Neubau mit Kassettensystem aus Titanzink als Dachbekleidung

Wiederaufbau der historischen Bibliothek des Augustinerklosters zu Erfurt

Auf den Grundmauern der ehemaligen Bibliothek des Augustinerklosters zu Erfurt ist ein preisgekrönter Neubau entstanden. Für das geneigte Dach des Gebäudes wurde eine ungewöhnliche Wahl getroffen. Ein Kassettensystem aus Titanzink ist als Dachbekleidung ausgeführt worden.

Das Augustinerkloster gehört heute zu den bedeutendsten Lutherstätten in Deutschland. Die Entscheidung für den Wiederaufbau der denkmalgeschützen Bibliotheksruine, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nahezu vollständig zerstört wurde, fiel im Jahre 2004. In Anlehnung an die Geometrie des gotischen Baus, aber ohne Versuch der architektonischen Rekonstruktion wurden auf dem Gelände der Klosteranlage die historische Bibliothek und die Waidhäuser genannten Lagerhäuser wiederaufgebaut.

Den ersten Bibliotheksbau an dieser Stelle hatte vor rund 500 Jahren Martin Luther miterlebt. Im Jahre 1505 trat er dem Augustinerorden bei und lebte bis 1511 als Mönch in der Klosteranlage. Das Kloster stand schon früh unter dem Einfluss der Reformation und erlebte eine bewegte Geschichte: Es wurde säkularisiert und diente im Verlauf der Jahrhunderte unter anderem als Waisenhaus, Ratsgymnasium, evangelische Bibliothek und Martinsstift. Seine historische Büchersammlung wurde während der Reformation zum größten Teil zerstört. 1646 richteten die evangelischen Pfarrer Erfurts im ehemaligen Dormitorium des alten Klostergebäudes eine neue Bibliothek ein, die heute mit etwa 60 000 Bänden zu den wichtigsten kirchlichen Sammlungen in Deutschland gehört.

 

Verbindung zwischen historisch und modern

Eine 30 cm hohe, verglaste Horizontalfuge zwischen den mittelalterlichen Grundmauern und dem Wiederaufbau trennt und verbindet zugleich das historische und das neue Bibliotheksgebäude. Um die neue Bibliothek über der Ruine „schweben“ zu lassen, war eine umfassende, anspruchsvolle statische Planung notwendig. Gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Trabert und Partner fanden die Architekten Junk & Reich aus Weimar eine elegante Lösung. Das mächtige Bestandsmauerwerk aus Bruchstein ermöglichte es, den Neubau auf mittig gesetzten Mikrobohrpfählen zu gründen. Die sichtbare Kante zwischen den beiden Bauwerken dokumentiert in gewisser Weise die 65 Jahre, die zwischen der Zerstörung und dem Wiederaufbau liegen.

Ein an der Nordseite ergänzter, freistehender Erschließungsriegel, der an beiden Längsseiten komplett verglast ist, gibt den Blick frei auf die wenigen noch erhaltenen historischen Gewände und Mauerreste, die in das neue Gebäude integriert wurden. Die glatten Glasflächen dieses Riegels spiegeln sich in der planen Oberfläche des Daches wieder. Die Schaffung einer homogenen und zeitgemäßen Außenhaut war Teil des Entwurfskonzepts. Dazu gehörten auch die Idee einer flächenbündigen Dachaufsicht ohne sichtbare Aufbauten sowie der nahtlose Übergang zwischen Dach und Fassade. Ein Dreigelenkrahmen aus Leimholzbindern bildet dabei das Grundgerüst des Daches.↓

Perfekte Ebenheit

Die auch bei sehr großen Formaten absolut ebene Oberfläche sowie die wartungsfreie Konstruktion der neuen Verbundplatte VMZ Composite von VMZINC bestimmten die Entscheidung der Architekten. 615 m² der als Kassettensystem ausgeführten Fassadenkonstruktion wurden von der Firma Fleischmann Bedachungen aus Gera als genehmigte Sonderlösung und Einzelzulassung auf dem Dach des Bibliotheksneubaus verlegt.


Viele Möglichkeiten mit Zink

Durch seine hohe Festigkeit bei einem vergleichsweise geringen Gewicht schafft das VMZ Composite System eine Vielzahl architektonischer Möglichkeiten – und das auch für die „fünfte Fassade“ eines Gebäudes. Weitere Punkte sprechen für das System: die Formstabilität, die vielfältig ausführbaren Verarbeitungstechniken und die Möglichkeit des Perforierens, beispielsweise für technische Öffnungen.

