Fachwerksanierung in Französisch-Guyana
Zimmerer restaurieren Fachwerkwand eines historischen Gebäudes in Südamerika
Im Laufe eines Handwerkerlebens gibt es so einige ungewöhnliche Projekte – aber nur wenige können von sich behaupten, die Fachwerkwand eines historischen Gebäudes in Französisch-Guyana restauriert zu haben. Bernhard Mergel, Zimmerer und Architekt, hat genau das getan und berichtet im Artikel von seinen Erfahrungen.
Vor ungefähr einem Jahr erzählte mir Pascal Waringo, Maurermeister und Denkmalrestaurator aus Toulouse, von einem Projekt in Französisch-Guyana. Das Land von der Größe Österreichs ist ein Übersee-Département Frankreichs und gehört somit trotz seiner Lage nördlich von Brasilien auf dem südamerikanischen Kontinent zur EU. Das Land ist nach wie vor zu 95 Prozent von Dschungel bedeckt. Nur eine durchgehende Nationalstraße in Küstennähe verbindet die Hauptsiedlungsgebiete der etwa 300 000 Einwohner, von Saint Georges im Süden über die Hauptstadt Cayenne bis Saint-Laurent du Maroni im Norden, wo der Fluss die Grenze zu Surinam darstellt.
Altes Gebäude mit sanierungsbedürftigem Tragwerk
Die Präfektur in der Hauptstadt Cayenne stammt noch aus der Kolonialzeit. Gleich einem Präsidentenpalast beherbergt sie bis heute das politische Zentrum von Französisch-Guyana. Das Hauptgebäude mit seinen zwei Flügeln, die einen Innenhof flankieren, ist ursprünglich vollständig in Fachwerkbauweise ausgeführt. Später wurde eine von Säulen gestützte, weiß getünchte Galerie zum Hauptplatz hin ergänzt. Hinter dem pompösen Gesicht des Gebäudes ist dessen Tragwerk aber „krank“ geworden. Die Fachwerkfassaden wurden über Jahrzehnte schlecht behandelt, termitenzerfressene Schwellen, Ständer und Riegel wurden mit Beton ausgegossen. So entstand ein konfuses, nicht einheitliches Tragwerk: Im Erdgeschoss des Gebäudes nehmen Stahlbetonunterzüge die Last der Fassade und der Balkenlage auf. In der vom Vordach geschützten, ersten Etage trägt das Fachwerk immer noch das Dach.
Die Präfektur in Cayenne, der Hauptstadt von Französisch-Guyana, stammt noch aus der Kolonialzeit und beherbergt bis heute das politische Zentrum des Landes
Foto: Bernhard Mergel
Auf Anfrage der ausführenden Zimmerei in Französisch-Guyana war Pascal Waringo aus Toulouse als Sachverständiger für Altbausanierungen kurz vor Ort gewesen, um den Kollegen in Cayenne seine Erfahrungen zu vermitteln und seine Einschätzung zur Sanierung zu geben. Im Anschluss suchte er dringend nach Gesellen, die zum einen Fachwerke sanieren konnten und zum anderen sofort einsetzbar waren. Die Suche gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht, sodass ich nach einer kurzfristigen Absage zweier anderer Zimmerergesellen spontan beschloss, selbst nach Französisch-Guyana zu fliegen, um bei der Sanierung des Gebäudes zu helfen.
Von der Nordseeküste erhielt ich noch die Zusage von Zimmerer Peter Lambertz von der Gesellenvereinigung „Freie Vogtländer Deutschlands“ (FVD) mitzukommen, sobald seine aktuelle Baustelle fertiggestellt sei. So kam es, dass wir am Sonntag, den 3. Dezember 2023 – nur eine Woche nach dem geplanten Baubeginn – als hochmotiviertes „C.C.E.G.-Notfall-Einsatzkommando“ im Dschungel landeten (Anm. d. Red.: Die C.C.E.G. ist der Dachverband mehrerer, europäischer Gesellenvereinigungen. Über den Verband entstand auch der Kontakt zu Pascal Waringo, Mitglied der französischen Gesellenvereinigung „Union Compagnonnique des Compagnons du Tour de France des Devoirs Unis“, der das Projekt in Französisch-Guyana vermittelt hat).
