Modern und doch traditionell  
Neubau einer Produktionsstätte für Wein und dessen Verkostung am Bodensee

In der Voralpenlandschaft am Bodensee bei Hattnau ließ sich die Winzerfamilie Schmidt mit Blick über den See bis zu den Alpen eine neue Produktionsstätte errichten. Das extravagante Gebäude aus Holz sollte dabei nicht nur der Obsternte und der Weinproduktion dienen, sondern auch für gastronomische Zwecke genutzt werden.

Der gelungene Entwurf der Architekten Elmar Ludescher und Philip Lutz passt sich trotz seines modernen Erscheinungsbildes harmonisch in die Umgebung ein. „Wir wollten eine landschaftsbezogene Silhouette und haben uns beim Entwurf an hiesigen historischen Scheunen orientiert“, erläutert Architekt Philip Lutz die Idee. Vertraute Formen und Materialien sollten nachhaltig und ästhetisch modern umgesetzt werden. Und so findet man zwar eine bekannte Silhouette und trotzdem keine Dachüberstände und kein Fallrohr, welche das einheitliche Erscheinungsbild stören könnten. Selbst die Lüftungsrohre verschwinden unter einem Holzkasten auf dem Dach. Ungewöhnlich und doch nicht aufdringlich ist so die Form des gesamten Baukörpers.

Schräggestellte Lamellenfassade

„Der Bau stellt eine statische Besonderheit dar“, so Christian Milz von der ausführenden Holzbaufirma Sohm Holzbautechnik GmbH. Dazu gehört zum Beispiel die ungewöhnliche Rautenform im vorderen Teil des Gebäudes. Dort, wo sich im Erdgeschoss die Vinothek befindet, verlaufen die Außenwände in einem Winkel von 56,5 Grad von der Bodenplatte schräg nach außen. Für den Aufbau wurden hier zunächst entsprechend schräg geschnittene Schwellen aus Lärchenholz auf der Betonkellerdecke mit Bolzenankern (Fischer FAZ M12, 210 mm) verschraubt. Die Breite der Schwellenhölzer entspricht dabei der Kernstärke der Rippen des Fassadenelementes. Die Beplankung der vorgefertigten Fassadenelemente wurde dann so ausgeführt, dass sie übersteht, so dass das gesamte Element auf der Baustelle über die Schwelle geschoben und dann fixiert werden konnte. Diese Schräge setzt sich über beide Längsseiten des Gebäudes als vorgesetzte Lamellenfassade vor der eigentlichen, senkrechten Außenwand fort. Blickt man von Süden auf das Gebäude, scheint es auf zwei großen, dreieckigen Füßen zu stehen. Dieser Effekt entsteht dadurch, dass die sonst durchlaufende Lamellenfassade an dieser Stelle aufgebrochen wird. Vor dem Gastraum befinden sich eine Terrasse sowie der sogenannte Gastgarten. Diese Terrasse liegt dabei geschützt unter einem Vordach, das durch die rechts und links hinter der Lamellenfassade liegenden Treppen gebildet wird.

Eine weitere statische Besonderheit war die Beding-ung, in der Obsthalle eine stützenfreie Konstruktion vorzusehen. Diese Aufgabe wurde durch große Fachwerkträger gelöst, die jetzt nach der Fertigstellung komplett hinter einer Verkleidung verschwunden sind. Zwei dieser Fachwerke spannen dabei über 14,70 m quer zum Gebäude und gliedern diesen hinteren Gebäudeteil so in drei statische Felder. Mit einer Höhe von 3,54 m nehmen sie die gesamte Geschosshöhe ein. Diese großen Fachwerke bestehen in allen Elementen aus Brettschichtholz mit der Festigkeitsklasse GL 24h, wobei der Untergurt ein Maß von 24/60 cm, der Obergurt von 24/40 cm aufweist. Die Form der Verstrebungen verbindet die Vorgaben der Statik mit den Erfordernissen des Entwurfs. So bleibt in der Mitte der im Obergeschoss notwendige Durchgang von 2,00 m Breite im Flur bestehen.

