Von der Wunder- zur Killerfaser

Asbest war einst als Baustoff beliebt. Die Zeit der „Wunderfaser“ ist allerdings vorbei. Heute ist der Umgang mit Asbest streng reglementiert. Wir erklären Ihnen, was bei der Arbeit mit asbesthaltigen Baustoffen zu beachten ist, wie sie am besten entsorgt werden – und wie Sie solche Baustoffe erkennen.

Die unter dem Sammelbegriff Asbest zusammengefassten natürlichen Mineralfasern wurden einst wegen ihrer fantastischen Materialeigenschaften gerne als „Wunderfaser“ bezeichnet und in einer Vielzahl von Produkten verarbeitet. Bereits Griechen und Römer kannten die günstigen Eigenschaften und setzten Asbest schon vor rund 4000 Jahren unter anderem zur Herstellung von bruchsicherer Keramik ein.

Vor allem als Armierungsfaser in Bauprodukten erfreute sich Asbest später großer Beliebtheit. Insbesondere in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg waren asbesthaltige Bauprodukte wie Wellplatten für das Dach oder Fassadentafeln  beliebte Baustoffe – sie ermöglichten die schnelle und kostengünstige Errichtung großer (Dach)Flächen mit schlanken Unterkonstruktionen. Im Jahr 1980 erreichte der Asbesteinsatz in der Bundesrepublik Deutschland mit 250 000 Tonnen seinen Höhepunkt.

Asbestverbot seit Anfang der 1990er Jahre

Nur gut zehn Jahre später, Anfang der 1990er Jahre, wird die Herstellung und Verwendung asbesthaltiger Produkte gesetzlich verboten. Aus gutem Grund: Einmal eingeatmet verbleiben Asbestfasern dauerhaft im Körper. Dort verursachen sie schwere und oft tödliche Krankheiten wie Asbestose (Asbeststaublunge), Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs und Rippen- oder Bauchfellkrebs. Das Tückische dabei: Die asbestbedingten Erkrankungen haben lange Latenzzeiten und kommen im Durchschnitt erst zehn bis 30 Jahre nach dem Einatmen der Fasern zum Ausbruch. Obwohl die Herstellung und Verwendung asbesthaltiger Produkte seit bald 25 Jahren gesetzlich verboten ist, verzeichnen die Berufsgenossenschaften in Deutschland aktuell jedes Jahr mehr als 3500 neue Fälle anerkannter Berufskrankheiten und etwa 1500 Todesfälle durch Asbest. In der Statistik der Berufsgenossenschaften ist Asbest heute für fast zwei Drittel aller Berufserkrankungen mit tödlichem Ausgang verantwortlich. Die Wunderfaser ist damit zur Killerfaser mutiert.

Riesige Asbestmengen im Gebäudebestand

Das Asbest-Drama ist noch lange nicht zu Ende: Asbesthaltige Produkte finden sich noch immer in riesigen Mengen im Gebäudebestand. Experten gehen davon aus, dass noch etwa 35 Millionen Tonnen asbesthaltiges Material verbaut sind. Bei einer jährlichen Entsorgungsrate von etwa 35 000 t wird Asbest das Handwerk noch viele Jahre beschäftigen. Typische Fundorte von Asbest sind Dächer, dabei vor allem Welldachplatten und ebene Zementtafeln, Fassadenverkleidungen, Lüftungs- und Abwasserrohre oder Fußbodenbeläge wie Floor-Flexplatten und Cushion-Vinylböden. Im Rahmen energetischer und sonstiger Sanierungs- und Renovierungsarbeiten ist der Umgang mit asbesthaltigen Produkten nicht zu vermeiden. Wer mit Asbest arbeitet, braucht aber einen speziellen Sachkundenachweis.

Sachkundenachweis erforderlich

Aufgrund der Gesundheitsgefahren ist der gewerbsmäßige Umgang mit Asbest streng reglementiert. Die wichtigste Vorschrift ist hier die Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 519. Danach müssen Betriebe, die Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten an asbesthaltigen Materialien durchführen wollen, bereits seit 1992 einen Sachkundenachweis erbringen. Für Asbestzementprodukte wie Dach- und Fassadenplatten ist hier der Besuch eines zweitägigen Sachkundelehrgangs (nach Anlage 4A TRGS 519) erforderlich. Alle sechs Jahre muss die Sachkunde seit 2016 durch den Besuch einer eintägigen Fortbildung (nach Anlage 5 TRGS 519) verlängert werden. Bei Arbeiten an Asbestzementprodukten muss auf der Baustelle stets ein sachkundiger Aufsichtsführender die Arbeiten beaufsichtigen. Alle Arbeitnehmer, die mit Asbest in Kontakt kommen, müssen unterwiesen sein und persönliche Schutzausrüstung benutzen. Darüber hinaus gilt für Asbest hinsichtlich arbeitsmedizinischer Vorsorge eine Pflichtvorsorge.

