Schilfrohr zur Dämmung von Denkmal

Ziel der baubiologischen Sanierung eines denkmalgeschützten Schulhauses von 1857 in Murrhardt, war ein möglichst diffusionsoffenes Gebäude zu schaffen. Die Verwendung von regenerativem Schilf für die Dachdämmung wurde von der Stiftung BAU gefördert.

Das ehemalige Schulhaus in Murrhärle ist ein stattliches Fachwerkhaus mit einem Sockelgeschoss aus Naturstein. Sein Dach wird von einem Glockenturm mit barocken Elementen gekrönt. Der Schulbetrieb war bereits 1966 eingestellt worden. Im alten Schulsaal im ersten Stock fanden noch sporadisch Gottesdienste statt, im Erdgeschoss stand der nie benötigte örtliche Feuerwehrwagen. Dementsprechend schlecht gepflegt war der Rest: Aus der Fassade kippten die Ausfachungen, es gab weder eine funktionierende Heizung noch moderne sanitäre Anlagen.

 

Umfassende Sanierung des alten Bestandes

Nach der umfassenden baubiologischen und energetischen Sanierung bietet es heute gut 260 m2 Platz zum Wohnen und Arbeiten. „Auf jeden Fall möchte ich beim eigenen Objekt über den Stand der Technik hinausgehen und Methoden im Grenzbereich erproben“, erzählt der Planer Rolf Canters, der nicht nur Baubiologe, sondern auch Bauingenieur und staatlicher Energieberater ist. Das bedeutet für ihn unter anderem, dass die Dämmung Passivhausstandard möglich macht. Das wurde beispielsweise im Boden mit Schaumglasschotter erreicht. Zum anderen mit einer Heizung, die mit regenerativer Energie auskommt und angenehme Strahlungswärme erzeugt. Wichtigster Bestandteil dabei ist ein feinstaubarmer Holzvergaserkessel, der Wand- und Sockelheizungen versorgt und ein alter, wieder aufgebauter Kachelofen, der eine integrierte, schwerkraftgespeiste Fußbodenheizung versorgt. 


Die Sanierungsdetails erzählen Geschichten

Bei den Entkernungsarbeiten wurde ersichtlich, dass die originalen deutschen Kamine (100 x 100 cm) ausgebaut und durch russische mit kleinerem Querschnitt ersetzt worden waren. Die Last der schweren Originalkamine hatte die Innenwände 10 cm tiefer abgesenkt als die Umfassungswände. Alle Fassaden oberhalb des Sandsteinsockels waren ursprünglich ausgefacht, die Wetterseiten im Westen und Süden zudem verputzt gewesen. Die Originalbalken waren gebeilt und teils zum zweiten oder dritten Mal verwendet, wie die gefundenen Nummerierungen belegten. Für die Sanierung wurde sehr früh ein Restaurator hinzugezogen, der die historischen Farbfassungen ermittelte. Den Bauherren lag der möglichst umfassende Erhalt der Originalsubstanz am Herzen. Das Denkmalamt würdigte diese Sorgfalt und zeigte sich sehr kooperativ.


Statische Ertüchtigung

Durch die neue Nutzung waren keine größeren Lasten zu erwarten, so dass das Tragwerk nicht verstärkt werden musste. Allerdings waren in der Küche und den Nassbereichen die Konstruktionshölzer morsch geworden sowie die Fußpfetten, die direkt auf dem Fundament auflagen und mit Putz abgedeckt gewesen waren. Wo nötig wurden die Fußpfetten entfernt, ansonsten mit Eichenverblendungen verstärkt und wo statisch nicht erforderlich gesundgeschnitten. Im heutigen Wohnzimmer gab es eine sehr weiche Holzbalkendecke mit fast 5 m Spannweite. Hier sollte der historische Kachelofen, der durch einen leichten Kaminofen ersetzt worden war, an seiner alten Stelle rekonstruiert werden. Aus statischen und Brandschutzgründen wurde eine Holz-Beton Verbunddecke eingebaut. Um die Holzbalken vor Feuchte zu schützen, wurde hier die einzige diffusionsdichte Kunststofffolie im gesamten Haus verlegt. Ohne Vorbohren wurden die Verbundschrauben (Hersteller: Friedrich Verbundsysteme) alle 12 bis 15 cm überkreuz in die freigelegten Balken geschraubt und danach der sehr trocken angemischte, PE-faserverstärkte Frischbeton C20 / 25 eingebracht. Zur thermischen Aktivierung wurden kunststoffummantelte Kupferrohre (2 x 25 m DN 25) in den Beton nahtlos eingelegt. Nach dem Härten ist die Betonplatte schubfest mit den Holzbalken verbunden. Diese nehmen die Zugkräfte auf, der Beton wirkt als Druckplatte.

