Zellulose statt Mineralwolle

Größte Holzbausiedlung der Schweiz "sue&til": Wände mit Zellulose gedämmt

Das Projekt „sue&til“ ist die derzeit größte Holzbau-Wohnsiedlung der Schweiz. Für die Dämmung der 20 Gebäude kam statt des ursprünglich geplanten mineralischen Dämmstoffs eine Zelluloseeinblasdämmung zum Einsatz. Eine Änderung der Schweizer Brandschutzvorschriften machte es möglich.

Auf einem etwa 20 Hektar großen Areal in Winterthur wurde im März 2018 das aktuell größte Wohnneubau-Vorhaben der Schweiz in Holzbauweise fertiggestellt. Das Schweizer Bauunternehmen Implenia hat hier auf einem ehemaligen Industrieareal zwanzig fünf- bis sechsgeschossige Gebäude erstellt. Nur Untergeschoss, Erdgeschoss und Treppenhaus der Gebäude sind aus Stahlbeton gebaut. Selbst die Decken bestehen aus Holz: Bei Gebäuden dieser Größenordnung wird oft auf Holz-Beton-Verbunddecken gestzt. Anders war es bei den „sue&til“-Gebäuden: Hier kamen Brettschichtholzdecken mit einer gebundenen Splittschüttung zum Einsatz.

Massivholzwände fangen große Lasten ab

Träger und Stützen der Gebäude bestehen aus Brettschichtholz. Als tragende Zwischenwände kamen Brettsperrholzwände zum Einsatz, um den Wand­aufbau möglichst dünn zu halten und die großen Gebäudelasten abzufangen. Die nichttragenden Wohnungstrennwände sind Holzrahmenwände, die mit Zellulose gedämmt sind. Raumseitig sind die Wandelemente mit Gipsfaserplatten geschlossen. Die Fassaden der Gebäude sind mit Aluminiumverbundplatten verkleidet.

Die 280 mm dicken Holzrahmenelemente der Außenwände sollten ursprünglich mit Steinwolle gedämmt werden. So sollten sowohl die Schweizer Brandschutzvorschriften eingehalten als auch die Anforderungen des Schallschutzes erfüllt werden. Für das Dach war hingegen von Anfang an eine Zelluloseeinblasdämmung vorgesehen. Erst relativ spät, die Baugenehmigung lag bereits vor, ließen die Planer für die Holzrahmen-Außenwände den Einsatz einer Zelluloseeinblasdämmung prüfen. Hintergrund war die Novellierung der Schweizer Brandschutzvorschriften VKF. Diese lassen seit Anfang 2015 auch bei Gebäuden mit mehr als drei Geschossen den Einsatz einer einblasbaren Zellulosedämmung in der Außenwand zu. Da Planung und Baubewilligung noch 2014 erfolgten, wurde das gesamte Gebäude zunächst mit mineralischer Dämmung geplant. „Gegen Ende 2015, als wir mitten in der Ausführungsplanung waren, kam Implenia Holzbau mit der Frage auf uns zu, ob es möglich wäre, den Neubau mit Zellulose zu dämmen“, sagt Dipl.-Ing. HTL Holzbau Andreas Burgherr. Er ist Leiter des Zweigbüros Zürich und Mitinhaber der Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG. Die Ingenieure prüften die brandschutztechnischen Konsequenzen einer Zellulose-Einblasdämmung.

Weniger graue Energie in der Produktion

Schließlich wurden die in der Schweiz relevanten Details und Abbrandnachweise kurzfristig umgeplant. Dabei musste zusätzlich das Holz der Wandkonstruktion mit einer 15 mm dicken Gipsplattenschicht von innen geschützt werden, da die Zellulosedämmung normal entflammbar ist. Der Dämmstoff passte insgesamt gut ins Konzept, da er deutlich weniger graue Energie benötigt als mineralische Dämmung. Die Wahl fiel auf die Einblasdämmung „Isofloc LM“. Je nach Konstruktion sind damit Feuerwiderstandsklassen von F 30 bis F 90 möglich. Die Dämmung wird im Werk mit Druck in die Gefache geblasen und passt sich der Konstruktion an. Der Dämmstoff fällt entsprechend der DIN 4102-1 in die Baustoffklasse B2 (normalentflammbar) oder europäisch in die Brandklasse E (DIN EN 13501-1, normalentflammbar). Für Yves Deluz, Projektleiter für Nachhaltigkeit bei Implenia, war Zellulose die nachhaltigere Lösung als Steinwolle. „Bei einem Vergleich zeigt sich, dass sowohl die zur Herstellung benötigte, nicht erneuerbare Primärenergie, als auch die Treibhausgasemissionen pro Kilo Zellulosedämmung um den Faktor 4 niedriger sind als bei der gleichen Menge Steinwolle“, sagt Deluz.

Eingeblasen statt händisch verlegt

Die Implenia Holzbau AG war mit der Anfertigung sämtlicher Holzrahmenelemente für das Projekt „sue&til“ beauftragt und löste auch die Umplanung aus. „Bei der Größe des Objektes und durch die unterschiedlichen Wanddicken ist der Einsatz eines mineralischen Dämmstoffs mit einem sehr hohen Zeit- und Personalaufwand verbunden“, sagt Adrian Ulrich, Projektleiter Holzbau der Implenia Schweiz AG. Sämtliche Dämmstoffplatten hätten entsprechend der Gefache zugeschnitten und von Hand eingesetzt werden müssen. Angesichts der zu dämmenden Fläche von rund 12 500 m² sei sehr schnell klar gewesen, dass die Arbeit mit einem Einblasdämmstoff bei diesem Bauvorhaben deutlich effizienter wäre. Mit der Einblasplatte „Easyfloc“ dauerte die Dämmung eines Wandelements durchschnittlich 20 Minuten. „Es konnte wesentlich schneller gedämmt werden und wir mussten weniger Personal für die Dämmarbeiten einplanen“, sagt Ulrich.

