Kontroverse um Kunststoff-Dachbahnen

Sollen Kunststoffdachbahnen dicker werden und damit gleichzeitig stabiler? „Dicker ist teurer“ versus „dicker ist stabiler und langlebiger“. Diese beiden Standpunkte gilt es zu diskutieren und abzuwägen, wenn es um die neue Flachdachrichtlinie geht. Unser Autor stellt nachfolgend dazu seine Sicht der Dinge dar.

Wie erwartet war der Gelbdruck der neuen Flachdachrichtlinien ein großes Diskussionsthema während der ZVDH-Sachverständigentagung in Mayen (vom 21.bis 23. 10.2015). Insgesamt gibt es rund 340 „Einsprüche“ zu der neuen Flachdachrichtlinie und viele davon sind aus technischen und praktischen Gesichtspunkten aus meiner Sicht auch nachvollziehbar, wie zum Beispiel die Bestimmungen bezüglich „selbstklebende Dampfsperren“ und die Frage, ob diese wohl als Notabdichtung gelten können oder eben nicht.

Sehr viele Einsprüche gibt es auch von der Industrieseite, wobei meiner Meinung nach nicht an erster Stelle ein Bestreben zur Verbesserung der Qualität, sondern vielmehr die Verteidigung von kurzsichtigen wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund stehen. Ein Aufschrei kam beispielsweise von einigen Kunststoffdachbahnen-Herstellern, die sagen, dass die Erhöhung der Mindestdicken von 1,2 mm auf 1,5 mm für alle Kunststoff-Dachbahnen und der Einbau einer Gewebeverstärkung Geld koste. Natürlich bedeutet die Erhöhung der Mindestdicke auf 1,5 mm (für einige besondere Werkstoffe wie ECB – Ethylen-Copolymerisat-Bitumen – sogar höher) einen gewissen Kostenanstieg, aus technischer Sicht stellt sie aber auf jeden Fall eine bedeutende Verbesserung des Qualitätsniveau und der Sicherheit dar – und sie hat sich in der Praxis schon bewährt. Sicherlich gibt es auch viele positive Beispiele wo die Dicke 1,2 mm auch eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten erreicht hat, jedoch ist klar dass diese Dicke nur wenig „Reserven“ beinhaltet, unter anderem was der Widerstand gegen Hagelschlag betrifft. Die Mindestdicke 1,2 mm ist zudem auch an der unteren Grenze, wenn die Bahn verformt beziehungsweise gezogen wird, wie zum Beispiel bei Manschetten oder ähnlichem. Nicht zuletzt war/ist diese Mindestdicke manchmal Anlass zu Diskussionen, wenn sie in Bereichen verlegt wird, wo sich ungeplant Pfützen bilden, wobei diese Mindestdicke 1,2 mm dann nicht der K2 Anforderung, also Dachabdichtungen mit erhöhten Anforderungen, entspricht.

Dickere Bahn, höhere Lebenserwartung

Was spricht dagegen für die Erhöhung der Mindestdicke? Nehmen wir das Beispiel des „Shattering“: Im Frühjahr 2012 gab es Berichte über dieses Phänomen, welches laut ZVDH-Auswertung fast ausnahmslos bei dünneren Bahnen mit einer Dicke kleiner oder gleich 1,5 mm auftrat. Die Schadenswelle war enorm und das wirkte sich wiederum sehr negativ auf die Dachbahnen-Hersteller aus. Gleiches galt für die erste ­Generation der PVC-Dachbahnen vor nunmehr 40 Jahren. Da die Änderungen der Regel für alle Produktfamilien (also PVC, TPO, EVA) und alle Hersteller gelten, hätte mit der Veränderung niemand einen Wettbewerbsnachteil. Der größte Vorteil aber wäre, wenn sich durch die Erhöhung der Mindestdicke große Schadensfälle, wie zum Beispiel auch durch Hagel vermeiden ließen.

Kunststoff-Dachbahn mit Verstärkung

Noch viel bedeutender und eigentlich längst fällig ist die neue Vorschrift, dass generell Kunststoff-Dachbahnen mit Verstärkung stark befürwortet werden, und dass Kunststoffbahnen ohne Verstärkung nur noch mit Beschränkungen, zum Beispiel mit oberseitigem Schutz beziehungsweise verklebt mit der Unterlage zugelassen werden. Dies erscheint erst einmal logisch, aber dennoch scheint von einem Teil der Industrieseite ein großer Widerstand gegen diese – aus meiner Sicht – notwendige Maßnahme zu bestehen.

Seit nunmehr 50 Jahren werden Kunststoff-Dachbahnen mit sehr großem Erfolg verwendet, und haben dabei ihre große Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Abdichtungen bewiesen, ob es nun um Lebensdauer, Umweltverträglichkeit, Ästhetik, Wirtschaftlichkeit oder Brandsicherheit geht. Wenn es bei Kunststoff-Dachbahnen mit den meisten Materialgruppen anfänglich „Kinderkrankheiten“ gegeben hat, dann war das fast ausnahmslos mit nicht armierten Bahnen und konnten die Probleme zum Großteil vermieden werden indem Gewebearmierungen verwendet wurden. Man braucht hierbei nur beispielsweise an die „Schrumpfprobleme“ von der ersten Generation homogener PVC Dachbahnen zu denken (kalanderbedingte Rückstellung – siehe Infokasten), oder die Rissbildung bei unarmierten ECB- und PEC-Dachbahnen als Folge von „Kaltfluß“ oder eben im kalten Winter 2012 bei EVA wegen der starke Kältekontraktionsspannung).