Unterhalb der beiden großen Fachwerke wurde ein weiterer, kleinerer Fachwerkträger in Längsrichtung des Gebäudes vorgesehen. Dieser dient der Längsaussteifung des Hauses. An dieser Stelle verzahnt sich der Holzbau quasi mit dem Massivbau, denn dieser dritte Fachwerkträger liegt auf einem über eine Länge von 14,10 m spannenden Betonüberzug, der wiederum an die Betondecke des Untergeschosses anschließt.

Holz von der Innenverkleidung bis zum Aufzugsschacht

Während das Gebäude also im hinteren Teil in Mischbauweise mit Gießbetonwänden in verschiedenen Formen und Richtungen erstellt wurde, in die der Holzbau eingepasst werden musste, handelt es sich im vorderen Teil ab der Betonkellerdecke um einen reinen Holzbau mit Außenwänden in klassischer Riegelkonstruktion und einer Massivholzdecke. Diese Decke ist ein eigenes Produkt der Firma Sohm aus Alberschwende und aus sogenanntem „DiagonalDübelholz“ hergestellt. Die Buchendübel, die durch Aufquellen eine leimfreie und formstabile Verbindung der speziellen „SohmVollholz-Lamellen“ darstellen, werden dabei kreuzförmig (diagonal) eingepresst und sind in der Oberfläche nicht sichtbar. Der gesamte Deckenaufbau mit Installationslattung und Vertäfelung zum EG sowie EPS, Trittschalldämmung, Heizestrich und Parkett zum OG umfasst 44 cm.

Um weitere Betonierabschnitte zu vermeiden, wurde übrigens auch der Aufzugsschacht nicht wie sonst üblich in Stahlbeton gefertigt, sondern als Massivholzschacht, innen aus Brandschutzgründen mit Fermacellplatten verkleidet, erstellt. Und selbst die Treppe, die hier immerhin als erster Fluchtweg für einen Versammlungsraum im Obergeschoss ausgelegt werden musste, konnte mit 40 mm starken Eichenvollholz-Stufen umgesetzt werden.

Alle Holzbauteile des Gebäudes wurden im Werk in CNC-Technik vorgefertigt und in wenigen Tagen vor Ort aufgestellt. So zügig die Teile nun zusammengefügt werden konnten, so aufwendig war die vorausgehende Planung und Abstimmung für die Arbeiten im Werk. „Fehler müssen schon in der Phase der Vorfertigung vermieden werden. Das war für alle Beteiligten eine anstrengende Zeit, die sehr viel Aufmerksamkeit erforderte“, so Planer Philip Lutz.

Eine große Stärke der ausführenden Holzbaufirma lag in der ausgesprochen sauberen und sorgfältigen Ausführung der Arbeiten, ohne die die Gesamtwirkung des Hauses nicht zum Tragen gekommen wäre. „Unsere Idee war, einen gleichbleibenden Rhythmus der Lamellen über das gesamte Haus zu realisieren“, erklärt dazu der Architekt. „Sämtliche Fugen und sichtbare Kanten mussten sich exakt dem vorgegeben Rhythmus anpassen. Bis hin zur Balken-Untersicht musste hier alles stimmen. Da haben die Handwerker wirklich hervorragende Arbeit geleistet!“ Diese Präzision setzt sich auch im Inneren des Gebäudes fort. Die Architekten legten größten Wert auf die Auswahl und Verarbeitung des Materials. Die Verkleidungen mit sägerauer Weißtanne beispielsweise erforderte eine besondere Sorgfalt bei der Ausführung, zumal sämtliche Eckverbindungen auf Gehrung geschnitten werden mussten. Sägeraues Holz ist in der Tiefe weniger konstant und sehr viel schwieriger sauber zu verarbeiten als gehobelte Bretter. Dass das Holz an diesen Stellen nicht einreißt, hat absolute Priorität, sonst wird das gesamte Erscheinungsbild zunichte gemacht! „Die Architekten wollten im Innenbereich sehr hochwertige Oberflächen. Ausgewählt wurde also Weißtanne, so astarm wie möglich und aus dem Rifteinschnitt, also Lamellen mit stehenden Jahresringen“, erklärt Christian Milz. Theke, Tische, Stühle und die eingebauten Sitzbänke wurden von Tischlereien der Region in ebenfalls hochwertiger Ausführung hergestellt.

