Die Kunst der kurzen Bauzeiten

Siebengeschossiger Holzbau entsteht in der Seestadt Aspern in Wien

Um die vorgeschriebene, sechsmonatige Bauzeit für den Geschosswohnbau in der Seestadt Aspern einhalten zu können, wurde eine Strategie mit einem hohen Vorfertigungsgrad entwickelt. Das Projekt zeigt die Möglichkeiten des modernen Wohnungsbaus mit unterschiedlichen Nutzungen.

Heribert Wolfmayr und Josef Saller, Gründer und Eigentümer des Architekturbüros heri&salli, konnten im Frühjahr 2018 den von der Stadt Wien ausgeschriebenen Wettbewerb für ein nutzungsoffenes Stadthaus in Holzbauweise zum Wohnen, Arbeiten und der kulturellen Vermittlung für sich entscheiden. Die Verfahrensbedingungen des Wettbewerbes sahen vor, 20 Prozent der bebaubaren Fläche des Grundstücks Nichtwohnnutzungen vorzubehalten.

In dem ausgeschriebenen Konzeptverfahren, in dem der Kaufpreis vorab fixiert war, bewarben sich die potenziellen Grundstückskäufer mit einem Bebauungskonzept und einem Planungsteam, bestehend aus dem Bauträger, dem Architekturbüro, einem Landschaftsplaner und einem Bauunternehmen. Im Falle des Forums am Seebogen zogen heri&salli mit der Firma art:phalanx, einer Agentur für Kultur & Urbanität, einen zusätzlichen Partner zur Entwicklung des Nutzungskonzepts hinzu.

Mit der Forderung nach einem konkreten Planungsteam wurden neben den finanziellen vor allem den nutzerzentrierten Aspekten wie Wohnungsgröße und Zimmeraufteilung, Ausrichtung und Belichtung der Wohnungen sowie der Gestaltung wohnungseigener und gemeinschaftlicher Freiräume mehr Gewicht zugerechnet. Daneben spielten vor allem die Materialwahl und die Fassadengestaltung sowie das Wohnklima und die Erschließungsmöglichkeiten eine entscheidende Rolle.

Der ausgelobte Wettbewerb konzentrierte sich auf die folgenden Kernanforderungen:

  • einer Bruttogeschossfläche von maximal 2500 m2, von der nicht mehr als 80 Prozent der Wohnnutzung vorbehalten sein durften
  • der Einbeziehung eines Systemanbieters ins Projektteam zur Absicherung der Baukosten und der Bauzeit, also der Gewährleistung der Preis- und Zeitgarantie
  • einem hohen Vorfertigungsgrad durch industriell vorgefertigte Elemente und Systembauteile zur Garantie der Bauzeit und Baukosten
  • einer Bauzeit von maximal sechs Monaten

„Um die kurze Bauzeit einhalten zu können kam von vornherein nur ein Holzbau mit einem größtmöglichen Vorfertigungsgrad in Frage“, erklärt Josef Saller.

 

Lage am Wasser

Tritt man bei der U-Bahn Haltestelle „Seestadt“ aus der Linie U2, steht man unmittelbar vor dem mehrgeschossigen Holzhaus, das auch den Fußgängerübergang über den Asperner See markiert. Das „Forum am Seebogen“, wie es aufgrund seiner öffentlich nutzbaren Erdgeschosszone genannt wird, liegt in der Seestadt Aspern, einem Stadtentwicklungsgebiet im 20. Wiener Gemeindebezirk am östlichen Stadtrand der österreichischen Hauptstadt.

 

Das Forum als Schnittstelle

Als „Forum“ wurde es mit einer nutzungsoffenen, visuell durchlässigen und hohen Sockelzone mit öffentlichem Charakter konzipiert. Es soll über die eigentlichen Grundstücksgrenzen hinweg als Veranstaltungsort, Infopunkt, Kommunikationsschnittstelle oder Treffpunkt für das neue Stadtentwicklungsgebiet fungieren. Die benachbarte Grünfläche wurde so entworfen, dass sie für Veranstaltungen mit bespielt werden kann. 