 

Diffusionsoffene Dachdämmung mit Schilf

Auf der Suche nach historischem Dämmmaterial entschied sich der Baubiologe Canters für den nachwachsenden Rohstoff Schilf als Fassaden- und Dachdämmung. Als Dachdämmung und -deckung war dieser Baustoff aus Brandschutzgründen immer seltener verwendet worden. Im Vergleich zu einer konventionellen Dämmung hat Schilf eine bessere Ökobilanz. Von der Stiftung BAU gefördert, führte Canters Brandschutzversuche mit verschiedenen Silikaten durch, entschied sich aber letztendlich, im Dach das Schilf von Innen durch Lehm zu schützen. Nach den Dachziegeln und der Lattung wurden auch die Aufschieblinge entfernt, um genügend Höhe für insgesamt 22 cm Dämmung zu erhalten, ohne die Gesimse entfernen zu müssen. Die erste Lage der 12 cm starker Schilfplatten wurde möglichst auf den Balken gestoßen. Die Platten sind so stabil, dass sie allerdings auch bis zu 50 cm auskragen können, ohne dass später Risse im Putz auftreten (Format: 1,25 m × 0,8 m × 0,12 m, zusätzlich auch erhältlich in 0,08 m / 0,06 m / 0,03 m). Die Luftdichtheit garantiert eine darauf verlegte hochdiffusionsoffene, UV-beständige Unterdachbahn (Stamisol Eco plus). Die Durchdringungen, beispielsweise an den auskragenden Balkenköpfen, wurden besonders sorgfältig abgedichtet und verklebt. 8 x 10 cm Kanthölzer, die mit bis zu 40 cm langen Schrauben mit den Sparren verschraubt wurden, verstärken diese konstruktiv. Anschließend wurde in die entsprechend der historischen Balkenlage unterschiedlich breiten Zwischenfelder, 8 cm starke Schilfplatten eingepasst. Eine 20 mm starke, mit Paraffin hydrophobierte Holzfaserplatte fungiert als regensicheres Unterdach für Lattung und Konterlattung aus resistenter, heimischer  Douglasie. In den oberen Lagen wurden ausschließlich nichtrostende Befestigungsmittel verwendet – verzinkt oder aus Edelstahl.

 

Auch bei der Dachdeckung wurde ökologisch
korrekt gehandelt

Als Dachbelag zur gut sichtbaren Straßenseite wurden über 100 Jahre alte, handgestrichene Biberschwanzziegel in Kronendeckung verlegt. „Recycling ist die beste Art und Weise, baubiologisch zu fertigen“, ist das Credo von Rolf Canters. „Zu guter Letzt macht es einfach auch Freude, mit alten Materialien nochmals umzugehen.“ Zum Garten wurden die alten Muldenfalzziegel verwendet und mit einem Trockenfirst angeschlossen, der die Hinterlüftung gewährleistet.

 

Fassadenlifting

Auf der Südseite war das Fachwerk bei einer historischen Sanierung verputzt, auf der Westseite war es sogar durch ein verputztes Mauerwerk ersetzt worden, das gut erhalten war. Es musste nur mit Wasserhochdruck gereinigt werden. Wenn die Haushaltslage der Bauherren eine weitere Investition möglich macht, soll im Süden eine Solaranlage die Fassade schützen.

