Manufakturziegel für den Denkmalschutz

In der Denkmalpflege gehört das Dach zu den Bauteilen, die den Baustil einer Epoche widerspiegeln. Bei einer Sanierung darf die Dachform daher nicht verändert werden. Das betrifft auch das Deckmaterial. Wir stellen Ihnen die Sanierung des Schlosses Cecilienhof mit handgefertigten Ziegeln vor.

Neben der Fassade prägt das Dach den Stil einer Epoche. Das muss bei der Sanierung von historischen Häusern, Schlössern und anderen Objekten berücksichtigt werden. Neben dem Dachstuhl sollten auch die Dachziegel in Form, Farbe, Größe und Struktur nach Möglichkeit beibehalten werden; in den meisten Fällen handelt es sich dabei um kleinformatige Tondachziegel. Idealerweise findet man noch Originalziegel der Erstdeckung auf dem Dach. Es kommt aber auch häufig vor, dass originale Ersatz-Ziegel nur noch im Dachraum gelagert sind, da mittlerweile die Dachflächen saniert wurden und dabei kein dem Originalziegel entsprechender Dachziegel zum Einsatz kam. Bei den meisten Sanierungen hängt der Zustand der Originaldeckung vom Alter des Gebäudes ab. Die Originalziegel dienen als Vorbild für die bei einer Neudeckung zu verwendenden Dachziegel.

Sind keine mehr vorhanden, können Zeichnungen oder Bilder des historischen Objekts Aufschluss darüber geben. So oder so besteht die Aufgabe, einen dem historischen Vorbild entsprechenden Dachziegel zu finden – oder ihn individuell neu anzufertigen.

Individuelle Manufakturdachziegel

Die Wienerberger GmbH hat am Standort Eisenberg in der Pfalz eine eigene Manufaktur, die solche manuellen Nachbauten von historischen Dachziegeln erstellen kann. Meist erfolgt die Anfrage über Architekten oder Dachdecker und betrifft nicht nur die notwendigen Flächenziegel. Vielfach werden spezielle Zubehörziegel benötigt, die heute gar nicht mehr hergestellt werden. Dank jahrzehntelanger Erfahrung mit mehr als tausend neu produzierten historischen Dachziegeltypen entwickelt das Expertenteam der Manufaktur immer wieder auch wirtschaftlich darstellbare Lösungen.

Nachbau einer historischen Biberschwanzdeckung

Aktuelles Beispiel für die Arbeitsweise der Manufaktur war eine Anfrage aus Potsdam. Hier wird derzeit das Schloss Cecilienhof einschließlich aller Dachflächen umfassend saniert. Der größte Teil der auf den Dachflächen vorhandenen Biberschwanzziegel ist original. Im Zuge der Sanierung sollen nach der Vorstellung des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLDAM) und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) die vorhandenen noch intakten Biberschwanzziegel abgenommen, vorsichtig gereinigt und nach erfolgter Rekonstruktion des Dachtragwerkes gemeinsam mit neu produzierten Ziegeln wieder gedeckt werden. Letztere ersetzen defekte oder zu stark verwitterte Originalziegel. Vorhandene Formziegel wie Grat- und Kehlziegel waren komplett auszutauschen. Die Wiedereindeckung erfolgt in einem Verhältnis von 1/3 neue Ziegel und 2/3 Originalziegel. Das Konzept des Untermischens von Neumaterial folgt einer 100jährigen Reparatur- und Wartungsgeschichte des Daches. Im Laufe der Geschichte des Hauses mussten immer wieder Schäden dadurch repariert werden, dass man entweder an möglichst unsichtbaren Stellen Dachziegel für Reparaturzwecke entnimmt oder Fehlstellen mit Ersatzmaterial ergänzt.

Homogenes Deckbild aus alt und neu

Die besondere Aufgabe bestand darin, neue Biberschwanzziegel zu produzieren, die mit den vorhandenen historischen Ziegeln ein farblich harmonisches Deckbild ergeben. Darüber hinaus galt es, für die vorhandene Dachneigung passende Kehl- und Gratziegel herzustellen.

Die SPSG wandte sich im Zuge vorgeschalteter Bemusterungen mit verschiedenen Ziegelherstellern an die Wienerberger Manufaktur. Die im ersten Musterbrand gelieferten Ziegel überzeugten in Geometrie, Scherben, handwerklicher Optik. Gleichzeitig formulierte der Bauherr besondere Anforderungen zum späteren, baubegleitenden Abruf im Beauftragungsfall.

Die große Herausforderung bestand in der Farbgebung der Ziegel. Die Bestandziegel waren nicht einheitlich naturrot, sondern unterschiedlich stark verwittert und verrußt. Daher legte der Bauherr der Manufaktur in Eisenberg originale Flächenziegeln, sowie einigen Mustern an Grat- und Kehlziegeln vor. Hier setzte man sich zunächst in einer Expertenrunde zusammen, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen und festzulegen. Neben dem Werks- und Produktionsleiter gehören diesem Team ein „Schichtmeister“, ein Anwendungstechniker sowie ein Handformer an. Die nächsten Arbeitsschritte kann man in „reine Formgebung“ sowie „anschließende Farbgebung“ der Dachziegel unterteilen.