Das 32 m lange und 15 m breite Bauwerk besitzt seine Längsachse in Nord-Süd-Richtung, womit der Großteil der eingeschossigen Wohnungen entweder ost- oder westseitig orientiert sind. Die Wohnungen an der südseitigen Stirnseite besitzen hingegen mehrheitlich eine dreifache Orientierung nach Osten, Süden und Westen.

Die gute Ausrichtung machten sich die Architekten in ihrer Bauwerkskonzeption zu Nutze, um den Wohnungen an dieser Stelle rund maximal 14 m2 große Balkone und Terrassen vorzulagern. Von diesen sicht- und wettergeschützten Außenräumen öffnet sich ein privilegierter Blick über die autofreie und dicht begrünte Seestadtpromenade und den Asperner See hinweg auf den gegenüberliegenden Seepark.

 

Holzmodul-Konzept  

Hinter der horizontalen Brettverschalung der Fassaden mit den vertikal orientierten Schiebebalken vor den Fenstern verbirgt sich ein Wohnbau mit einer Raumstruktur, die eine Nutzung durch verschiedenen Bewohnergruppen zulässt.


Die Vorfertigung im Holzbau ist in Österreich sehr weit fortgeschritten und die Produktionsprozesse weitestgehend automatisiert. „Unser Ziel war es von Anfang an aufzuzeigen, wie man mit und trotz vorgefertigter Holzbauelemente eine Vielfalt an Wohnungstypologien und Wohnungsqualitäten entwerfen kann“, erklärt Architekt Saller.

Das Konzept ist auf zwei Grundmodulen unterschiedlicher Längen aufgebaut, mit Nutzflächen von rund 17 m2 oder 22 m2. Diese Module werden auf einem quadratischen Grundraster von 3,10 m x 3,10 m miteinander kombiniert und zu unterschiedlich großen Wohnungen zusammengefügt und teils gedreht.

So gibt es beispielsweise ein Grundmodul für die Küche und den Essensbereich sowie ein zweites für den Schlaf- und Badezimmerbereich. Durch das Hinzufügen mehrerer dieser Schlafbereiche entstehen Zwei-, Drei-, oder Vierzimmerwohnungen, die vielfach durch „Wohnzimmermodule“ erweitert wurden. Die Wohnflächen betragen dementsprechend zwischen 45 m2 für die kleinsten Zweizimmerwohnungen und 94 m2 für die Vierzimmerwohnungen.

 

Konzept ermöglicht Treffpunkte

Ergänzt werden diese Grundmodule auf den verschiedenen Geschossen durch punktuell angeordnete Volumen, die als Gemeinschaftsarbeitsplätze oder Werk-räume, sogenannte Mini-Labs mit einer Nutzfläche von etwa 17 m2, fungieren. Im 6. Obergeschoss wird der Baukörper schließlich durch ein Open Space Büro von 123 m2 und zwei zusätzlichen Zweizimmerwohnungen abgeschlossen.

Die Erschließung der Wohnungen erfolgt von der nordseitig gelegenen Treppe oder dem Lift, entweder über einen in der Gebäudemitte liegenden Gang oder entlang der an den Fassaden gelegenen Laubengänge. Damit ergeben sich allgemein nutzbare Treffpunkte für die Bewohner.

Durch das Wegnehmen, Drehen und Hinzufügen der Basismodule entstanden von Geschoss zu Geschoss unterschiedliche Verkehrswege, Terrassen und Außenräume, wodurch sich ein vielfältiges Fassadenbild ergibt, das den an sich streng geometrischen Baukörper belebt.

 

Mischkonstruktion – Holz neben Beton

Das einfache, orthogonale Bauwerk besteht aus zwei Bauteilen, die tragwerkstechnisch unabhängig voneinander funktionieren: einem L-förmigen Stahlbetonteil, der das Erdgeschoss und das nordseitig gelegene, offene Treppenhaus mit der Liftanlege bildet sowie dem 6-geschossigen „Überbau“ aus Holz, dem die Prinzipien der Flexibilität und der seriellen Produktion zu Grunde liegen.

