Wie Zuckerguss aus Blei

Dachsanierung am Alten Rathaus Mannheim

Es ist das älteste Bauwerk Mannheims und zugleich eines der markantesten: Der ungewöhnliche Doppelbau Altes Rathaus und Pfarrkirche St. Sebastian wurden zwei Jahre lang aufwändig restauriert. Als krönenden Abschluss erhielt der Glockenturm eine außergewöhnliche Verkleidung aus Walzblei in weißer Farbe.

Die Restaurierung von historischen Gebäuden verlangt von den beteiligten Handwerkern besonderes Fingerspitzengefühl, denn es gilt den historischen Bestand für die nachkommenden Generationen möglichst originalgetreu zu bewahren. Für die Restaurierung des Alten Rathauses und der Pfarrkirche St. Sebastian in Mannheim wurden daher authentische Werkstoffe verwendet. Dass es auch in diesem Rahmen möglich ist, Tradition und Moderne zu verbinden, zeigen die Laternen des Glockenturms mit ihrer Eindeckung aus Walzblei in weißer Farbe.

Sanierungsfehler aus der Vergangenheit

Bereits um 1700 errichtet, verbindet seit jeher der Turm das Gebäudeensemble am Marktplatz in Mannheim. Gemeinsam mit dem angrenzenden Kirchen- und Rathausgebäude wurde dieser 2011 umfassend saniert. In den Nachkriegsjahren waren Reparaturarbeiten unsachgemäß ausgeführt worden. Erhebliche Witterungsschäden waren die Folge. An der Eichenholzkonstruktion war weiches Nadelholz als Ausbesserungsmaterial verwendet worden. Die darüber liegende Verkleidung aus Blei hatte man mit einem Materialmix aus Blei, Zink und verzinkten Stahlblechen unfachmännisch ausgebessert. Eindringendes Wasser hatte die Holzkonstruktion darunter lange vor der Zeit marode werden lassen. Am ältesten Gebäude der Stadt bestand dringender Handlungsbedarf.

Eine tragende Rolle

Im Anschluss an eine zwei Monate dauernde Gerüstbau-Phase konnten die eigentlichen Arbeiten in bis zu 49 m Höhe im Mai 2011 endlich losgehen. An sämtlichen drei Kuppeln, zwei Laternen und am historischen Glockenstuhl mussten zunächst an der Holzkonstruktion umfangreiche Ausbesserungs- und Erneuerungsarbeiten umgesetzt werden. 25 m³ Eichenholz, mindestens zehn Jahre luftgetrocknet, wurden verbaut.

Die Holzverschalung der drei Kuppeln musste von den Handwerkern vollständig, die der Laternen teilweise erneuert werden. Dabei wurde auch der Glockenstuhl saniert und um zwei weitere Glocken ergänzt. Die Wendeltreppe im Inneren wurde teilweise erneuert. Der schwierigste Teil der Holzarbeiten war jedoch der Austausch der morschen Balkenlage über der Glöcknerstube. Dafür musste der ganze Turm  – ein Gewicht von etwa 20 Tonnen – inklusive Kuppeln und Laternen unterbaut und 60 cm angehoben werden.

Tradition trifft auf Innovation

Im Anschluss an die Holzbauarbeiten begannen die Handwerker mit den Bleiarbeiten. Die Beratung vor Ort übernahm Walzblei-Experte Jürgen Seifert von der Röhr+Stolberg GmbH. Gemeinsam entschied man über die Verlegetechnik und das Material für die Neueindeckung. In der Vergangenheit war Walzblei blank verarbeitet und anschließend weiß gestrichen worden. Aus Denkmalschutzerwägungen sollte sich auch die Neueindeckung in weißer Farbe präsentieren. Bei der Firma Röhr+Stolberg erarbeitete man dafür eine Sonderlackierung des Produkts Bleicolor in weiß. „Als wir von der Turmeindeckung in Mannheim hörten, kam uns schnell die Idee, eine Sonderlackierung zu entwickeln. Standardisiert ist Bleicolor bei uns in den gängigen Dachziegelfarben erhältlich, aber grundsätzlich ist natürlich auch jede andere Farbe möglich“,  erklärt Darius Bartetzko, Verkaufsleiter Bauprodukte bei Röhr+Stolberg. Die werkseitige Lackierung des Bleis führt zu einem einheitlicheren und haltbareren Ergebnis als das nachträgliche Streichen per Hand. Zudem erspart es den Verarbeitern einen zeit- und damit kostenintensiven Arbeitsschritt. Bleicolor lässt sich ebenso verarbeiten wie unveredeltes Walzblei. Die spezielle Lackierung hält sämtlichen Falztechniken und auch Treibarbeiten problemlos stand. Zunächst skeptisch, bestätigt das auch Marius Räsener von der mit den Arbeiten beauftragten Softronic Haustechnik und Holzbau GmbH: „Bleicolor lässt sich sehr gut verarbeiten. Es gibt keine Einschränkung im Vergleich zu gewöhnlichem Blei. Ein tolles Produkt, das man bedenkenlos weiterempfehlen kann.“

Verlegetechnik im Fokus

Fünf Tonnen Bleicolor in 2,5 mm Dicke als Plattenware wurden ausgeliefert. Während die Zimmerer am Turm noch an der Schalung arbeiteten, wurden sämtliche Bleche in der Werkstatt zugeschnitten und gekantet. Um potenziellen Durchdringungsstellen und damit verbundenen Witterungsschäden vorzubeugen, wurde auf eine vorderseitige Befestigung komplett verzichtet. Zur Verbindung und Befestigung der Bleche verwendeten die Handwerker stattdessen ausschließlich Falze in Kombination mit rückseitigen Kupferblechen und Haften. Nur an wenigen Details musste punktuell gelötet werden.