Weniger Lagerfläche benötigt

Ein wichtiges Entscheidungskriterium waren auch die eingeschränkten Lagermöglichkeiten vor Ort. Die zu dämmende Fläche von 12 500 m² entspricht bei einer durchschnittlichen Dämmdicke von 28 cm einem Dämmvolumen von rund 3500 m³. „Steinwolle benötigt bei diesem Volumen ein riesiges Lager. Unsere Lagerkapazitäten waren aber beschränkt. Da waren die komprimierten Zellulosedämmstoffballen, die nur ein Drittel der Lagerfläche gegenüber Steinwolle benötigen, ein gutes Argument“, sagt Ulrich. Hinzu kommt, dass im Objekt unterschiedliche Wanddicken verbaut wurden, sodass für jede Wandsituation die entsprechende Dämmung hätte bestellt werden müssen.

Weniger Treibhausgasemissionen

Marginal abweichende bauphysikalische Werte, die sich durch die Zellulosedämmung ergeben, führten zu einem leicht erhöhten Heizwärmebedarf für die Bewohner der „sue&til“-Gebäude. Die daraus resultierenden, geringfügig höheren jährlichen Heizkosten von rund 2,87 € pro Wohnung werden durch die Summe aller Vorteile kompensiert: Zellulosedämmung hat einen geringeren Energieaufwand in der Produktion, es entstehen außerdem deutlich weniger Treibhausgasemissionen bei der Herstellung. 

Brandschutz in Deutschland strenger

Im Vergleich zu Deutschland hat die Schweiz mit ihrer Baugesetzgebung für den Einsatz von Zellulosedämmstoff in mehrgeschossigen Gebäuden Vorteile. Eine reine Holzbauweise, gedämmt mit Zellulosefasern, wäre in Deutschland nur bei Gebäuden bis zu drei Vollgeschossen möglich. Auf Basis von individuellen, ganzheitlichen Brandschutzkonzepten wurden aber auch schon Viergeschosser mit einer Zellulosedämmung errichtet.

Höhere Gebäude mit Holzbauanteil und Zellulosedämmung sind derzeit in Deutschland mit der Hybridbauweise möglich. Basis ist dabei etwa ein tragendes Stahlbetonskelett mit Betondecken und einer nichttragenden Fassadenkonstruktion aus Holzwandelementen. Diese dürfen bis zur Gebäudeklasse 5 (je nach Geschosshöhe bis zu acht Geschosse) mit Zellulosefasern gedämmt werden, wenn ein F 30-Nachweis vorliegt. Ein entsprechendes Objekt wurde zum Beispiel mit den sogenannten „Parklogen“ in München-Schwabing (www.parklogen-schwabing.de) realisiert. Mit der Beantragung von baurechtlichen Abweichungen von der jeweiligen Bauordnung lässt sich Zellulose in Deutschland auch in tragenden Bauteilen bis zur Gebäudeklasse 5 einsetzen.

Autorin

Claudia Azzolina arbeitet im Bereich Marketing der Isofloc AG in Bütschwil (CH).

Bautafel (Auswahl)

Projekt „sue&til“, 20 Wohngebäude in Holzbauweise, CH-8409 Neuhegi, Winterthur, www.sueundtil.ch

Bauherren Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft AG, CH-8304 Wallisellen (Mietwohnungen), Implenia Immobilien AG, CH-8305 Dietlikon (Eigentumswohnungen)

Projektentwicklerin Implenia AG, CH-8305 Dietlikon, www.implenia.com

Architekten ARGE sue&til: Weberbrunner Architekten, CH-8045 Zürich, www.weberbrunner.eu;

Soppelsa Architekten GmbH, CH-8047 Zürich, www.soppelsa.ch

Holzbauingenieure Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, CH-8006 Zürich, www.timbatec.ch

Holzbau Implenia Holzbau, CH-8153 Rümlang,

www.implenia.com

 

Herstellerindex (Auswahl)

Fassade Aluminiumverbundplatten „Alucobond A2“, 3A Composites, 78224 Singen/Hohentwiel,

www.alucobond.com

Dämmung Isofloc AG, CH-9606 Bütschwil,

www.isofloc.ch

Das Minergie-Label und die 2000-Watt-Gesellschaft

 

Das Projekt „sue&til“ wird nach dem Schweizer Minergie-Standard erstellt. Mit dem Minergie-Label werden Neubauten ausgezeichnet, die für Heizung und Warmwasser maximal 38 kWh/m² pro beheizter Fläche im Jahr verbrauchen. Das entspricht in etwa den Anforderungen eines KfW-Effizienzhaus 40, dessen maximaler Jahresprimärenergiebedarf bei 40 kWh/m² liegt. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland steht dabei eine gut gedämmte Gebäudehülle im Zentrum der Planung, kombiniert mit kontrollierter Be- und Entlüftung der Wohnungen und einer Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energien. Das Projekt entspricht den Zielen der „2000-Watt-Gesellschaft“. Demnach sollen der Energieverbrauch in der Schweiz bis 2050 um rund 45 Prozent und die Treibhausgasemissionen um drei Viertel vermindert werden. Ein Primärenergieverbrauch von 2000 Watt pro Person und Jahr wird dabei angestrebt.

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