Regionale Bauweise, wirksamer Schneeschutz
Die Statik des Dachtragwerks unter Berücksichtigung großer Schneemengen

Große Schneemengen auf Dächern werden schnell zum Problem. Sie belasten die Statik des Dachtragwerks zusätzlich und bergen die Gefahr von Schnee- oder Eislawinen. Bereits in der Planungsphase eines Bauwerks sollten daher die zu erwartenden Schneelasten berücksichtigt werden.

Vorbeugend sollten bereits bei der Planung von Dächern Schneeschutzvorrichtungen eingeplant werden. Basis für die Berechnung sind die DIN EN 1991-1-3 (ehemals DIN 1055-5) sowie die Hinweise zur Lastermittlung innerhalb der Fachregel des ZVDH unter 3.2. „Schneelasten auf Dächern“. Zusätzlich ist das seit dem 1.8.2013 in Kraft getretene Merkblatt „Einbauteile bei Dachdeckungen“ mit dem Kapitel 3.6 Schneeschutzsysteme zu berücksichtigen. Im Regelfall bieten die am Markt verfügbaren Dachplanungs-Tools schon eine den Normen und Fachregeln entsprechende Schneelastberechnung. In den zugrunde liegenden Rechengang (nach ZVDH Fachregel „Schneelasten auf Dächern“ 3.2.4) fließen als Faktoren die regionalen Schneelasten, die Sparren- und Trauflängen sowie die Neigung des Daches ein. Ob zudem tieferliegende Gebäude oder Gebäudeteile zu schützen sind, wird ebenfalls berücksichtigt. Hieraus ergeben sich zum einen die statischen Vorgaben für das Dachtragwerk, zum anderen die zu ergreifenden Maßnahmen zum Schneeschutz. Hier ist auch der Dachhandwerker in der Pflicht. Denn für die von ihm eingebauten Schneeschutzmaßnahmen muss er einen auf das Objekt bezogenen statischen Nachweis vorlegen. Mit dem neuen Merkblatt „Einbauteile bei Dachdeckungen“ ist es deutlich einfacher geworden, einen solchen Nachweis zu erbringen. Im erwähnten Merkblatt heißt es unter 3.6.5 Bemessung Absatz (4): „[...] Der statische Nachweis hat herstellerseitig nach den eingeführten Technischen Baubestimmungen zu erfolgen.“ Die meisten Hersteller bieten ergänzend zu ihrem Schneeschutzprogramm auch einen Berechnungsservice an, der neben der Berechnung der Schneelast auch die Dimensionierung der notwendigen Schneeschutzsysteme objektbezogen ermittelt.

Regionale Bauweisen beachten

Insbesondere in schneereichen Regionen haben sich zudem Bauweisen etabliert, die den von den Schneemengen ausgehenden Gefahren Rechnung tragen. Ein Beispiel hierfür ist der Hochschwarzwald mit Schneehöhen von zwei Metern und mehr. Traditionelle Schwarzwaldhäuser besitzen deshalb kaum Schneefangvorrichtungen und ursprünglich auch keine Regenrinnen. Große Dachüberstände sorgen zusätzlich dafür, den Schnee und das Schmelzwasser möglichst weit weg vom Bauwerk zu führen. Wenn möglich, modelliert man zudem das Gelände um ein Haus so, dass das Wasser vom Gebäude wegläuft. Einige dieser Erkenntnisse flossen auch bei der Planung und dem Bau des Freizeitbads „Badeparadies Schwarzwald“ am Titisee im Schwarzwald ein.

Tragfähiges Ziegeldach

Das im Grundriss T-förmige Bauwerk besteht aus einem von außen sichtgeschützten Glaspavillon mit aufschiebbarem Panoramadach, einem langen Ziegeldach mit auskragendem Glasgiebeln und mittigem Lichtband sowie einem weiteren Ziegeldach, das den Eingangsbereich überspannt. Mit rund 4000 m² Dachfläche überspannt das größte Dach das Rutschenparadies Galaxy. Die trapezförmige Dachkonstruktion aus Leimholzbindern trägt sowohl die Lasten des Daches als auch große Teile der an den Bindern abgehängten Rutschen. Großflächige Holzdämmelemente oberhalb der Leimholzbinder wirken als aussteifende Dachscheiben.

Als Dachdeckung kam der Koramic Reformziegel Cosmo 13 S von Wienerberger zum Einsatz. Reformziegel sind in dieser Region weit verbreitet. Insgesamt verbauten die Dachdecker der Rudi Metzler GmbH aus Hinterzarten an diesem Dach rund 43 000 rot engobierte Flächenziegel, 750 linke und rechte Ortgangziegel, 704 Firstanschluss-Lüfterziegel, 368 Flächenlüfter, 170 Pultfirstziegel, 60 Firstziegel und weitere 40 Formteile aus Keramik.

Sinnvoller Dialog zwischen den Handwerkern

Die Detaillierung der großen Dächer wurde im Dialog zwischen dem Planer, den beteiligten Handwerksunternehmen sowie der Fachberatung von Wienerberger entwickelt. Gemeinsames Ziel war ein ästhetisches wie haltbares Dach, das den hohen bauphysikalischen, aber auch statischen Anforderungen gerecht wird, die aufgrund der in dieser Region möglichen Schneemassen resultieren. Dabei sichert die konsequente, vollkeramische Detaillierung der Dachflächen eine Lösung in bewährter Qualität und hoher Funktionstüchtigkeit. Die Notwendigkeit einer winterfesten Ausführung in dieser schneereichen Region stand dabei im Vordergrund.

