Holzbau am Naturschutzgebiet

Holzelementbau, realisiert nach dem "Nachhaltiges Bauen Schweiz SNBS"-Standard

Wie baut man, wenn das Grundstück an ein Naturschutzgebiet angrenzt? Diese Frage haben sich die Architekten Forrer Stieger bei der Planung eines Mehrfamilienhauses intensiv gestellt. Das Ergebnis ist ein Holzelementbau, der nach dem neuen Standard „Nachhaltiges Bauen Schweiz SNBS“ realisiert wurde.

Für den Geschosswohnungsbau am Naturschutzgebiet Bildweiher wurde ein in die Jahre gekommenes Mehrfamilienhaus abgerissen. Während Unter- und Sockelgeschoss des Neubaus aus Stahlbeton bestehen – aufgrund der leichten Hanglage und der Notwendigkeit einer Tiefgarage – wurden die vier oberen Geschosse in Holzelementbauweise geplant und mit lokalen Baumaterialien errichtet. Der Baustoff Holz überzeugte Bauherr und Architekten aufgrund seiner zahlreichen positiven Eigenschaften und nicht seiner natürlichen Anmutung. Um den Input der grauen Energie weitestgehend zu reduzieren, wurden Hölzer aus regionalem Anbau aus der Schweiz, Österreich und Süddeutschland verwendet. Für eine hohe Wirtschaftlichkeit sorgte beim Mehrfamilienhaus am Bildweiher der hohe Vorfertigungsgrad der Holzelemente und damit eine kurze Bauzeit. So wurden die Ständerwände komplett im Werk des Holzbauunternehmens Blumer Lehmann produziert. Hier wurde schon die Wärmedämmung eingebracht (Steinwolle, Wärmeleitfähigkeit 0,035 W/mK) und die Bauteile mit einer beidseitigen Beplankung versehen sowie die nötigen Elektroleerrohre und Elektrodosen eingebaut.

Die Holzrahmenelemente wurden innen mit zwei Lagen Gipsfaserplatten (15 mm) und außen mit einer Lage Gipsfaserplatten 15 mm beplankt. Zusätzlich wurde außen noch eine Überdämmung von 60 mm und ein schwarzes Windpapier angebracht. Die innere Lage bei allen Wänden wurde mit einer speziell behandelten Gipsfaserplatte ausgeführt, die Schadstoffe wie Formaldehyd bindet (Fermacell Greenline). Nur an wenigen Stellen, beispielsweise an den Kabelkanälen, erfolgte die Verkleidung auf der Baustelle.

Innenausbau im Rohbau

Dabei musste das Planungsteam im Vorfeld das Gewicht und die Abmessungen der einzelnen Elemente berücksichtigen, um die Transportfähigkeit zu gewährleisten. Beim Mehrfamilienhaus am Bildweiher ist es gelungen, einige Außen- und Innenwände in der gesamten Gebäudebreite von rund 12,50 Meter ohne Elementstoß wirtschaftlich an einem Stück zu produzieren und zu versetzen. Die Decken- und Dachelemente für den Holzbau hat die Lignatur AG in Waldstatt (bei St. Gallen) in der Schweiz produziert und ebenfalls direkt auf die Baustelle geliefert. Ein großer Vorteil ist, dass die Deckenelemente ab Werk mit einer hochwertigen Oberfläche versehen werden, sodass keine zeit- und kostenrelevanten bauseitigen Arbeitsschritte für den Innenausbau erforderlich sind und der Innenausbau sofort im Rahmen des Rohbaus fertig ist. Das gute Zusammenspiel von Forrer Stieger Architekten und den regionalen Fachplanern ermöglichte es, den Holzbau in der Kräzernstraße in einem Zeitraum von weniger als zwei Monaten aufzurichten. Die Fertigstellung des Rohbaus gelang so ein Jahr nach Planungsbeginn.

Für die Verkleidung der hinterlüfteten Fassade wurde von den Planern eine Holzfassade in Fichte (Nut- und Federverbindung) gewählt. Die Holzfassade wurde druckimprägniert und zweifach oberflächenbehandelt.

Insgesamt wurden bei dem Projekt 243 Tonnen Holz verbaut. Das CO2-Institut Schweiz hat einen Reduktionseffekt von 402 Tonnen CO2 berechnet, geprüft und durch ein Zertifikat ausgewiesen.

