Holzbrücke als Skulptur
Die neue Spannbandbrücke im bayerischen Tirschenreuth

Die Spannbandbrücke in Tirschenreuth (Bayern) kann man als skulpturale Holzbrücke auf Stahlbändern bezeichnen. Sie ist zur Eröffnung der Landesgartenschau 2013 gebaut worden. Die Fuß- und Radwegbrücke ist eine Verbindung zwischen dem Mittelpunkt der Altstadt, dem Ortsteil Lohnsitz und der Klosterinsel Fischhof.

Im Rahmen des landschaftsplanerischen Wettbewerbs zur Landesgartenschau „Natur in Tirschenreuth 2013“ wurde der Entwurf von Annabau Architekten (Berlin) zur Fuß- und Radwegbrücke zur Realisierung ausgewählt. Die neue Brücke ist als Bestandteil der Landesgartenschau eine Verbindung zwischen dem Platz am See (Schels-Areal) und dem gegenüber liegenden Platz am Seebalkon.

Gestalterisches Konzept

Der „Holzkörper“ der etwa 85 m langen Brücke verweist auf die Bedeutung des Holzes in der Geschichte und dem Namen der Stadt Tirschenreuth, nimmt aber auch direkten Bezug auf die Anwendung von unbehandeltem Holz in der regionalen Architektur – die Endung Reuth bedeutet Rodung.

Durch die Konzeption als Spannbandbrücke tritt die tragende Konstruktion faktisch nicht in Erscheinung und erfordert nur ein Minimum an Unterkonstruktion. Die leichte Beweglichkeit der Spannbandbrücke und die vertikale Anordnung der Hölzer des Geländers erinnern an bewegtes Schilf am Ufer. Das war zugleich die Inspirationsquelle der Architekten.

Die Brücke, eine begehbare Skulptur

Der Blick über den Teich unter der Brücke hindurch wird durch keinen Träger oder Pfeiler eingeschränkt, lediglich in der Mitte des Teiches dient ein Sattel als Auflager für die Spannbänder. Die geschwungene Form der Spannbandbrücke ähnelt in ihrer Form der benachbarten Fischhofbrücke. Mit ihrer Konstruktion und Formensprache ist sie jedoch ein eigenständiges Bauwerk – die Entstehung im 21. Jahrhundert ist deutlich ablesbar. Brückendeck und Geländer bilden eine prägende Einheit.

Entwurf und Konstruktion

Für den Entwurf waren im Wesentlichen folgende Randbedingungen und Überlegungen maßgebend:

die zu überspannende Breite des Sees etwa 75 m,

eine möglichst geringe Anzahl von Brückenpfeilern im See,

ein hoher Grad an Vorfertigung, damit kurze Bauzeit,

eine innovative Lösung, die den Anspruch hat langlebig zu sein, gefertigt unter anderem aus nachwachsenden Rohstoffen.

Daraus entstand der Entwurf einer Spannbandbrücke mit 2 x 37,5 m Spannweite, die dem Thema „Natur“ der Landesgartenschau folgt. Der regenerative Werkstoff Holz findet gleichzeitig als Konstruktion des Brückendecks, als direkt begehbare Konstruktion und als Geländer Anwendung. Durch die Auflagerung des Brückendecks auf Stahl-Spannbändern tritt nur die Holzkonstruktion in Form eines leicht geschwungenen Bandes ohne weitere sichtbare Konstruktion in Erscheinung. Das geschwungene Band gibt der Form große Eleganz und Dynamik. Die Brücke überrascht dabei erst auf den zweiten Blick: Der vordergründig massive Holzkörper löst sich bei genauerem Hinsehen in eine nicht tragende Geländerkonstruktion auf.

„Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen den massiven Holzbauteilen und der scheinbar unsichtbaren tragenden Konstruktion“, erläutert Architekt Moritz Schloten. „Die Brücke wirkt durch die Reduktion auf Bohlen und Pfosten über der geschwungenen Grundform wie eine begehbare Skulptur.“

Tragstruktur – 75 m und nur eine Stütze

Die Spannbandbrücke überspannt zwei Felder mit jeweils 37,5 m Länge. Der Durchhang der Spannbänder (der sogenannte Stich) unter dem Eigengewicht beträgt 55 cm.

Das Spannband aus Stahl (Abmessung 500 mm x 25 mm, Material = hochfester Stahl S690QL1) wurde an den beiden Enden der Brücke im Widerlager verankert und in Brückenmitte über einen Umlenksattel geführt. Der Umlenksattel liegt auf einem etwa 2,40 m hohen V-förmigen Mittelpfeiler, der in den Betonsockel beziehungsweise die Gründung elastisch eingespannt ist.

Brückendeck

Die Brücke hat eine lichte Breite von 3,50 m zwischen den Geländern. Die Lauffläche der Brücke besteht aus 390 cm x 18 cm x 16 cm messenden Bohlen aus Lärche. Die Holzart muss mindestens der Dauerhaftigkeitsklasse 2 bis 3 entsprechen, was von mehreren heimischen Hölzern erfüllt worden wäre. Nach verschiedenen Überlegungen kam Berglärche aus dem Altvater-Gebirge (Tschechien) zur Ausführung.

Jeweils vier Bohlen mit zugehörigen Geländerpfosten wurden auf Koppelblechen unter Berücksichtigung des baulichen Holzschutzes zu einem Paket verschraubt. Die Holzelemente sind komplett luftumspült und so gefertigt, dass sie bei Schäden einfach austauschbar sind.