Hohe Risiken bei nicht erkannten Asbestgehalten

Ein heikles Thema ist der unsachgemäße Umgang mit asbesthaltigen Baustoffen. Unwissenheit schützt hier nicht vor Strafe: Nach der Gefahrstoffverordnung ist der Unternehmer im Rahmen der sogenannten Ermittlungspflicht immer verpflichtet, zu prüfen, ob seine Mitarbeiter mit einem Gefahrstoff umgehen oder ob bei deren Tätigkeit ein Gefahrstoff entstehen kann. Wenn er dieser Ermittlungspflicht nicht nachkommt und dadurch ein Gebäude mit Asbestfasern kontaminiert, muss er mit erheblichen straf- und haftungsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Die Kosten für Raumluftmessungen, die Reinigung kontaminierter Räume durch zugelassene Sanierungsfirmen und der Ersatz nicht zu reinigender Gegenstände wie zum Beispiel textile Bodenbeläge wird der Unternehmer dann selbst tragen müssen. Seine Haftpflichtversicherung wird eine Kostenübernahme wegen grober Fahrlässigkeit ablehnen.

Woran sind asbesthaltige Baustoffe zu erkennen?

Bei den Faserzementprodukten, mit denen Dachdecker und Zimmerleute an Dach und Fassade hauptsächlich konfrontiert werden, ist das Erkennen von Asbestgehalten vergleichsweise einfach. Ein erstes Indiz ist das Einbaudatum des Faserzementprodukts. Asbestfreie Faserzementprodukte sind erst seit 1982 auf dem Markt. Ein Wellplattendach aus den 1970er Jahren ist damit in jedem Fall asbesthaltig. Die ­Eternit AG, der größte Hersteller von Faserzementprodukten in Deutschland, hat asbestfreie Produkte im Stempel der bauaufsichtlichen Zu­­­­las­­sung mit „AF“ für „asbestfrei“ gekennzeichnet. Andere Hersteller haben auch „NT“ für „neue Technologie“ verwendet. Im Stempel der bauaufsicht­lichen Zulassung sind auch ­Kalenderwoche und Jahr der Herstellung enthalten. Für as­­besthaltige Hochbauprodukte gilt seit März 1991 ein Herstellungs- und Verwendungsverbot. Produkte, die danach hergestellt wurden, können somit keine Asbestfasern mehr enthalten. Wenn nicht bekannt ist, wann das Produkt eingebaut wurde und auch keine Kennzeichnung auf dem Produkt zu finden ist, bleibt nur noch eine Möglichkeit: die Untersuchung einer Materialprobe bei einem chemischen Analytikinstitut unter dem Rasterelektronenmikroskop. Dabei ist mit Kosten in der Größenordnung von 100 Euro pro Probe zu rechnen.

Entsorgung asbesthaltiger Baustoffe

Wenn asbesthaltige Baustoffe einmal ausgebaut sind, dürfen sie – von wenigen Ausnahmen bei Instandhaltungsarbeiten abgesehen – nur noch entsorgt werden. Die Weiterverwendung zum Beispiel als Abdeckung für Brennholzstapel ist strafbar. Für asbesthaltige Baustoffe gibt es auch kein anerkanntes Verwertungsverfahren. Die Entsorgung hat immer auf eine dafür zugelassene Deponie zu erfolgen. Dort müssen die Materialien staubdicht verpackt in sogenannten Big-Bags (Kunststoffgewebesäcke) angeliefert werden. Auf der Deponie werden die Materialien mit Erde überdeckt. Asbesthaltige Baustoffe gelten als gefährliche Abfälle („Sondermüll“) und unterliegen damit keiner Überlassungspflicht gegenüber dem Stadt- oder Landkreis, in dem die Materialien anfallen. Um die Bürokratie des abfallrechtlichen Nachweisverfahrens möglichst zu umgehen, ist es empfehlenswert, die Materialien nicht in Eigenregie zu entsorgen, sondern mit einem Entsorgungsfachbetrieb zusammenzuarbeiten, der über einen gültigen Sammelentsorgungsnachweis verfügt. Über die Sammelentsorgung können Mengen bis 20 t pro Anfallstelle entsorgt werden. Dies entspricht etwa einer Dachfläche von etwa 1000 m². Bei größeren Baustellen ist zu empfehlen, auf den Bauherrn einzuwirken, dass er die Entsorgungsleistung separat ausschreibt.

Autor

Peter Schürmann ist Umweltschutz- und Technologieberater bei der Handwerkskammer Konstanz. Seit dem Jahr 2000 führt er als Referent Sachkundelehrgänge für den Umgang mit Asbestzementprodukten durch.

Asbestlehrgänge bundesweit

Asbestlehrgänge finden bundesweit statt, meist bieten die Handwerkskammern (HWK) solche Lehrgänge an. Geben Sie einfach in Ihrer Suchmaschine die für Sie zuständige HWK und das Stichwort „Asbest“ ein.

Unser Autor arbeitet als Referent bei der HWK Konstanz Entsprechende Schulungsangebote sind hier unter www.bildungsakademie.de unter dem Suchwort „Asbest“ zu finden.

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