Das Mehrfamilienhaus besteht aus zwei leicht versetzten Baukörpern mit je fünf Geschossen und insgesamt 28 Wohnungen. Ein zentrales gestalterisches Anliegen der Architekten war es, eine ruhige und optisch-homogene Wirkung von Tragwerk, Wand- und Deckenelementen zu erzielen. So bestehen Böden und Decken aus den multifunktionalen Lignatur-Flächenelementen «silence12» mit einer Bauhöhe von 180 mm. Die lasierten Holzdecken mit hochwertiger Oberflächenqualität erfüllen mit einem Feuerwiderstand von 60 Minuten die Brandschutzanforderungen von mehrgeschossigen Holzbauten, und zudem gewährleisten sie einen optimalen Schallschutz im Gebäude. Als weiterer Vorteil der Lignatur-Deckenelemente erwies sich ihre kompakte Bauweise: Aufgrund der eingeschränkten Gebäudehöhe mussten Deckenkonstruktion und -aufbau möglichst schlank realisiert werden. Nur in der Optik beziehungsweise Ausführung unterscheiden sich Decken und Böden: Im Sockelgeschoss sowie im 1. und 2. OG wurden dunkle Mosaik-Plattenböden sowie Eichenparkett mit weiß lasierten Holzdecken kombiniert. Im 3. OG und Attikageschoss sorgen helle Mosaik-Plattenböden beziehungsweise weiß versiegeltes Eichenparkett in Kombination mit Holzdecken für eine wohnliche Atmosphäre.

Senkung des Primärenergieverbrauchs

Das Mehrfamilienhaus verfolgt den Ansatz „ZeroEmission-LowEx“, das heißt bei der Planung von Heizung und Haustechnik wurde darauf geachtet, den Energieverbrauch maximal zu reduzieren und möglichst keine CO2-Emissionen zu verursachen. Die Haustechnik verzichtet vollständig auf fossile Energieträger und minimiert den Primärenergieverbrauch. So wird Warmwasser mit dem thermischen Teil der Hybrid-Solaranlage auf dem Dach produziert. Dieses umweltschonend und effizient erzeugte Warmwasser wird auch für Waschmaschine und Geschirrspüler verwendet. Ist im Winter und bei längeren Schlechtwetterperioden der Ertrag der solarthermischen Anlage zu gering, unterstützt die Wärmepumpe mit Erdwärme die solarthermische Anlage. Die Wärmepumpe ist auch für die nötige Raumwärme in der kalten Jahreszeit zuständig.

Eine neue Art der Warmwassergewinnung und -verteilung stellt das benötigte Warmwasser direkt bei Bezug bereit und verzichtet auf unnötige Bevorratung. Das senkt den Energieverbrauch und sorgt gleichzeitig für die Trinkwasserhygiene. Der mit der Photovoltaik-Anlage produzierte elektrische Strom wird ins Netz eingespeist.

Mit dem „SNBS“ wurde ein übergreifendes Konzept für das nachhaltige Bauen in der Schweiz geschaffen. Es umfasst das Gebäude an sich und den Standort im Kontext seines Umfeldes. Und das Mehrfamilienhaus am Bildweiher ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie die Bedürfnisse von Gesellschaft, Wirtschaftlichkeit und Umwelt optimal in Planung, Bau und Betrieb ineinander greifen können.

Autorin

Petra Steiner ist Architektin, arbeitet bei der Agentur Prösler Kommunikation in Tübingen und betreut Lignatur bei der Pressearbeit.

Bautafel (Auswahl)

Objekt Mehrfamilienhaus Kräzern,

CH-9014 St. Gallen, Mehrgeschossiger Holzbau

Fertigstellung November 2016

Bauzeit 19 Monate

Bauherr SIDRONA Immobilien AG, CH-St. Gallen

Architekt Forrer Stieger Architekten AG, CH-9000 St. Gallen, www.forrerstieger.ch

Nachhaltigkeitsberatung CSD Ingenieure AG,

CH-9006 St. Gallen

Holzbau Blumer-Lehmann AG, CH-9200 Gossau, www.blumer-lehmann.ch

Deckenelemente Lignatur AG, CH-9104 Waldstatt, www.lignatur.ch

Reduktion des Energieverbrauchs

Im Vordergrund der Planung des Mehrfamilienhauses stand, ein qualitativ hochwertiges Gebäude mit langer Lebensdauer zu errichten. Hier knüpft der neue Standard „Nachhaltiges Bauen Schweiz SNBS“ an, der möglichst umfassend die Dimensionen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt umfasst.

So wurde bei der Planung, die in enger Zusammenarbeit von Architekt und regionalen Fachplanern entstand, nicht nur auf eine maximale Reduktion des Energieverbrauchs geachtet. Es wurde ebenso berücksichtigt, wie sich das Gebäude in seine Umwelt einfügt, wie viel Mobilität es in seinem Umfeld verursacht oder wie das Gebäude die Interaktion der Bewohner untereinander fördert. Damit verfolgt der neue Schweizer Standard einen ganzheitlichen Ansatz, der weit über den Fokus aktueller Energie-Labels hinausgeht.

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