Der Zustand des Sichtfachwerks auf der Ostseite war gut, bis auf einige Balken und Fußpfetten. Allerdings waren die Gefache teilweise lose, wiesen breite Fugen auf oder waren sogar aus der Fassade gekippt. 5 Prozent der Gefache wurden entfernt und mit einem Leichttonmörtel neu eingesetzt. Die offenen Fugen zwischen Ausfachungen und Fachwerk wurden ausgekratzt und mit Mörtel wieder geschlossen. Der vereinheitlichende neue Deckputz aus Kalk wurde mit einer reinen Silikatfarbe gestrichen, die mit Titanoxid leicht gelblich pigmentiert war. Die morschen Hölzer beilte der Hausherr eigenhändig ab und besserte sie mit abgelagertem Eichenholz aus, die Fensterfaschen fertigte er aus dem gleichen Material neu. Dann wurde das Holz einheitlich mit Leinöl gestrichen.

Die Nordfassade war am stärksten geschädigt. Obwohl die Hölzer hochgradig vom Hausbock befallen waren, wurde auf Holzschutzmittel verzichtet. Zimmerleute beilten sie ab oder schnitten schadhaftere Stellen bis zu 10 cm tief gesund. Die über 2 / 3 zerstörten Hölzer wurden durch Douglasie ersetzt. Damit wurde ein Holz gewählt, das dauerhafter als das ursprüngliche Nadelholz ist.

 

Neue Fassade auf altem Fachwerk

Das Patchwork aus Alt und Neu verschwand allerdings hinter einer neuen Fassade. Eine 35 mm starke Seekieferplatte bildete die ausssteifende sowie luft- und diffusionsdichte Unterkonstruktion – ein kleiner baubiologischer Kompromiss, wegen der verwendeten Kleber. Baubiologisch optimal wäre eine Beplankung aus Vollholz gewesen. Auf den Platten wurde eine Außendämmung aus 12 cm Schilf mit Draht und Tellerdübeln befestigt. Sie erhielt einen Grundlehmputz mit Armierung aus Kälberhaaren, die rottbeständiger sind als Flachs. Durch 40 cm Dachüberstand und Wiederkehr geschützt, werden hier Lehm-, Kalk- und Silikatbeschichtungen erprobt.

 

Fazit: Passivhausstandard mit nachhaltigen
Baustoffen erreicht

Mit den neuen Dämmstoffen erreicht die Sanierung Passivhausstandard. Das Gebäude wird nun zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie geheizt. Schilfdämmung ist eine gute Möglichkeit, Handwerkliche Leistung zu verkaufen und ökologische Beratungskompetenz zu zeigen. Für die Zimmerleute war die Bau­­stelle ebenfalls interessant und erfolgreich. Sie haben an einem ökologisch innovativen Projekt mitgearbeitet.


Autor
Achim Pilz ist Architekt und Buchautor und publiziert vor allem über nachhaltig relevante Themen im Baubereich, www.bausatz.net.

„Recycling ist die beste Art und Weise, baubiologisch zu fertigen“

Informationen über die Stiftung B-A-U

Die gemeinnützige Stiftung B-A-U versteht sich als Forum von Baubiologen, Architekten und Umweltmedizinern, das sich effektiv und kreativ den notwendigen baubiologisch-umweltmedizinischen Aufgaben widmet.

Bautafel (Auswahl)  

Projekt  Baubiologische Sanierung des alten Schulhauses in Murrhärle

Bauherren Eva und Rolf Canters, Murrhärle

Projektleitung Rolf Canters

Restauratorische Untersuchung Erwin Raff, Denkendorf

Restaurierung des Dachstuhls                   Ökologischer Holzhausbau Helmut Müller, Wielandsweiler

Lehm- und Putzarbeiten Willi Enchelmeier

Schilfplatten Hisreet, Bad Oldesloe

Lehmprodukte Claytec, Viersen Lehm Eiwa, Bisterschied

Feinlehmputz Lesando, Dettelbach

Mineralische Farben Beeck`sche Farben, Stuttgart

Holz-Beton Verbundanker Friedrich, Helmbrechts

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