Flächenziegel aus der Strangpresse

Im Werk Eisenberg gibt eine eigene Produktionslinie für stranggepresste Ziegel wie den Biberschwanzziegel. Eine Vielzahl unterschiedlicher Mundstücke, viele davon individuell in der eigenen Werkstatt modifiziert, bilden die Basis für die serielle Fertigung historischer Ziegel. Über das Mundstück wird sowohl die Dicke des Ziegels sowie die grundlegende Oberflächenstruktur – Glattziegel, Handstrich, etc. – festgelegt. Länge und Schnittform des Biberschwanzziegels wird individuell durch einen pneumatisch betätigten Abschneider, der hinter dem Mundstück angeordnet ist, definiert. Anschließend können noch weitere Strukturen wie „gebürstet“, „aufgeraut“ oder „Daumenstrich“ auf die Ziegeloberfläche übertragen ­werden. Neben der Festlegung der Größe, Form und Oberfläche des nachgebauten Biberschwanzziegels er­­möglichen weitere, ebenfalls in die Produktionslinie integrierbare Module, das Herstellen von Bibern mit unterschiedlicher Konizität für Kegeldeckungen oder das Erstellen einer Sollbruchstelle.

Aufwendige Farbgebung

Vor der „Farbgebung“ wird den Biberschwanzroh­lingen in einem Durchlauftrockner die Feuchtigkeit ausgetrieben. Danach durchlaufen sie mehrere hintereinander geschaltete Stationen, bei denen mit unterschiedlichen Techniken Engoben aufgebracht werden. Engoben sind flüssige Tonschlämme mit verschiedenen Zusätzen wie Mineralien, Metalloxyden und/oder Glasurfritten. Neben den Engoben können in Eisenberg auch trockene Farbpulver auf die Ziegeloberfläche aufgetragen werden. Damit diese auch haften bleiben, wird zunächst ein spezieller Leim auf Wasserbasis aufgesprüht. Bis zu acht verschiedene Farbaufträge sind so in einem Durchgang möglich.

Eigene Engoben-Herstellung

Wienerberger stellt seine Engoben weitestgehend selbst her. Dies hat enorme Vorteile, da die Entwicklung der richtigen Farbmischung für Sonderanfertigungen in der Denkmalpflege äußerst zeitaufwändig – mehrere Monate sind keine Seltenheit – sein kann.

Um ein homogenes Deckbild mit der Mischung aus historischen und neu produzierten Biberschwanzziegeln für das Schloss Cecilienhof zu erzielen, waren mehrere Monate Produktentwicklung und drei ­Bemusterungen notwendig. Am Ende entstand eine Mischung aus drei unterschiedlich engobierten Ziegeln, bei denen verschiedene Techniken miteinander kombiniert wurden. Selbstverständlich werden die gesamten Testläufe akribisch dokumentiert, damit Ziegelform, -oberfläche und Ziegelfarbe jederzeit re­­produzierbar sind, da beispielsweise Nachbestellungen im Zuge des Bauprozesses erforderlich werden.

Von Hand geformt

Nicht weniger anspruchsvoll ist die Herstellung der Formziegel. Hierfür wird im wahrsten Sinne des Wortes Hand angelegt. Seit 25 Jahren arbeitet Benito Pisano als Handformer im Werk Eisenberg. Alles, was er heute als Handformer kann, hat er von seinem Vorgänger gelernt, der mittlerweile im Ruhestand ist. Damit das Wissen rund um die handwerklichen und künstlerischen Techniken des Handformens nicht verloren geht, gibt Benito Pisano sein Wissen an seinen Sohn Luca weiter. Nach abgeschlossener Steinmetzlehre arbeitet und lernt er mit und von seinem Vater in der Manufaktur.

Um die Grat- und Kehlbiber passend für das Dach des Schlosses Cecilienhof zu brennen, musste zunächst eine entsprechende Form hergestellt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der nass geformte Ton durch das Trocknen und Brennen schrumpft und sich in seiner „Flügeligkeit“ verändert. Nichts Neues für Benito Pisano, der von den Original-Formziegeln die entsprechende Maße abgenommen und auf Gipsformen übertragen hat. Mit einem eigens dafür hergestellten Stanzwerkzeug wird aus einem stranggepresste Tonstück ein Rohling mit definierter Kontur gepresst. Anschließend wird der Ziegel gestempelt: „K“ für Kehlziegel, „G“ für Gratziegel. Per Hand wird der ausgestanzte Ziegelrohling dann auf die entsprechende Gipsform gelegt und angeformt. Zum Trocknen kommt der Formziegel dann in eine spezielle Holzkonstruktion, die dafür sorgt, das die Flügeligkeit des Ziegels erhalten bleibt. Im Gegensatz zu den seriell hergestellten Biberschwanzziegeln trocknen die handgeformten Grat- und Kehlziegel ohne zusätzliche Wärmequellen in speziellen Trockenmagazinen ab. Deshalb dauert die Trocknungsphase auch deutlich länger. Anschließend werden auch auf den Grat- und Kehlziegeln die entsprechenden Engoben und Trockenpulver aufgetragen. Zum Brennen reiht man jeweils fünf Formziegel an zwei Seiten eines Schamotterohres in einer Kassette auf. Nach dem Brand wird an einem kleinen Dachmodell überprüft, ob die Form auch zur Dachneigung und den Flächenziegeln passt.