Fassade mit Gerüsttürmen verbaut
Einen Tag nach unserer Ankunft in Französisch-Guyana wurde uns das Präfektur-Gebäude in der Hauptstadt Cayenne gezeigt. Die zu sanierende Fassade war mit statisch tragenden Gerüsttürmen verbaut, die das Dach des Gebäudes abstützten. Die Intention der Ingenieure und Bauleiter war sicher gut gemeint, nur hatte man die Hauptakteure dieser ganzen Aktion nicht gefragt: Man hatte das zerstörte Skelett des Hauses eingegipst, bevor es repariert oder, in unserem Fall, zu Großteilen ausgetauscht worden war.
Die Fassade der Präfektur in Cayenne war komplett eingerüstet. Ein Zugang für die Sanierung war so nicht möglich
Foto: Bernhard Mergel
Mit Hilfe von Skizzen zur Vorgehensweise versuchte ich, die eigene Firmenleitung und später auch die Architekten zu überzeugen, dass die Gerüsttürme verschwinden müssten und wir das Dach stattdessen über den Innenraum abfangen würden. Unser Vorschlag, den geplanten Bauablauf komplett zu verwerfen, traf auf keine Gegenliebe in den Entscheidungsgremien. Der Durchbruch kam erst, als ich die Entscheidungsträger an den erwünschten Baufortschritt bis Weihnachten 2023 erinnerte.
Schrittweiser Rückbau des bestehenden Fachwerks
Wir auf der Baustelle – neben Peter Lambertz und mir waren das Leon, ein junger Franzose, und Nelson (Spitzname: Papi Nelson), ein begnadeter Zimmerer aus Brasilien – warteten nicht die ganze Woche auf grünes Licht von der Bauleitung. Stattdessen hatten wir bereits am zweiten Tag das Haus über zwei Etagen im Innenraum mit Drehsteifen (Deckenstützen) und starken Schwell- und Rähmhölzern abgefangen.
Von oben her bauten wir nun das Fachwerk langsam zurück. Die Betonung liegt auf langsam, denn wir hatten das Gefühl, aufgrund des Gewichts der Hölzer mit einem Stahlbau konfrontiert zu sein. Holzarten wie Angélique und grünes Ebenholz (Cocus) kennen in unseren Breiten eher die Instrumentenbauer – in Französisch-Guyana wurden früher ganze Siedlungen, inklusive der Dachstühle, daraus gebaut. In einem Land ohne Nadelholz sind eben auch die Dachlatten oder Lagerhölzer so fest und schwer wie ein Eichenriegel.
Nach der ersten Arbeitswoche hatten die Zimmerer die erste Fachwerkwand des Gebäudes in ihre Einzelteile zerlegt und in zwei Stapeln auf dem Abbund-Platz aufgeschichtet
Foto: Bernhard Mergel
Die alten Holzbalken wurden von den Zimmerern angeschuht und verlängert. Zum Teil wurden Zapfen aus neuem Holz eingepasst
Foto: Bernhard Mergel
In mehreren Etappen wurde die sanierte Fachwerkwand mit einem Teleskoplader an die Fassade gehoben. Die Wand musste leicht schräg von vorne unter das große Vordach gehoben werden
Foto: Bernhard Mergel
Bernhard Mergel, Zimmerer und Präsident der Vereinigung C.C.E.G., Papi Nelson, Zimmerer aus Brasilien und Peter Lambertz (v.l.n.r)
Foto: Bernhard Mergel
Bernhard Mergel ist Zimmerer und Architekt, Mitglied der Gesellenvereinigung Freie Vogtländer Deutschlands sowie Präsident der C.C.E.G., dem Dachverband europäischer Gesellenvereinigungen.
Verband der Europäischen Gesellenzünfte C.C.E.G.
Die C.C.E.G. (Confédération des Compagnonnages Européens / Europäische Gesellenzünfte) ist der Dachverband mehrerer, europäischer Gesellenvereinigungen. Zum Verband gehören fünf deutschsprachige, drei französischsprachige und eine skandinavische Gesellenvereinigung. Die Hauptziele des C.C.E.G. sind die Vernetzung und der Austausch der einzelnen Verbände untereinander. Mehr Informationen dazu finden Sie online unter www.cceg.eu.
Das C.C.E.G.-Verbandsmagazin „Bulletin“ enthält in jeder Ausgabe Reiseberichte von Gesellen und Gesellinnen, die in Europa und weltweit auf die Walz gehen sowie Tipps für Fortbildungen und Seminare. Bestellt werden kann es online unter www.cceg.online.