„In jeder Schindel steckt Herzblut“

Thaddäus Berktold ist Zimmermeister und Inhaber der Zimmerei Berktold in Oberstdorf. Das Waltenberger Haus kennt er als Alpinist von Kindheit an. Der Oberstdorfer erzählt im Interview ausführlich und detailreich vom Neubau des Hauses. Es ist ihm anzumerken, dass der Bau der Hütte der bisherige Höhepunkt seiner Handwerkerkarriere ist.

dach+holzbau: Herr Berktold, welches Gefühl haben Sie, wenn Sie das neue Waltenberger Haus in seinem fertigen Zustand sehen?

Thaddäus Berktold: (zögert ...) Also, wenn man das jetzt so anschaut und das ganze Ergebnis sieht, dann muss ich sagen: Toll, dass ich dabei gewesen bin und toll, dass alles funktioniert hat und alles passt. Das fertige Ergebnis kann man anschauen, es ist schön geworden und darauf bin ich stolz.

Hatten Sie schon Erfahrung mit so einem Projekt in den Bergen und auf dieser Höhe?

Wir haben schon öfters Berghütten und Alphütten gebaut, aber in dieser Größenordnung und dieser Dimension auf 2000 m Höhe noch nicht. Wir haben es hier mit einem richtigen Neubau, ein Wohngebäude im hochalpinen Bereich zu tun und das in einem Gelände, das absolut extrem ist.

Wie kam es, dass Sie sich den Auftrag zugetraut haben?

Viele Außenstehende haben gesagt: Wahnsinn, was ihr da gemacht habt, aber wenn man daheim vor der Tür so eine Baustelle hat, dann sagt man: Klar mach ich das! Und im Endeffekt ist es ja nicht viel anders als eine Baustelle im Tal. Außer dem Wetter, das ist in den Bergen die große Unbekannte: Aber meine Mitarbeiter und ich – wir wohnen hier in Oberstdorf, wir kennen die Berge, das ist unsere Heimat. Wir wissen also, auf was wir uns einlassen. Von dem her habe ich nicht lang überlegt, sondern einfach das Angebot abgegeben.

Schwang auch Prestige mit, nach dem Motto: Genau diese Baustelle muss ich machen?

Ja, das war schon auch ein Punkt. Die älteste deutsche Alpenvereinshütte, von der Lage her gigantisch, direkt ins Felsmassiv reingebaut, ja, das war ein großer Ansporn.

Das Material in der richtigen Reihenfolge auf den Berg zu bringen, das war sicherlich nicht einfach?

Die Logistik war eigentlich das Schwierigste und die größte Herausforderung neben vielen anderen. Wir hatten keine Seilbahn und keine Fahrstraße, sondern nur den Helikopter. Wir waren völlig abhängig vom Hubschrauber und damit auch vom Wetter.

Das Material hat Gewicht, war das beim Transport relevant?

Das spielt in die ganze Logistik extrem hinein: 900 kg kann der Heli mitnehmen, die Flüge sind teuer, 150 Euro kostet eine Rotation, also einmal hoch und wieder runter ins Tal. Wir mussten also planen, wie viel am Seil hängt. Wir hatten ja über 400 Holzelemente. Für mich war nach dem Zeichnen das Elementieren dran. Ich musste also schauen, welche Elemente ich in einem Flug mit nach oben nehmen kann. Alles musste passen, damit das Aufrichten mit dem Kran an der Baustelle ökonomisch abläuft. Platz war wenig da oben.

Was passierte bei schlechtem Wetter?

Bei schlechtem Wetter, also Nebel, haben wir das Material verarbeitet, das schon hochgebracht wurde. Wenn das Wetter gut war, sind zwei Hubschrauber zeitlich versetzt zueinander ständig geflogen. Es waren sehr wechselhafte Wetterverhältnisse beim Aufrichten, das eigentlich nur sechs Tage gedauert hat.

Ist die Arbeit gefährlich gewesen?

Ein Risiko wurde nie eingegangen, aber vor den Hubschrauberpiloten hab ich schon Respekt, wie die manche Deckenteile auf den Millimeter genau direkt auf die Wand aufgesetzt haben. Und dabei waren sie natürlich ständig im Gefahrenbereich, vor allem mit dem Kran.

Für uns Zimmerleute war die Arbeit nicht gefährlicher als auf anderen Baustellen auch. Vielleicht nervenaufreibender, weil die Hubschrauber natürlich laut sind und Wind machen, da hat es so manchen Plan vom Wind mitgenommen. In den Stoßzeiten war es eigentlich immer nur vier Minuten windstill und dann hat es wieder gestürmt.

Das Gebiet ist als schneereich bekannt, wie floss die Schneelast in die Statik ein?