Eine Anzahl von Randbedingungen, wie unter anderem die gestiegenen Holzpreise und die hohen Transportkosten für die vorgefertigten Holzmodule, führten dazu, dass das Projekt nicht, wie ursprünglich vorgesehen, als Modulbau realisiert werden konnte.

Um im Budget zu bleiben und aus statischen Gründen entschied man sich schließlich zusammen mit Strobl Bau auf eine Mischkonstruktion aus den schwereren, schichtverleimten Holzelementen (BSP) in den unteren Geschossen und einer leichteren Pfosten-Riegelkonstruktion in den oberen Geschossen.

Konkret wurden sowohl die tragenden Wände als auch die Decken der ersten drei Obergeschosse mit Brettsperrholz ausgeführt, während die tragenden Wände der drei darüberliegenden Geschosse in Holzriegelbauweise errichtet wurden, wobei auch hier Brettsperrholzplatten für die Decken zum Einsatz kamen. Die Geschossdecken haben Großteils eine Länge von 9,30 m und aufgrund des Achsabstandes eine Breite von 3,10 m. Je nach den statischen Anforderungen wurden entweder 12 cm dicke, 5-lagige BSP-Platten, oder 22 cm dicke 7-lagige Platten verwendet. In den obersten Geschoss wurde aber an dem ursprünglichen Konzept, das Umsetzen in Modulen, festgehalten und dies auch realisiert.

 

Änderung der Bauweise hat Folgen

Trotz der veränderten Bauweise wurden jedoch das Raum- und Organisationsprinzip der einzelnen Wohnungen, Geschossen und Erschließungen beibehalten. Die Vielfalt der Wohnungen und Labs, der Wechsel der Grundrisse von Stockwerk zu Stockwerk und die begrenzten Transportmöglichkeiten erforderten einerseits die Anfertigung von Passtücken, die als Füllelemente für die großen Wandelemente notwendig wurden. Andererseits ermöglichte der Wechsel von der Modul- zur Holzelementbauweise nach Angaben von Strobl Bau (Holzbau) – die nicht nur für die Ausführung der Holzbauarbeiten, sondern auch die tragwerkstechnischen Berechnungen verantwortlich zeigten – statisch relevante Knoten besser in den Griff bekommen werden.

Auch die Außenwände des ersten, zweiten und dritten Obergeschosses wurden aus tragwerkstechnischen Gründen in Brettsperrholz mit einer vorgesetzten Riegelwand ausgeführt, während die Außenwände der Geschosse vier, fünf und sechs als Holzriegelwand ausgeführt wurden.

 

Vorfertigung im Holzbau

Während die Architekten die Grundrisspläne und Schnitte des Bauwerks anlieferten übernahm die Firma Strobl die Ausführungs- und Werkplanung beziehungsweise die Ausarbeitung der statischen und konstruktiven Details. „Die für den Transport möglichen Höhen und Längen und das Gewicht der fertigen Elemente waren der Ausgangspunkt für unsere Werkplanung“, wie Johann Harrer, Geschäftsführender Gesellschafter bei Strobl Bau, betont.

Die Werkplanung erstellte unter anderem die Versetz-Reihenfolge der Wände. Dabei wurde die Verlade-Reihenfolge der Elemente so abgestimmt, dass die Teile auf der Baustelle sofort vom Lkw ausgeladen und versetzt werden konnten, ohne zwischengelagert werden zu müssen, außerdem konnte dadurch bei der Montage immer die Zwischendichtheit gewährleistet werden. Um den Bauprozess zu beschleunigen wurden auch die Fassaden größtenteils im Werk fertiggestellt, das heißt die Fenster und Schiebeläden bereits im Werk montiert. Auf diese Art und Weise mussten auf der Baustelle nur die Eckverbindungen beziehungsweise die Geschossstöße geschlossen werden.

 

Verschachtelung als Herausforderung

Die Verschachtelung und Verschränkung der Wohnungen hatten nicht nur eine entscheidende Auswirkung auf das statische Konzept, sondern stellten eine besondere Herausforderung an den Schallschutz, die Vermeidung von Kältebrücken und den Brandschutz dar und führten zu Anpassungen und Veränderungen im Bau und im Design.

