Zukunftsinvestition

Die Sanierung eines immissionsbelasteten Wohnblocks aus den 1970er Jahren in Augsburg zeigt neue Wege auf: Mit einer hochwärmegedämmten Hülle aus vorgefertigten Holztafelbauelementen wird nicht nur der energetische Standard eines energieeffizienten Gebäudes erreicht, die architektonische Qualität erhöht zudem die Wohnqualität.

Gesichtslosigkeit einerseits, in die Jahre gekommene Bausubstanz und unzulänglicher Wärmeschutz auf der anderen Seite, kennzeichnen vielerorts Wohnbebauungen aus der Nachkriegszeit. Doch genau darin sah die Eigentümerin der Augsburger Wohnanlage, die städtische Wohnungsbaugesellschaft WBG, eine Chance und bewarb sich mit dem Sanierungsfall bei „e% – Energieeffizienter Wohnungsbau“. Dieses Modellvorhaben der Obersten Baubehörde im Bayerischen Innenministerium fördert und begleitet insgesamt zehn Projekte in ganz Bayern, die energetische Anforderungen von morgen architektonisch ambitioniert, ökonomisch sinnvoll und nutzerfreundlich in die Praxis umsetzen und die Möglichkeit einer Übertragbarkeit auf vergleichbare Baumaßnahmen eröffnen.

TES-EnergyFacade – Probe aufs Exempel

Der Bewerbung vorausgegangen war ein durch die WBG ausgelobter Architektenwettbewerb, den das Augsburger Büro lattkearchitekten mit einem energetisch wie gestalterisch überzeugendem Gesamtkonzept für sich entschied. Grundlage des Entwurfs war die Ertüchtigung der alten Fassade durch vorgefertigte Holzrahmenelemente mit einer 25 cm dicken Dämmschicht und integrierten Fenstern mit Dreifachverglasung, die just in time auf die Baustelle geliefert und an das Bestandsgebäude montiert werden. TES-EnergyFacade heißt das mehrfach ausgezeichnete System, das in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München sowie Forschungsinstituten in Finnland und Norwegen entstanden ist. Dipl.-Ing. Frank Lattke von lattkearchitekten leitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU München das TES-Forschungsprojekt und zeichnet nun auch für das Nachfolgeprojekt „smartTES“ verantwortlich. „Die TES-Methode garantiert eine verlässliche Qualität zu vereinbarten Kosten und zu einem definierten Zeitpunkt“, so Frank Lattke. „Aber es gab noch weitere Gründe, weshalb wir uns bei dem Projekt Grüntenstraße für eine TES-Fassade entschieden haben. Der hohe Vorfertigungsgrad reduziert die Bauzeit vor Ort erheblich und ermöglicht zugleich relativ unkompliziert eine architektonische Umgestaltung inklusive Wohnraumerweiterung.“

Auch dass die Mieter während der Demontage der Außenwände im Haus wohnen bleiben konnten – was eher unüblich ist – ist dem TES-System geschuldet und dennoch eine technische und logistische Herausforderung für die Planer. Dank perfekter digitaler Aufmaße mit modernen Messmethoden, maximaler Vorfertigung und der schnellen, sauberen Montage der neuen Fassadenelemente blieb die Belastung für die Bewohner relativ gering.

Der Mensch steht im Mittelpunkt

„Unser Ansatz war ganzheitlich, es ging nicht nur um energetische Optimierung“, erläutert Lattke. „Natürlich ist ein Gebäude aus dieser Bauzeit eine Energieschleuder. Aber uns war auch die architektonische Aussage wichtig und die Anpassung der insgesamt 60 Wohnungen an heutige Standards, um die sozialen wie emotionalen Bedürfnisse der Bewohner zu erfüllen.“

Die beiden drei- und sechsgeschossigen Gebäude wurden mit neuen Bädern, barrierefreien Zugängen und Aufzügen ausgestattet. Eine Holzpelletsheizung trägt wesentlich zur CO2-Reduzierung bei und ermöglicht das vorgegebene Energieeinsparziel.

Nicht nur, dass das Heizen mit der neuen TES-Fassade beinahe obsolet wird, durch die vergrößerten Balkone mit teilweiser Verglasung ist eine Verbesserung der Lebensqualität eindrucksvoll erlebbar. Die Bestandsbalkone, die als Wintergärten in die thermische Gebäudehülle integriert und zu voll nutzbaren Innenräumen umgestaltet wurden, haben eine deutliche Pufferwirkung und schirmen den Lärm von der vielbefahrenen Friedberger Straße ab. Architektonisch bilden die verglasten Raumboxen und die zu Balkonen erweiterten Zwischenräume ein elegantes, zeitgemäßes Fassadenbild mit eigener Identität.

