Dach als fünfte Fassade

Ein Prototyp dokumentiert die vielfältigen Möglichkeiten des massiven Holzbaus. Komplett aus vorgefertigten Kreuzlagenholz-Elementen – leimfrei – errichtet, beschreitet das Einfamilienhaus durch die über das Dach gezogene Vorhangfassade neue Wege.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Holzmassivbauweise nicht nach außen tritt. Sie entfaltet ihre sichtbaren Qualitäten im Inneren des Hauses. Die weitestgehend mit mineralischen Fassaden- und Dachplatten bekleidete Gebäudehülle gibt sich zurückhaltend modern. Gemäß ihrem Ursprung entwickelten der Holztechniker Jürgen Kasper und der Architekt Lars Neininger den Konzeptbau mit Namen Manufakturhaus von innen nach außen. Dabei ist die Wahl der Baumaterialien der Überzeugung von Qualität, Dauerhaftigkeit und Wohngesundheit geschuldet. Zudem stehen die Bauökologie, hohe Qualität und damit eine hohe Wertigkeit, überschaubare Instandhaltungskosten und geringe Energieverbräuche im Mittelpunkt der Planungen ihrer Bauprojekte.

Gebäudekörper aus Kreuzlagenholzelementen

Der Rohbau des Prototypen wurde inklusive der Innenwände in der Rombach Nur-Holz-Systembauweise realisiert. Dabei handelt es sich um vorgefertigte, massive Wand-, Decken- und Dachelemente, die mit einem Kran in kurzer Zeit aufgestellt wurden. Die Systemelemente bestehen aus verschieden starken Nadelholz-Brettlagen (Tanne und Fichte), die in Kreuzlagenform mittels Hartholzschrauben aus Buchenholz zu kompakten Vollholzbauteilen miteinander verbunden werden. Aus statischen Gründen setzt Rombach zusätzlich auf eine Brettlage, die, mit einem Winkel von 45 Grad angebracht, die Festigkeit dauerhaft ­sicherstellt. Aufgrund des Einsatzes der Hartholzschrauben kann auf Leim, Metall oder Dübel ver­zichtet werden, so dass die Einstofflichkeit des Gesamtsystems – nur aus Holz – erhalten bleibt. Bei der Konstruktion der Massivholzelemente werden zuerst Innengewinde in die Brettlagen hineingedrückt, in die man nachfolgend die Schrauben aus Buchenholz eindreht. Hierbei wird die ausgleichende Feuchtigkeitsbewegung des Holzes als zusätzlich stabilisierender Faktor genutzt. Denn während die Vollholzschrauben einen Feuchtigkeitsgrad von 6 bis 8 Prozent besitzen, weisen die Wandelemente einen Restfeuchtegehalt von 12 bis 13 Prozent auf.

Stabiler Kraftschluss mit Buchenholzschraube

Durch die ausgleichende Bewegung im Holzverbund zieht sich die trockenere Hartholzschraube in Richtung des feuchteren Brettlagenholzes fest. Damit entsteht ein stabiler Kraftschluss im Vollholzelement, so dass es zu keinerlei Setzungen oder Schwundrissen im Holzbaukörper kommen kann. Zudem drängt das durch das Hineindrücken der Gewindegänge verdichtete Holz zurück, was abermals die Festigkeit im Gesamtsystem stärkt. Diese hohe Stabilität, sowie die zugleich von der Vollholzschraube garantierte geringe Flexibilität, bietet auch in erdbebengefährdeten Gebieten höchste Sicherheit. Die wellenförmigen Kräfte der Erdstöße können größtenteils bereits im Inneren der Wand kompensiert werden, bevor sie auf die Wandverbindungen auftreffen, wo meist die größten Schäden auftreten. Zudem bieten die Holz-in-Holz-Schlüsse einen größeren Schutz als Metallverbindungen, da sie weniger schnell ausreißen. An den Verbindungsstellen wird ein Nut- und Federprofil in die Decklamellen gehobelt, was den Luftzug unterbindet.