Die Laternensäulen verlegten die Dachdecker als Spiegeldeckung einfach gefalzt. An den Außenseiten der Säulen wurden die Stöße zwischen zwei Blechen mit eingefalzten Abdeckstreifen überlappt, an den Laternenböden ordnete man die Einzelbleche radial an und verband sie mit dem kleinen Hohlwulst (auch als Doppelstehfalz bekannt) miteinander. Zur Verstärkung wurden Kupferwinkel eingebracht. Am Zusammenschluss der Bleche in der Turmmitte wurde ein Abdeckblech passgenau eingefügt. Die Übergänge zu den Schieferflächen wurden mit Anschlussblechen versehen. Zur Entwässerung brachten die Handwerker im untersten Abschnitt des Turmhelms Kupferrinnen und -rohre an. Sämtliche Schieferdachflächen deckte man danach neu ein. Der Fassadenanstrich erfolgte originalgetreu in weiß und ochsenblutrot. Als krönender Abschluss wurde der Turmspitze mit Kugel und Kreuz ein vergoldeter Wetterhahn hinzugefügt. Wie vorgesehen, konnte das Gebäude pünktlich zum 98. Deutschen Katholikentag im Mai 2012 fertiggestellt werden.

Autorin

Inga Richrath hat Medienkulturanalyse studiert und ist für das Marketing bei der Röhr+Stolberg GmbH verantwortlich.

Eindringendes Wasser hatte die Holzkonstruktion unter der Bleiverkleidung marode werden lassen

Am ältesten erhaltenen Gebäude Mannheims bestand dringender Handlungsbedarf

Altes Rathaus und Pfarrkirche St. Sebastian

Die Pfarrkirche St. Sebastian am Marktplatz ist die älteste katholische Kirche in Mannheim, sie wurde 1723 fertiggestellt.

Auf die Minute genau, immer dreimal täglich, erklingt vom Turm des Ensembles – das heute älteste erhaltene Bauwerk der Kurfürstenzeit – ein Glockenspiel. Der 57 m hohe Turm verbindet die beiden Bauteile, das Alte Rathaus und die Pfarrkirche. So ist das Bauwerk nicht nur schon von weitem zu hören, sondern auch zu sehen.

Bautafel (Auswahl)

Objekt Altes Rathaus und Pfarrkirche St. Sebas­tian, 68159 Mannheim

Bauherrin Stadt Mannheim / Katholische Kirchen­gemeinde St. Sebastian

Dacharbeiten Softronic Haustechnik und Holzbau GmbH, 68169 Mannheim, www.softronic-
mannheim.de

Material Walzblei, Marke Bleicolor in 2,5 mm ­Dicke und Sonderlackierung weiß

Hersteller Röhr + Stolberg GmbH, 47809 Krefeld

dach+holzbau: Herr Räsener, Ihre Firma ist auf Denkmalsanierung spezialisiert. Waren die Arbeiten am Alten Rathaus in Mannheim trotz Ihrer großen Erfahrung eine besondere Herausforderung?

Florian Räsner: Selbstverständlich bietet jedes Projekt spezifische Herausforderungen. Neben vielen technischen Details war es hier der vorgegebene, enge Zeitplan. Insgesamt betrug die Bauzeit nur ein Jahr. Die Arbeiten mussten zwingend zum Katholikentag im Mai 2012 beendet sein.

dach+holzbau: Welche besonderen Kenntnisse braucht man, um ein Gebäude wie dieses zu sanieren?

Florian Räsner: Unsere 35 Mitarbeiter sind auf die unterschiedlichsten Gewerke spezialisiert. Wir beschäftigen Zimmerer, Dachdecker und Spengler. Bei der Restaurierung geht es darum, historische Bausubstanz möglichst originalgetreu für die Nachwelt zu erhalten und zu rekonstruieren. Dabei gilt es, die vielen denkmalgeschützen traditionellen Materialien und Methoden zuerst einmal zu begreifen, um sie dann behutsam und fachgerecht zu restaurieren – es bedarf also auch sehr viel Erfahrung.

dach+holzbau: Also ist in der Denkmalsanierung kein Platz für ­Innovationen?

Florian Räsner: Im Gegenteil – die traditionellen Baustoffe und –techniken können durch Innovationen sinnvoll ergänzt werden. Am Alten Rathaus haben wir Walzblei blank durch werksseitig lackiertes Walzblei der Marke Bleicolor ersetzt. Dadurch entfiel der aufwändige Arbeitsschritt des Streichens. Die Gleichmäßigkeit und die Haltbarkeit des Farbauftrags konnte dadurch verbessert werden.

dach+holzbau: Welche Arbeiten waren denn
schwieriger und aufwändiger – die Holz- oder die Bleiarbeiten?

Florian Räsner: Beide Gewerke spielten sich auf ganz hohem Niveau ab, allerdings waren bei diesem Projekt die Spenglerarbeiten die größere Herausforderung.

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