Sanierung mit Mehrwert

Das Wohnumfeld wurde insgesamt aufgewertet: Die neu gestalteten Außenanlagen, qualitativ hochwertige Materialien wie Holz, Glas und Stahl sowie das Farbkonzept geben der ehemals abgewohnten Anlage ein wertiges Gesamterscheinungsbild. „Um ein Zeichen für die Veränderung zu setzen und nicht in kurzer Zeit wieder unter Sanierungsdruck zu stehen, entschieden wir uns für eine Fassadenverkleidung aus Holz“, erklärt der Architekt. „Allerdings wollten wir das Holz nicht natursichtig verwenden, sondern farbig gestalten, weil die natürliche Vergrauung nicht immer gleichmäßig vonstatten geht. Wie ein Gebäude altert, ist jedoch ein wesentlicher Aspekt für langfristige Identifikation und Wertschätzung. Die weiß gestrichene Holzverschalung wirkt edel und fügt sich in ihrer Schlichtheit gut in den städtebaulichen Kontext ein.“

Auf der Suche nach einer geeigneten Holzbeschichtung wurden die Architekten ganz in der Nähe fündig: bei der Firma Keimfarben aus Diedorf, die mit dem Produkt Lignosil in diesem Jahr die weltweit erste Silikatfarbe für Holz und Holzwerkstoffe auf den Markt gebracht hat.

Innovativ und Energie einsparend

„Das erste Mal bin ich in Skandinavien auf Lignosil gestoßen“, berichtet Lattke. „Wir haben mit der TES-Forschungsgruppe eine Schule in Norwegen besichtigt und waren auf Anhieb begeistert von der matt weiß beschichteten Holzfassade. Auf unsere Nachfrage erhielten wir die Auskunft „It’s a German product, made by Keimfarben ...“

Über zwanzig Jahre arbeiteten die Entwickler des Farbenherstellers im Rahmen eines Forschungsprojekts und mit Unterstützung namhafter Institute am Transfer der Silikattechnik auf den Untergrund Holz. Die Vorteile liegen auf der Hand: Lignosil verbindet sich – wie jede silikatische Farbe – dauerhaft mit dem Untergrund, ist UV-stabil, lichtecht und hat einen sehr guten Feuchteschutz. Die samtmatte Oberflächenoptik lässt zudem die Holzstruktur durchscheinen

Mit der Modernisierung der Augsburger Wohnanlage wurde nicht nur das erklärte Ziel des Modellvorhabens erfüllt, nämlich den durch die Energieeinsparverordnung 2007 festgelegten Jahresprimärenergiebedarf um mindestens 40 Prozent zu unterschreiten, es wurden darüber hinaus noch weitere Perspektiven geschaffen. Denn neben der energetischen Ertüchtigung und dem Zugewinn an Wohnqualität ist auch die durch Material und Farbigkeit neu geschaffene Identität des Wohnblocks ein nachhaltiger Zukunftswert.


Autorin

Dipl. Ingenieurin Susanne Mandl hat Architektur und Design studiert und arbeitet seit 1998 als freischaffende Fachjournalistin und Designerin.

Durch die neue TES-Fassade wird wertvolle Heizenergie gespart

Bautafel (Auswahl)

Objektstandort Grüntenstraße 30 bis 36,
86164 Augsburg

Bauherr WBG Wohnbaugesellschaft der Stadt Augsburg GmbH, www.wbg-augsburg.de

Planung/Bauzeit 2010 bis 2012

Nutzfläche 6300 m²

Baukosten 4,4 Mio. Euro netto

Architektur lattkearchitekten BDA, 86150 Augsburg, www.lattkearchitekten.de

Tragwerksplanung bauart Konstruktions GmbH & Co. KG, www.bauart-konstruktion.de

Holzbau Gumpp & Maier GmbH, www.gumpp-maier.de, 86637 Binswangen

Vorgehängte Fassade Vorgefertigte Holzrahmenbau-Elemente (TES EnergyFacade), www.tesenergyfacade.com

Farbe Keim Lignosil, www.keimfarben.de,
www.lignosil.de

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