Fassade und Dach wie eine Haut

Die Wahl des Fassadenmaterials folgte der Überlegung, dass man nicht in die allgemeine Rubrik „Ökohäuser“ eingereiht werden wollte, die möglicherweise mit einer Brettschalung assoziiert worden wäre. Dem folgend stellte man dem geballten Holz in der Konstruktion und Innenansicht einen alternativen Kontrast in der Außenansicht an die Seite, der zugleich mehrere Funktionen erfüllt: Optik und Gestaltungskraft, Identität und Langlebigkeit. Die monolithisch-elegante Ausführung ist einer exklusiven Zielklientel geschuldet, die sich von den Massenbauten gleichförmiger Neubaugebiete abheben möchte. Bei dem kompakten Einfamilienhaus, das wie aus einem Guss wirkt, wurde der Gebäudekörper von der Hülle systemisch getrennt. Die Materialität der Faserzementplatten erstreckt sich vollumfänglich von den Wandflächen über die Traufen und Ortgänge über das gesamte Dach bis zum First, das als fünfte Fassade dem Gebäude einen unikaten Charakter verleiht. Doch nur chic allein genügt nicht, ein gesunder Pragmatismus ist ebenso mit an Bord. Die mit einer Hinterlüftung angebrachten, diffusionsoffenen Faserzementplatten sind licht- und frostbeständig, stoßfest und nicht brennbar. Sie müssen weder behandelt noch konserviert oder gestrichen werden und sind bei Bedarf einfach rückzubauen und wiederverwendbar. Aufgrund der Größe von maximal 3050 mm x 1160 mm bei einer Dicke von 8 mm (Dach) beziehungsweise 12 mm (Wand) und einem Gewicht von 22,8 kg/m² im Mittel konnten die Platten relativ schnell mittels einer sogenannten „unsichtbaren Befestigung“ mit Hinterschnittanker flächenbündig auf die Unterkonstruktion – die wiederum auf einer Holzkonstruktion montiert wurde – angebracht werden.

Geschuppte Eindeckung

Das Dach wurde als sogenannte „geschuppte“ Eindeckung, die das Eindringen von Regenwasser verhindert, auf einem wasserdichten Unterbau ausgeführt. Dieser besteht aus einer diffusionsoffenen und winddichten Unterspannbahn – einer Membrane aus einem Polyester-Faservlies mit einer Polyacrylat-Beschichtung (Sd-Wert = 0,09 m). Einzig die Giebelseiten erhielten aus gestalterischen Gründen eine horizontal ausgeführte, hinterlüftete Rhombusschalung aus Weißtannenholz im Maß 21 x 65 mm, die auf eine Holzunterkonstruktion von 40 mm mittels Edelstahlschrauben montiert wurde. Die durch Oxidation ­vorvergrauten und durch eine zusätzliche Hydrophobierung imprägnierten Holzlatten müssen, ebenso wie die mineralische Fassade, nicht gestrichen oder anderweitig behandelt werden. Der Prototyp ruht auf einem Kellergeschoß aus vorgefertigten Stahlbeton-Elementen, die mit einer XPS-Perimeterdämmung gegen das Erdreich gedämmt wurden. Dabei hat man die Kellerelemente 40 cm über die Massivholzwand gezogen, um die darüber liegende Holzfaserdämmung weit genug vom Erdreich fernzuhalten. Auf den mineralischen Keller platzierte man den massiven Holzbau, wobei in die Schnittstelle zwischen Stahlbeton und Holz ein elastisches, witterungsbeständiges EPDM-Band aus synthetischem Kautschuk in 30 cm breiten Streifen auf die gesamten Stoßflächen aufgeklebt wurde. Die Außenwände des Rohbaus bestehen aus 18,5 cm starken Massivholzelementen, die mit 160 mm dicken Holzfaserplatten gedämmt wurden. Darauf folgt eine Fassadenbahn und eine Konterlattung von 40 mm zur Befestigung der Alu-Unterkonstruktion, auf der Agraffen, eine Art Haken, von 23 mm eingehängt wurden, die die Faserzementplatten tragen.

