzern und ermöglichen es, Auskreuzungen aus Rundstahl zu befestigen. Schnell und problemlos wuchs der viergeschossige Bau in die Höhe. Etagenweise wurde erst das Skelett in Holzrahmenbauweise erstellt. Alle Geschossdecken bestehen ebenso wie der Boden aus 10 cm dickem Fichten-BSH. Das erstellte Skelett wurde ergänzt durch einen zweifach stehenden Stuhl aus Rundrohren, die ihren oberen Abschluss in zwei Mittelpfetten aus HE-A 120 Stahlprofilen finden.

 

Die Dämmung erfolgte auf der Baustelle

Per Kran schwebten die vorgefertigten Elemente heran, um postwendend vom eingespielten Montageteam von Griffner an der vorgesehenen Stelle positioniert und befestigt zu werden. Schon nach vier Tagen saß das Dach mit 45 Grad Neigungswinkel auf dem Flederhaus. Der gesamte Dachaufbau ist 22 cm dick, davon entfallen 10 cm auf tragende Platten aus Brettsperrholz. Darüber befinden sich eine diffusionsoffene, wasserdichte Unterdeckbahn und eine Konterlattung (50/80 mm). Abschließend wurden Schalungselemente aus Lärchenholz aufgelegt und befestigt, die mit der Zeit vergrauen werden. Das architektonische Prinzip war, nur eine Hülle zu schaffen, die Außenfassade sollte also die gleiche Materialität wie das Dach haben.

Im Unterschied zu seinem ersten Einsatz verwandeln großzügig verglaste Außenwände samt Holztür das Erdgeschoss am jetzigen Standort in einen abgeschlossenen Raum. Normalerweise ist bei Griffner die Zellulose-Wärmedämmung bereits werkseitig eingebracht. Da das Erdgeschoss aber erst nachträglich für sein zweites Leben „bewohnbar“ gemacht wurde, dämmte das Montageteam vor Ort. In die Zellulosedämmung wurden die Installationen eingearbeitet. Diese Arbeiten und die Herstellung der finalen Wandverkleidungen sowie der Bodenbeläge nahmen die zweite Woche in Anspruch.

Multimediale Informationen im Flederhaus

Im Erdgeschoss können sich Besucher multimedial über die Vergangenheit des einstigen Flugfeldes und über seine Zukunft als Lebensraum informieren, auch über konkrete Bauvorhaben. „Man wollte keinen klassischen Container dort stehen haben, sondern ein ökologisches Zeichen setzen“, erklärt Harald Sauer.

An seinem ursprünglichen Standort war das Flederhaus mit Hängematten ausgestattet worden. Dass die Gedanken beim „Abhängen“ umgeben von städtischen Wirbelwinden Inhalt und Bewegung erhalten, wünschen sich die Wiener Architekten „heri & salli“ nun auch beim neuen Standort. Dass die Hängematten ganz oben ordentlich schaukeln, ist gewiss, dass der Ausblick atemberaubend sein wird, auch, besonders durch die beiden Fernrohre, die das Dach nach Norden hin durchstoßen. Im Dach sind bereits entsprechende Aussparungen vorgesehen. Wer später durchs Fernrohr schaut, sieht auf das Zentrum der Seestadt und den Seepark, der mit Erholungs- und Freizeitlandschaft in ein paar Jahren neun Hektar umfassen wird.  Noch ist da Phantasie gefragt und ansonsten Pioniergeist. So hat auch das Flederhaus mit seiner Konstruktion Pioniercharakter, denn es sollte schon in seinem ersten Leben Denkanstöße geben: ein „DENK-MAL“ der Nachhaltigkeit sein, so die Planer über die doppelte Bedeutung des Wortes. Der Freiraum in luftiger Höhe sollte dem entspannten Abhängen, dem Innehalten, eine tiefere Bedeutung geben.

Aspern soll ein durch und durch grüner Stadtteil mit hoher Lebensqualität werden. Mit Erdwärmeversorgung durch das Geothermie-Kraftwerk, das 2014 fertig gestellt sein soll, und einem vorbildlich ausgestalteten öffentlichen Verkehrsnetz. Bis 2015 sollen im ersten Realisierungsabschnitt des aus 20 Jahre angelegten Projektes rund 2000 Wohnungen fertiggestellt sein.

 

Autorin


Susanne Kraft ist seit 25 Jahren journalistisch in der Welt des Wohnen zu Hause und arbeitet als freie Redakteurin für die Fachzeitschrift möbelkultur und die Agentur GeSK.

Auf den Holzbau wird in den Architekturwettbewerben hohen Wert gelegt

Das Haus soll Denkanstöße geben und für nachhaltiges Bauen sensibilisieren

G 21-Systemwände von Griffner

Standardmäßig verbaut Griffner G 21-Systemwände mit einem U-Wert von 0,17 W/m2K: Außen Eternitfassadenplatten, Putzfassade auf Korkplatten oder Holzverschalung. Die Unterkonstruktion besteht aus einer diffusionsoffenen Fassadenbahn, einer dampfdurchlässigen Holzfaserplatte, einer Dämmkassette mit Zellulosedämmung einer OSB-Platte als Dampfbremse, Zellulosedämmung in der Installationsebene und einer Gipsfaserplatte.

Im Internet finden Sie im eMagazine der dach+
holzbau neben weiteren Bildern auch Renderings von der Planung des futuristischen Holzbaus.

Bautafel (Auswahl)

Projekt Erstverwendung heri & salli Architekten, Wien

Adaptierung Griffnerhaus AG, Griffen                             

Tragwerksplanung FS1 Fiedler Stöffler Ziviltechniker GmbH

Holzbau Griffnerhaus AG

Stahlbau Stürzenbecher GmbH, Wolfsberg

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