Auch bei der großen Shattering-Schadenswelle (spannungsbedingte Sprödbrüche) im Februar 2012 traten laut der ZVDH-Auswertung diese Schäden fast ausschließlich bei nicht verstärkten (gewebelosen) Kunststoffdachbahnen, die lose verlegt waren, auf. Hier konnten sich dann die Kältekontraktionskräfte unbehindert auswirken, was letztendlich zur Rissbildung und instabilen Rissausbreitung führte, wenn die für das jeweilige Material kritische Spannungsintensitätsfaktor überschritten wurde. Dieser Versagensmechanismus beschränkt sich nicht auf eine besondere Werkstoffart und tritt auch nicht nur auf bei Kunststoffen, es sind auch Beispiele bekannt von solchen instabilen Rissausbreitungen im Brückenbau (Beton), Schiffsbau (Stahl) oder Flugzeugbau (Aluminium).

Gewebearmierung: Andere Länder waren strenger

Von daher scheint es jetzt nur logisch und überfällig dass der ZVDH nun als eine Art korrigierende Maßnahme die Verwendung von gewebearmierten Dachbahnen vorschreibt, zumindest bei einer losen Verlegung.

In den USA werden aufgrund von gleichartigen Serienschäden übrigens schon seit 1993 nur noch gewebeverstärkten Kunststoffdachbahnen verlegt. Auch bekannte Gutachter in Deutschland (zum Beispiel Wolfgang Ernst (dauerhaft dichtes Dach, ddD e.V.), mit seinem Fachaufsatz „Shattering – Flachdachschäden im Frühjahr 2012“) sind längst zu den gleichen Erkenntnisse gelangt und beschwören die Planer sowie Verarbeiter, unarmierte (= homogene) Dachbahnen zu vermeiden.

Mehrkosten die sich rentieren?

Selbstverständlich stellt eine solche Polyester-Gewebeeinlage für die Hersteller zusätzliche Mehrkosten dar, aber die Frage darf beziehungsweise muss hier gestellt werden ob nicht „am falschen Ende“ gespart wird, wenn auf eine solche Verstärkung verzichtet wird. Angesichts der vielen Schäden die es nun mal gegeben hat, und nicht nur während des kalten Winters 2012 (Wolfgang Ernst berichte 2009 schon über ähnliche Fälle), ist die Antwort ganz eindeutig. Außerdem sind die Kunststoffdachbahnen mit Gewebeeinlage auch einfacher zu verarbeiten, eben weil das Gewebe die thermoplastische Kunststoffbahn stabilisiert – während des Auslegens der Bahnen sowie vor allem während des Heißluftschweißens. Von daher ist dieser Kampf von einigen Herstellern gegen diese neue Vorschrift und das vehemente Lobbying ein nicht nachvollziehbarer Akt, um die Regelung doch noch zu kippen.

Die interne Gewebeverstärkung von Kunststoffdachbahnen hat sich bewährt und als „Stand der Technik“ etabliert. Um einen Vergleich zu wagen: Wer würde heute eine Brücke bauen nur aus reinem Zement, anstatt aus Stahlbeton? Oder wer würde heute noch behaupten, dass ein Auto ohne ABS System „genauso sicher“ ist, wie eines mit dem Sicherheitssystem? – sicherlich niemand. In diesem Sinne: Ich behaupte, die aktuelle Novellierung der Flachdachrichtlinie bringt uns auf einen guten Weg.

Autor
Luc Van Ryckeghem ist Chemiker (Spezialgebiet Kunststoffchemie) und hat nunmehr 20 Jahre Erfahrungen in der Entwicklung von Kunststoff-Dachbahnen. Er war als Entwicklungsingenieur und Vertriebsmitarbeiter bei verschiedenen Dachbahn-Herstellern tätig, seit 7 Jahren ist er Verkaufsleiter der Renolit Waterproofing in Worms. Er lebt in Luxemburg.

Große Schadensfälle ließen sich durch die Erhöhung der Mindestdicke vermeiden

Kalanderbedingte Rückstellung oder Schrumpf

Kunststoffbahnen wie PVC, TPO oder EVA werden im „Kalanderverfahren“ hergestellt, das heißt, die Bestandteile der Rezeptur (wie zum Beispiel Kunststoff, Weichmacher, Additive, Stabilisatoren, Flammschutzmittel, usw.) werden zusammen in einen „Kneter“ gemischt und durch Temperaturerhöhung in einen plastischen Zustand versetz (also geschmolzen). Damit eine Folie entsteht wird diese plastische Masse dann über einen sogenannten Kalander geführt – das sind 4 Zylinder die in L-Form aufgebaut sind – und zu einer Folie gezogen. Eben weil die Folie hier in plastischem Zustand „gezogen“ wird, bekommen die Polymermoleküle dabei eine gewisse Orientierung und zwar in Längsrichtung (Maschinenrichtung). Wenn später diese Dachbahn aufgewärmt wird, zum Beispiel durch Sonneneinstrahlung, haben diese „gestreckten“ Moleküle die Neigung diese Spannung abzubauen und in den ungestreckten (relaxierten) Zustand zurückzukehren. Dies nennt man kalander-, oder maschinen-bedingte Rückstellung.

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