Auf dem Spannband wurden diese Pakete auf durchlaufenden Neoprenstreifen gelagert und fixiert. Jedes Paket bildet damit einen kleinen Vierendeelrahmen, also einen steifen Rahmen ohne Diagonalaussteifung, der über die biegesteifen Eckverbindungen stabil ist und leistet damit seinen Beitrag zur Quersteifigkeit. Die Eckverbindungen bei einem Vierendeelrahmen (oder Vierendeel-Träger) müssen biegesteif sein und das Material im Allgemeinen stärker als bei einem Fachwerk mit Diagonalen.

Die Verbindung der Holzbohlen mit den Spannbändern aus Spezialstahl ist also von zentraler Bedeutung und muss folgendes leisten:

Weiterleitung von vertikalen und horizontalen Lasten sowie von Biegemomenten,

holzschutzgerechte Lagerung und korrosionsschutzgerechte Verbindung mit Schrauben und Unterlegscheiben zwischen Koppelblechen und Holzbohlen,

Erhöhung der dynamischen Dämpfung mit durchlaufenden Neoprenstreifen,

korrosionsschutzgerechte Verbindung der Koppelbleche mit den Spannbändern,

Austauschbarkeit einzelner, schadhafter Holzbohlen sowie ganze Pakete in einfacher Weise ohne großen Aufwand.

Da keine Lager oder Übergangskonstruktionen erforderlich sind, ist die Gesamtkonstruktion sehr wartungsfreundlich.

Herstellung, Montage

Nach der Fertigstellung der Widerlager und des Mittelpfeilers wurden die Spannbänder auf einem Leergerüst verschweißt und mit entsprechender Vorspannung eingebaut. Die endgültige Form ergab sich im Zuge der Montage der Holzbohlen mit den Geländerpfosten und abschließendem Nachjustieren. Die skulpturale Holzkonstruktion auf den Spannbändern besteht aus vorgefertigten Holzelementen. Vier Bohlen und acht Brüstungshölzer sind durch Koppelbleche zu einem Paket zusammengefasst. Diese wurden in der Werkstatt des Holzbauers (Zimmerei Richard Kurz, Schwarzenfeld) komplett vorgefertigt. Danach wurden die Pakete zum Standort der Brücke transportiert und mit einem Kran auf die Spannbänder gesetzt und verschraubt. Die Montagezeit der Holzkonstruktion war sehr gering, etwa 2,5 Tage. Bei Schäden an der Brücke können die Pakete problemlos ausgehoben und repariert oder ausgetauscht werden.

Dynamische Erregbarkeit

Spannbandbrücken sind leichte und weiche Konstruktion, die ohne besondere Maßnahmen von Fußgängern zu Schwingungen angeregt werden können. Während sich horizontale Schwingungen durch einfache konstruktive Maßnahmen vermeiden ließen, waren die Randbedingungen für vertikale Schwingungen schwieriger:

Holzschutzgerechte Konstruktionen müssen stets luftumspült und einfach auswechselbar sein. Damit ist die Ausbildung einer „Dämpfungsebene“ über den Spannbändern durch elastische Kopplung der Bohlen in Brückenlängsrichtung nur sehr eingeschränkt möglich.

Eine Kopplung der freistehenden Geländerpfosten ist aus den Gründen ebenfalls schwierig und wurde zugunsten des klaren gestalterischen Konzeptes nicht weiter verfolgt. Somit kann das Geländer keinen wesentlichen Beitrag zur Dämpfung leisten.

Die dynamischen Berechnungen zeigten, dass die zu erwartenden Beschleunigungen bei vertikalen Schwingungen im unteren Komfortbereich liegen. Vor allem die Dämpfung als wesentlicher Parameter war für die gewählte konstruktive Ausbildung schwierig abzuschätzen. Dementsprechend wurde im Zuge der Entwurfs- und Ausführungsplanung ein Schwingungstilger entwickelt, der bei minimalen Abmessungen nachträglich montiert werden kann und Schwingungen nur im begrenzten Rahmen zulässt.

Autoren

Moritz Schloten ist Architekt (BDA) und studierte in Berlin und Jerusalem. 2004 gründete er das Büro ANNABAU Architektur und Landschaft, das er heute gemeinsam mit der Landschaftsarchitektin Sofia Petersson leitet.
Wolfgang Strobl ist Tragwerksplaner bei der Schüßler-Plan-Ingenieurgesellschaft in Berlin.

Die Ansicht der Brücke erinnert an bewegtes Schilf am Ufer

Bei Schäden an der Brücke können die Pakete problemlos ausgehoben und repariert oder ausgetauscht werden

Bautafel (Auswahl)

Bauherrin Stadt Tirschenreuth, Natur in Tirschenreuth 2013 GmbH, 95643 Tirschenreuth

Architekten ANNABAU, Architektur und Landschaft GmbH, 10435 Berlin, Moritz Schloten

Tragwerksplaner Schüßler-Plan-Ingenieurgesellschaft, 10405 Berlin, Wolfgang Strobl

Dynamik Dr.-Ing. Imre Kovacs, 71384 Weinstadt

Prüfingenieurin Prof. Dr.-Ing. Ulrike Kuhlmann, 73760 Ostfildern /Stuttgart

Schwingungstechnische Messungen Ingenieurbüro Dr. Heiland, 44807 Bochum

Ausführung Fa. Franz Kassecker, 95652 Waldsassen; STS Stahltechnik, 93055 Regensburg

Holzarbeiten Zimmerei Richard Kurz, 92521 Schwarzenfeld

Stahlbau, Betonarbeiten Maurer Söhne GmbH & Co. KG, 80807 München

Im Internet finden Sie weitere Fotos vom Bau der Brücke in Tirschenreut. Geben Sie hierzu bitte den Webcode in die Suchleiste ein.

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