Die ursprünglich sichtbar belassenen Holztrenn­wände der Wohnungen und die Untersichten der Geschossdecken mussten so aus Brandschutzgründen mehrlagig mit Gipskartonplatten verkleidet werden. Innenwände mussten doppellagig mit GKP-Platten verschalt, Installationsschächte sogar dreilagig verkleidet werden.

Auch im Außenbereich, am Übergang benachbarter Wohnungen, mussten einige der Wände und Decken ebenfalls verputzt werden, wobei darauf geachtet wurde die Brettverschalungen der Fassaden aus ästhetischen Gründen zumindest ansatzweise um die Ecken in die Loggien, Balkone und Terrassen hineinzuziehen.

 

Fassade aus unbehandeltem Holz

Aufgrund der Witterungsbeständigkeit und der schönen, grauen Patina, die das Holz im Laufe der Zeit bekommt, wurden für die Rhombenschalung der Fassade gehobelte und unbehandelte Lärchenbretter verwendet. Aus Brandschutzgründen mussten allerdings auskragende Stahlbleche in den Geschossfugen angebracht werden. Für die Stützen wurde Fichtenholz unterschiedlicher Qualitäten mit einem einheitlichen Querschnitt von 28 x 28 cm verwendet.

Die Stützen und Balken in den Außenbereichen des Dachgeschosses erfüllen keine tragende Rolle, bilden aber einen homogenen und visuellen Abschluss des Baukörpers und wurden in der Zwischenzeit von den Bewohnern zum Befestigen von Hängestühlen und Hängematten adaptiert.

Je nach den bauphysikalischen und bautechnischen Anforderungen wurden die Terrassen, Laubengänge oder Loggien entweder mit Holzdielen oder Betonsteinplatten versehen.

 

Es lohnt sich, neue Wege zu gehen  

Mit dem „Forum am Seebogen“ ist es gelungen, neue Wege, wie Wohnungsbau und Möglichkeiten des gemeinschaftlichen Arbeitens im mehrgeschossigen Holzwohnungsbau, aufzuzeigen. Durch die intensive Zusammenarbeit mit Strobl Bau wurde das enge, sechsmonatige Zeitfenster eingehalten. Das Projekt zeigt aber auch die Grenzen des Holzmodulbaus auf und lässt vermuten, dass die Zukunft des mehrgeschossigen Holzbaus in einer Holzmischbauweise und in einer Verschränkung der Holzkonstruktion mit Beton oder anderen mineralischen Baustoffen liegt.

 

Autor

Michael Koller ist Architekt und Stadtplaner mit Arbeitsschwerpunkten in Frankreich und den Niederlanden. Er unterrichtet an verschiedenen Universitäten und ist freier Journalist für deutschsprachige Architektur- und Fachzeitschriften.


Bautafel (Auswahl)

 

Projekt „Forum am Seebogen“, siebengeschossiger Holzbau am Seebogen, Seestadt Aspern, Wien

Bauherr Familienwohnbau gemeinnützige Bau- und Siedlungsges.m.b.H., www.familienwohnbau.at

Planung Architekturbüro heri&salli, Wien, www.heriundsalli.com

Team Wettbewerb Heribert Wolfmayr, Josef Saller, David Florez, Chaido Kaproulia    

Team Ausführung Rumena Trendafilova, Kristyna Sevcikova, Tynn Chao David Florez

Beratung Nutzungskonzept art:phalanx, Agentur für Kultur & Urbanität, www.artphalanx.at

Landschaftsarchitektur Paisagista Liz Zimmermann, www.paisagistablog.wordpress.com

Tragwerksplanung Wettbewerb Werkraum Ingenieure ZT GmbH, www.werkraum.com

Werkplanung und Statik Ausführung Strobl Bau – Holzbau GmbH, Weiz (AT), www.strobl.at

Holzbaustatik (Ausführung) Gretl Salzer, www.gretl-salzer.at

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