Die Verbundplatten lassen sich an die unterschiedlichsten Gebäudeformen anpassen, ohne dabei ihre Stabilität oder ihre ebene Oberfläche zu verlieren. Sie bestehen aus zwei vorbewitterten Titanzinkblechen und einem Polyethylen-Kern. Der 3 mm starke Kern wird im Schmelzfixierverfahren auf die 0,5 mm dicken Zinkbleche aufgebracht, eine zugleich chemische wie mechanische Haftvermittlung, die eine hohe Ablösebeständigkeit und Stabilität bewirkt. Das insgesamt 4 mm dicke Paneel mit einem Gewicht von 12,2 kg pro m² wird in einer maximalen Breite von 1000 mm und den Standardlängen 3000 und 4000 mm angeboten. Auf Anfrage sind auch Längen bis zu 6000 mm möglich. Die maximale Breite kann bei Quartz-Zinc auf 1250 mm erhöht werden, dann aber mit 0,7 mm dicken Zinkblechen. Für das Dach der wiederaufgebauten Bibliothek wurden die planebenen Kassettenelemente in unterschiedlichen Breiten und Längen passend zum Fugenbild der im Wilden Verband gestalteten Muschelkalksteinfassade gewählt. Eine stehende Dachrinne wurde in die Dachbekleidung integriert. Der Übergang zwischen der glatten Fassadenfläche und dem steil geneigten Satteldach wird so nahezu unsichtbar.

Kombiniert wurde das VMZ Composite System als Dachbekleidung mit einem wasserführenden Unterdach aus Kalzip-Sandwichelementen, einem Dachsystem aus industriellen Aluminiumprofiltafeln mit einer Blechdicke von einem Millimeter. Zur Befestigung der Dachbekleidung brachten die Fachhandwerker des Klempnerbetriebs auf den Elementstegen des Unterdachs eine Unterkonstruktion aus Aluminiumprofilen an. Die Verbindungs- und Befestigungsteile wurden systembezogen entwickelt. Auf der Dachoberfläche selbst sind keine Befestigungsmittel zu sehen.

Angeboten wird VMZ Composite in den vorbewitterten Oberflächenqualitäten Quartz-Zinc und Anthra-Zinc. Für das Bibliotheksdach wurde das samtgraue Quartz-Zinc – gestalterisch zum Kalkstein der Fassade passend – gewählt. Quartz-Zinc ähnelt in Optik und Oberflächenbeschaffenheit der natürlichen Patina von walzblankem Zink. Die vorbewitterte Oberfläche schafft, ebenso wie die natürliche Patina, eine selbstheilende Schutzschicht und bietet so von Anfang an einen Langzeitschutz gegenüber Witterungseinflüssen.


Zusammenspiel zwischen Alt und Neu

Wenngleich die Grenze zwischen alter Bausubstanz und neuer Architektur klar erkennbar bleibt, ist den Architekten auf der Klosteranlage in Erfurt eine vorbildliche Symbiose zwischen moderner Gestaltung und achtsamem Umgang mit dem denkmalgeschützten Bestand gelungen. Der Erfolg des Projekts spiegelt aber auch die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit wieder: Hier haben Architekten, Statiker und Handwerker Hand in Hand gearbeitet und neben einer überzeugenden Gestaltung auch eine hohe handwerkliche Qualität geschaffen. 

Zu Recht wurde das Architekturbüro für diese Arbeit unter anderem im Jahre 2010 mit dem Staatspreis für Architektur und Städtebau Thüringens ausgezeichnet. Und in diesem Jahr erhält es die „Archizinc Trophy“, die im Rahmen des alle zwei Jahre veranstalteten Architekturwettbewerbs von VMZINC verliehen wird.

 


Autor


Uwe Nagel ist Diplom-Ingenieur und arbeitet als Leiter Technisches Marketing bei VMZINC.


Schon Martin Luther lebte in diesem Kloster

Die Unterkonstruktion des Daches besteht aus Aluminiumprofilen

Bautafel (Auswahl)

 

Objekt Dach des Bibliotheksneubaus am evangelischen ­Augustinerkloster in Erfurt

Bauzeitraum (Bibliothek) 02/2008 bis 08/2010

Bauherr Evangelisches Augustinerkloster, Erfurt

Architekt Junk & Reich Architekten BDA, 99423 Weimar

Statik IB Trabert + Partner, 99423 Weimar

Klempner-Fachbetrieb Fleischmannbedachungen e.K., 07551 Gera

Herstellungskosten Wiederaufbau der historischen Bibliothek und der Waidhäuser gesamt 6,4 Mio. Euro

Material und Oberflächengüte 615 m² VMZ Composite als Dachbekleidung (Sonderlösung mit Zustimmung) in Quartz-Zinc, Hersteller VMZINC, Essen

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