Rinnenfreie Traufen

Insbesondere mit Blick auf die Größe der Dachflächen griff man bei der Ausgestaltung der Dächer auch auf die traditionellen regionalen Bauweisen zurück. So haben die Dächer keine Rinnen, sondern entwässern ungehindert in spezielle Granitrinnen auf dem Baugrund. Neben der Entwässerung der Dachflächen – inklusive einem knapp 1000 m² großen Flachdach im Firstbereich des Badeparadieses – galt es, auch die erheblichen Schneemassen zu bedenken. Selbst bei ausreichend dimensionierten Regenrinnen in DN 300 müssten diese im ungünstigsten Fall tonnenschwere Schneelasten tragen. Da sind Schäden vorprogrammiert.

Mit einer Sparrenlänge von 23,5 m sind die Ansammlungen von Schnee- und Eis, die vom Dach abrutschen und sich an der Traufe sammeln können, um ein Vielfaches höher als bei „normalen“ Häusern. Allein im Winter 2011/2012 stauten sich Schnee und Eis an den Traufen rund sieben Meter hoch. Ermittelt man die Schneelast auf etwaige Schneefangsysteme gemäß Fachregel, so muss beim Badeparadies Schwarzwald im Extremfall mit rund 6 t Schnee pro laufenden Meter Traufe gerechnet werden. Deshalb wurde bei diesen Ziegeldächern mit ihren großen Sparrenlängen auf Schneefangsysteme komplett verzichtet; der Schnee darf ungehindert abrutschen.

Badewasser-Rinnenheizung

Hierfür wurden entlang aller Traufen etwa 1,5 m breite Pflasterrinnen angeordnet. Auch modellierte man das Gelände um das Bauwerk so, dass bei Schneeschmelze das Wasser kontrolliert ablaufen kann. Über die Wintermonate sind die Pflasterrinnen eigentlich immer mit abgerutschtem Schnee gefüllt. Unter die Rinnen legte man den Wasserablauf des Bades. Zuerst wird dem 33 °C warmen Wasser die meiste Wärme über Wärmetauscher entzogen, bevor es unterhalb der Pflasterrinnen in die Regenwasser-Kanalisation abfließt. Aufgrund der Restwärme wirkt es hier wie eine Rinnenheizung. Dank dieser nützlichen und energiesparenden Wasserführung entsteht zudem unter etwaigen Schneebergen zwischen Traufe und Pflasterrinne ein Hohlraum, der die notwendige Hinterlüftungsebene der Dachkonstruktion offen hält.

Belastungsfähiger Ortgang

Ursprünglich war ein filigraner Ortgang mit einer Glasblende geplant. Jedoch ist gerade an der Bauteilkante sowohl mit Schnee sowie mit erheblichen Schneeverwehungen zu rechnen, wodurch ein hoher seitlicher Druck auf den Ortgang entsteht. So ordnete man an den hoch belasteten Ortgängen stattdessen neben der vollkeramischen Ortganglösung zusätzlich groß dimensionierte Ortgangrinnen sowie entsprechende Ortgangbretter an. Um die Rinne zu stabilisieren, montierten die Fachhandwerker alle 60 cm geschweißte, stählerne Winkeleisen als Rinnenhalter. Auf diese Weise schützen die Ortgangrinne und die Ortgangbretter den Ortgang des hohen Daches vor Verwirbelungen und Sog bei Sturm. ↓

Fazit – regionale Bauweisen prüfen

Ob Einfamilienhaus oder Badeparadies, Schneeschutz ist immer objektbezogen zu berechnen und zu dimensionieren. Neben den bewährten Standardlösungen bieten sich insbesondere bei extremen Rahmenbedingungen auch regional erprobte Bauweisen an, um Gebäude und Menschen dauerhaft vor den Gefahren, die von Schnee und Eis auf Dächern ausgehen, zu schützen.


Autoren

Dipl.-Ing. (FH)/ Dipl.-Wirtschaftsing. (FH) Christian Kriemelmeyer ist Produktmanager bei Koramic-Tondachziegel. Gerald Halama ist Baufachjournalist und betreibt ein Büro für Fachpublizistik in Bremen, Sven-Erik Tornow ist Baufachjournalist und betreibt die Agentur Flüstertüte in Köln.

In schneereichen Regionen wird schon immer so gebaut, dass die Schneemassen dem Bau nichts anhaben können

Die Restwärme des Badewassers beheizt die Pflasterrinne, in der der Schnee abschmilzt

Bautafel (Auswahl)

Bauherr/ Planer WUND Gruppe,

88045 Friedrichshafen, www.wund.de

Tragwerk/Dachplanung Holzbau Amann GmbH, 79809 Weilheim-Bannholz,

www.holzbau-amann.de

Ausführung/Dachdeckung Rudi Metzler GmbH, 79856 Hinterzarten, www.metzler-daecher.de

Produkt Koramic-Reformziegel von Wienerberger, www.koramic.de

Online-Service zur regelkonformen Berechnung

Für die regelkonforme Ermittlung des Schneeschutzes bietet Wienerberger einen Schneeschutz-Berechnungsservice an. In ein auf der Website oder innerhalb der kostenlosen Wienerberger Service-App verfügbares Formular können alle relevanten Daten des zu berechnenden Objektes eingetragen und an Wienerberger gesendet werden. Im Gegenzug gibt es kostenlos die entsprechende Schneelastberechnung sowie Vorschläge zum fachgerechten Schneeschutz.

Den umfangreichen Berechnungsservice gibt es unter

www.wienerberger.de.

Im Internet finden Sie neben weiteren Fotos die Schneelastermittlung für das Badeparadies Schwarzwald. Geben Sie hierzu bitte den ­Webcode in die Suchleiste ein.

Web-Service

Hier finden Sie die Schneelastermittlung für das Badeparadies:

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