Hoher Qualitätsanspruch

Neben Form und Farbe spielt auch die Funktionalität der in der Manufaktur hergestellten Ziegel eine wichtige Rolle. Schließlich sollen die neuen Ziegel min­destens genauso lange halten wie ihre ­historischen Vorbilder. Immer wieder durchlaufen Flächen- oder Formziegel stichprobenartig verschiedene Tests. Zum Beispiel wird mit 150 Frost-Tau-Wechseln die Frostsicherheit der Ziegel überprüft.

Das Ergebnis überzeugte

Form, Farbigkeit und Funktionalität der nach historischem Vorbild nachgebauten Biberschwanz-, Grat- und Kehlziegel überzeugten sowohl BLDAM wie auch die SPSG als Bauherr des Schloss Cecilienhof. Auch wenn es bis zum finalen Ergebnis ein langer Weg mit zahlreichen Testflächen war. An den neugedeckten Dachflächen ist ein Unterschied zwischen alten und neuen Biberschwanzziegeln nahezu nicht auszumachen. Um das Verhältnis zwischen alten und neuen Biberschwanzziegeln bei den bisher sanierten Dachflächen von 1/3 zu 2/3 zu realisieren, dienten Dächer in untergeordneten Hofbereichen als Bergungsflächen für Bestandsziegel. Diese Flächen wurden mit 100 Prozent Neumaterial in drei Farbvarietäten gedeckt. Auch diese Dachflächen wurden mit einem Dachshaar-armierten Kalkmörtel mit Quer- und Längsschlag gedeckt. Diese Form der Dachdeckung überzeugte den Bauherren und die behördlichen Vertreter ebenso in denkmalpflegerischer Hinsicht.

Lieferung von Dachziegeln im Bauprozesses

Der Bauherr, der nach EU-weiter Ausschreibung beauftragte Dachdeckerbetrieb, sowie die Wienerberger-Manufaktur stimmten sich ab, die insgesamt benötigten etwa 140 000 Flächenziegel, sowie rund 900 Firstziegel in kürzester Produktionszeit zu fertigen. Für die je nach Dachgeometrie variierenden Grat- und Kehlziegel wurde eine Abrufregelung je nach Baufortschritt vereinbart. Diese ermöglicht saisonunabhängig und entsprechend des Bautenstandes benötigte Formziegel mit einem Vorlauf von vier Wochen abzurufen.

Autor
Sven-Erik Tornow ist Baufachjournalist, Inhaber der Agentur Flüstertüte und unterstützt Wienerberger als Autor bei der Pressearbeit.

Es galt, neue Ziegel zu produzieren, die zusammen mit den historischen Ziegeln ein harmonisches Deckbild ergeben

Für die Sanierung benötigten die Dachhandwerker 140000 Flächenziegel und 900 Firstziegel

Schloss Cecilienhof

Das Schloss Cecilienhof, gelegen im nördlichen Teil des Neuen Gartens in Potsdam, ist der letzte Schlossbau der Hohenzollern. Kaiser Wilhelm II errichtete es für seinen Sohn Kronprinz Wilhelm und dessen Gemahlin Cecilie. Nach Plänen des Architekten Paul Schultze-Naumburg entstand in den Jahren 1913 bis 1917 ein Gebäudeensemble im englischen Landhausstil.

Weltgeschichtlich bedeutsam wurde der Cecilienhof als Ort der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945.

Seit 1990 steht das Schloss Cecilienhof als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO und unter der Verwaltung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Gelegentlich nutzt die Landesregierung Brandenburg das Ensemble für Empfänge.

Bautafel (Auswahl)

Bauherr Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, 14471 Potsdam

Architekt Brenne Architekten, Gesellschaft von Architekten mbH, 12161 Berlin,

www.brenne-architekten.de

Dachdecker Dachdeckermeister Wolfgang Blank, 14548 Schwielowsee/OT Caputh,

www.dachdeckerei-blank.de

Produkte Nachbildung historischer Biberschwanzziegel: Flächenziegel, aber auch Grat- und Kehlziegel

Hersteller Wienerberger-Manufaktur in Eisenberg/Pfalz,

www.wienerberger.de/wienerberger-manufaktur-werkstatt.html


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