Mondän im Obergeschoss, Gemütlich im Erdgeschoss

Während die Vinothek im Erdgeschoss in einheitlich heller Weißtanne gehalten ist, wollten die Architekten im oberen Geschoss einen Raum mit leicht städtischem Charakter für besondere Anlässe wie Hochzeiten oder andere geschlossene Gesellschaften inszenieren. Die Deckenverschalung ist daher schwarz lasiert, was der Raum durch seine Höhe sehr gut verträgt. Während der Schallschutz in dem Gebäude weniger stark beachtet werden musste, wurde sehr viel Wert auf eine gute Raumakustik in den Verkostungsräumen gelegt, um hier unangenehme Halleffekte zu vermeiden. Damit die Holzdecken nicht als Resonanzkörper wirksam werden konnten, wurden sie komplett schallvernichtend mit einem Akustikvlies aus spezieller Holzwolle hinterlegt. Dieses wurde unsichtbar befestigt und konnte jeweils über eine Länge von 6,50 m ohne Stoß verlegt werden.

In der Vinothek wurde eine Deckenuntersicht mit geneigtem Profil eingezogen, die ein besonders behütetes Ambiente erzeugen soll, das zum Sitzen einlädt. „Auch hier haben wir uns an einem historischen Vorbild orientiert“, erklärt der Architekt. „In alten Weinstuben findet man in dieser Gegend häufiger diese leicht gewölbeartige Deckenform aus längsgeneigten Brettern.“ Über dieser abgehängten Decke konnten nun problemlos die Abluftkanäle der Lüftung verschwinden. Die Zuluft wiederum strömt über Schlitze unterhalb der Sitzbänke in den Raum. Das Thema Brandschutz, das eine weit größere Rolle spielte als der Schallschutz, betraf hier beispielsweise die Lüftungskanäle, die in ihrem Verlauf durch verschiedene Nutzungsbereiche und Durchdringungen von Schächten und Decken mit einer Vielzahl von Brandschutzklappen ausgestattet werden musste.

Unkonventionelle Lösungen

Im Obergeschoss gab es noch eine weitere Besonderheit: Damit sich der Raum nicht durch die sehr große Fensterfläche zu stark aufheizen kann, wurde auch hier eine vorgehängte Lamellenfassade vorgesehen. Um aber andererseits an dieser Stelle den beeindruckenden Blick über die Hänge und den See frei genießen zu können, sollte in die Fassade ein großes Doppeltor integriert werden, das sich von einer Position aus bequem öffnen lässt. Gelöst wurde dieses Problem am Ende durch eine Mechanik mit einer mittig angesetzten Kurbel. „Das hat uns ein pensionierten Maschinenbauer konstruiert, die Kräfte werden von einer Motorradkette übertragen“, erläutert Architekt Lutz. Diese Lösung ist so unkonventionell wie das Gebäude selbst. Aber ein Hingucker allemal.

Autorin

Dipl. Ing. Nina Greve lebt und arbeitet als freie Bau- und Architektur-Journalistin in Lübeck, www.abteilung12.de.

Sämtliche Fugen und sichtbare Kanten wurden von den Zimmerern exakt nach dem vorgegebenen Rhythmus gearbeitet

Bautafel (Auswahl)

Projekt Weingut am Bodensee

Bauherr Weingut Schmidt am Bodensee GbR, 88142 Wasserburg

Architekten Philip Lutz ZT-GmbH, A-6900 Bregenz, www.philiplutz.at

Mag.arch. Elmar Ludescher, A-6900 Bregenz, fix@elmar-ludescher.at

Zimmerei Holzbautechnik Sohm GmbH,

A-6861 Alberschwende, www.sohm-holzbau.at

Dacharbeiten Dachdeckerei Tobias Behrens e.U., A-6833 Weiler, www.behrens-dach.at

Innenausbau ARGE Holzbautechnik Sohm GmbH und Trautwein, A-6861 Alberschwende

Dachziegel ca. 29 000 Stk. „Tondach Tasche 19 x 40“, Engobe grau, inkl. keramischen Zubehör; Hersteller: Tondach Gleinstetten, www.tondach.at

Gewerbliche Nutzfläche 1200m2

Bruttogeschossfläche 1800 m2

Im Internet finden Sie weitere Fotos vom Bau des Weinguts Schmidt am Bodensee. Geben Sie hierzu bitte den Webcode in die Suchleiste ein.

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