Das Problem war, dass die DIN für diese Höhe in den Bergen auf 2000 Meter keine Angaben mehr über die Schnee- und Windlasten macht. Der Tragwerksplaner hat diverse Berechnungen angestellt und überall Informationen eingeholt, auch vom Deutschen Wetterdienst, sogar von Schweizer Kollegen der Lawinenwarnzentrale. Durch den hinteren Steilhang muss eine horizontale Gleitschneelast von 104 Tonnen vom Gebäude aufgenommen werden.

Entsprechend groß waren die Dimensionen. In jedem Stockwerk haben wir 2500 Vollgewindeschrauben (Spax) mit bis zu 40 cm Länge gesetzt, diagonal, mit Schablonen, die wir gebaut haben. Das Schraubenlager nahm einen ganzen Raum ein. Zwei Leute haben den ganzen Tag schrauben angesetzt, zwei andere haben verschraubt.

Hat es Überredungskünste gebraucht, Ihre Mitarbeiter zu motivieren, bei dem Bau dabei zu sein?

Nein, bei mir sind alles Alpinisten oder sogar Männer aus der Bergwacht. Die gehen auch alle privat in die Berge zum Klettern und es hat sich tatsächlich jeder gefreut als wir den Auftrag bekommen haben. Wir kommen alle aus Oberstdorf, wir sind da aufgewachsen, jeder kennt das Waltenberger Haus, dann ist das natürlich toll, das kannst du in 20 Jahren noch sagen: Das hast du mit aufgebaut ...

Aber es ist sicher auch eine harte Arbeit dort droben auf 2000 Meter und es scheint ja nicht immer die Sonne ...

Nein, gewiss nicht, gerade im letzten Jahr als das Wetter so unbeständig war. Im November wurde es dann zäh, da ist um dich herum strahlend schönes Wetter, aber die Sonne kommt erst um halb 12 Uhr und um 13 Uhr ist sie wieder weg. Und auf 2000 Meter hat es die ganze Zeit Minusgrade.

Jeder war dann auch froh, als die Außenfassade und die Verschindelung dran war. Das ist zwar eine schöne Arbeit, aber man hat keine Bewegung. Du sitzt da nur auf dem Hocker und nagelst die Schindeln dran.

Konnten Sie die 5 Tage-Woche einhalten oder wurde bei gutem Wetter auch schon mal durchgearbeitet am Wochenende?

Also es hat sich in Grenzen gehalten mit den Überstunden, manchmal konnte man auch erst am Dienstag oder Mittwoch hochfliegen und dann haben die Leute selbst gesagt, wir bleiben einen Tag länger. Aber es waren lange Tage, grade beim Aufrichten, normalerweise war aber das Wochenende immer frei, sonst hätten die Leute einen Lagerkoller bekommen. Nach Feierabend sind meine Jungs dann meistens noch zum Klettern gegangen.

Gibt es ein Erlebnis, an das Sie sich besonders erinnern können?

Eigentlich war alles beeindruckend, der Bau war gewaltig: Gerade auch die Montage. Aber auch die Freizeit, du kommst ja normalerweise nie so viele Stunden privat zusammen und das war für uns schön und hat uns zusammengeschweißt. Manche Abende sind wir gemeinsam am Lagerfeuer gesessen bis spät in die Nacht und am nächsten Morgen ist dann aber jeder wieder da gestanden.

Man vergisst auch die Schlechtwettertage, auch die Kälte im November. Wenn du im Nachhinein die Bilder wieder anschaust, sagt man dann: Mei, des isch scho schie gwea! (bayrisch für: das ist schon schön gewesen!)

Der Abriss und der Bau waren ja auch mit Emotionen verbunden ...

Na, ja, man stellt ein Gebäude in die hochalpine Landschaft. Da gab es sehr viel Emotionen. „Um Gottes Willen, was baut man denn da wieder hoch“, haben die Leute gesagt.“ Und das Problem ist ja tatsächlich, dass man noch so viel visualisieren kann, das Gebäude wirkt, wenn es an seinem Platz steht. Dann kann man erst sagen: Passt es an den Ort da oben, passt es rein in diese wilde Natur mit den markanten Bergen rund herum oder eben nicht. Und ja, es ist gelungen, wir haben es geschafft, das Ziel ist erreicht. Und ich habe noch keinen erlebt, der oben gestanden hat und gesagt hat: „Um Gottes Willen!“

Weil alle auch erkennnen wie viel Arbeit da drin steckt? 

Ich finde schön, wie es der Architekt Peter Fischer formuliert hat: Ein Gebäude ist erst dann schön, wenn es eine Seele hat, und ein Gebäude muss auch beseelt werden von den Menschen, die daran arbeiten. Meine Jungs, meine Mitarbeiter, die waren da mit Herzblut dabei, die haben nicht einfach irgendwelche Schindeln hingenagelt. Nein, in jeder einzelnen Schindel steckt ein gewisses Herzblut mit drin. Ich nagel die jetzt da hin und dann hängt die da 50 Jahre, die hängt nach mir noch. Da wird man auch demütig.

Herr Berktold, vielen Dank für das Gespräch!

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