Brand- und Schallschutz

Der Dachaufbau besteht aus 20,5 cm dicken Massivholzelementen mit einer darauf platzierten Dämmebene von 120 mm Holzfaserplatten. Auf die das Gebäude aussteifenden Zwischendecken von ebenfalls 20,5 cm Stärke liegt, eingebettet in eine Ausgleichsschüttung von 65 mm, die Installationsebene der Fußbodenheizung. Darauf folgt 30 mm Trittschalldämmung und ein 55 mm Anhydrid-Estrich. Zuletzt kommt ein 25 mm Eichenparkett. In den Bädern, im Hauswirtschaftsraum und im Kellergeschoß wurde ein Zementestrich verlegt.

Der Brandschutz wird durch die kräftigen Holzelemente selbst bewerkstelligt, deren Abbrandrate bei 0,7 mm/Minute liegt. Ansonsten verfügen sämtliche Zimmer über Rauchmelder, ein zweiter Fluchtweg verläuft über die Garage. Ferner erfüllt der massive Holzbau auch die Ansprüche an die Raumakustik. Die großzügigen, sichtoffenen Holzoberflächen im Inneren des Gebäudes absorbieren einen Teil der Tonschwingungen und reduzieren die Schallgeräusche in dem geräumigen und frei ineinanderfließenden Wohn-Ess-Kochbereich mit 5 m hoher Galerieebene.

Die Versorgung mit Heizenergie und Warmwasser wird von einer Gasbrennwertherme bewerkstelligt. Sie wird von einer Solarthermie mit einem 960 l fassenden Pufferspeicher unterstützt. Das Warmwasser wird über eine Frischwasserstation im Durchflussprinzip erzeugt. Insgesamt wurden beim Prototyphaus etwa 160 m³ an massivem Holz verbaut. Dies entspricht einem Kohlenstoffanteil (aus dem Holz zu 50 Prozent besteht) von etwa 40 Tonnen. Das wiederum kommt einer CO2-Speicherung von über 147 Tonnen gleich.

Autor

Marc Wilhelm Lennartz ist unabhängiger Fachjournalist, Referent & Buchautor, er lebt in Polch-Ruitsch. www.mwl-sapere-aude.com

Der stabile Kraftschluss im Holzelement entsteht durch die unterschiedliche Feuchte zwischen Fichte-Kreuzlagen und Buchedübel

Im Internet finden Sie weitere Fotos und Zeichnungen vom Bau des Prototyps mit Nur-Holz-Elementen. Geben Sie hierzu bitte den Webcode in die Suchleiste ein.

Bautafel (Auswahl)

Projekt Einfamilienhaus in Kreuzlagenelement-Bauweise, leimfrei mit Holzdübeln in Iffezheim

Bauherr und Konzept Kasper & Neininger GmbH, 76532 Baden-Baden, www.kasper-neininger.de

Begleitende Architektur Lars Neininger, 76437 Rastatt, www.lars-neininger.de

Holzbau Elemente + Statik / Tragwerk / Montage Rombach Bauholz und Abbund GmbH,

77784 Oberharmersbach, www.nur-holz.com

Fassadenelemente Eternit AG, 69126 Heidelberg, www.eternit.de

Baudaten (Auswahl)

BGF (Bruttogrundfläche) 374,24 m²

BRI (Bruttorauminhalt) 1850,12 m³

Nutzfläche/Wohnfläche 274 m²

Baukosten ohne Grundstück (netto) 670 000 Euro

U-Werte

Bodenplatte U = 0,38 W/m²K

Außenwände U = 0,17 W/m²K

Fenster U = 1,27 W/m²K

Dach U = 0,23 W/m²K

 

Energiestandard

Jährlicher Heizwärmebedarf Qh 21502 kWh/a

Jährlicher Endenergiebedarf Qe 58,2 kWh/m²a

Jahres-Primärenergiebedarf QP 66kWh/m²a

Baudaten (Auswahl)

BGF (Bruttogrundfläche)     374,24 m²

BRI (Bruttorauminhalt)     1850,12 m³

Nutzfläche/Wohnfläche     274 m²

Baukosten ohne Grundstück (netto)         670000 Euro

U-Werte

Bodenplatte         U = 0,38 W/m²K

Außenwände     U = 0,17 W/m²K

Fenster         U = 1,27 W/m²K

Dach             U = 0,23 W/m²K

 

Energiestandard

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