71 Grad
Dachsanierung auf dem Kornhaus der Nürnberger Kaiserburg

Das Dach des zur Nürnberger Kaiserburg gehörenden Kornhauses ist gigantisch: es reicht über sechs Geschosse und hat eine Neigung von 71 Grad. Dieses Dach musste im Zuge des Umbaus der im Gebäude befindlichen Jugendherberge neu eingedeckt und statisch sowie energetisch ertüchtig werden.

Ab dem Jahr 1050 residierten die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches über ein halbes Jahrtausend lang in der Nürnberger Kaiserburg. Als jüngster Teil der Wehranlage kam 1495 das so genannte Kornhaus auf der Veste hinzu. Es diente bei Kaiserbesuchen als Stallung, wurde hauptsächlich jedoch als Speicher genutzt. Zuletzt war es eine Kaserne. Große Veränderungen hatte der Umbau von 1937 bis 1938 nach Plänen des Architekten Julius Lincke zur „Reichsjugendherberge“ zur Folge. Im Zweiten Weltkrieg so gut wie vollkommen zerstört, war es wiederum Julius Linke, der zu Beginn der 1950er Jahre den Wiederaufbau des Gebäudes als Jugendherberge leitete. Dieser Bauzustand wurde unter Denkmalschutz gestellt.

Ein Dach aus einem betonierten Sargdeckel

Um beim Wiederaufbau in Bezug auf den Brandschutz nicht die gleichen „Fehler“ wie Mitte der 1930er Jahr zu machen, erbaute man den Dachstuhl und die Decken in den 1950er Jahren aus Stahlbeton. Bis ins vierte Dachgeschoss reicht der betonierte „Sargdeckel“. Lediglich das fünfte und sechste Dachgeschoss sowie der Spitzboden besitzen einen hölzernen Stuhl als Kehlbalkendach. Da der wieder aufgebaute Gebäudezustand unter Denkmalschutz steht, galt es bei der im Februar 2011 begonnnen Sanierung für die Ar­chitekten und Handwerker sich nicht nur mit den vergleichsweise wenigen Holzbalken und Sparren, sondern vor allem mit den Betonbauteilen auseinanderzusetzen. „Was man damals gemacht hat, war eine absolute Minimierung der Betonstärken“, sagt­ ­Susanne Klug vom Nürnberger Architekturbüro Fritsch+Knodt&Klug, das 2009 gemeinsam mit dem Münchner Architekturbüro Franchi & Dannenberg Architecture das zweistufige Auswahlverfahren zur Sanierungs- und Umbauplanung des Kornhauses gewann.

Statische und energetische Ertüchtigung am Dach

Zunächst musste daher der betonierte „Sargdeckel“ saniert werden: am Stahlbetondachstuhl wurde wie durchaus üblich die Betonüberdeckung geprüft, korrodierte Eisen gereinigt und die Überdeckung an vielen Stellen erneuert. Diese Arbeiten übernahm eine Spezialfirma für Betonsanierung. Da man die Betonsparren beim Wiederaufbau in den 1950er Jahren auf das statisch gerade noch tragbare reduziert hatte, mussten zur Sicherung Stahlrohrdruckstreben eingebaut werden, die dunkel gestrichen in den Fluren sichtbare die Dachschrägen durchstoßen. Um nicht nur die Statik, sondern auch die energetische Situation im Dach zu verbessern, verlegten die Handwerker eine 30 cm dicke Wärmedämmung. Wegen der Optik des Daches musste um dieses Maß der Ortgang aufgemauert werden. „Dafür mussten erst mal die passenden Ziegel gefunden werden“, erinnert sich Susanne Klug. Zudem mussten die Gauben verlängert werden, damit die Relationen in der Dachgeometrie optische erhalten bleiben. Dort, wo zwei Gaubenfenster nebeneinander sitzen, bauten die Handwerker dazwischen eine Innenwand in Trockenbauweise ein, da sonst nicht ausreichend Zimmer unter dem Dach untergebracht werden konnten.

Der lange Weg zur perfekten Dacheindeckung

Da bei Bauten, die teilweise mit Fördergeldern finanziert werden, eine öffentliche Ausschreibung vorgeschrieben ist, musste auch für die Dachdecker-, Zimmerer- und Flaschnerarbeiten der günstigste Anbieter genommen werden, was bekanntlich für die Qualität der am Bau ausgeführten Arbeiten nicht immer ein Segen ist. „Das öffentliche Ausschreiben solcher Projekte birgt auch Schwierigkeiten“, meint Susanne Klug daher ganz zu Recht – und das ist noch vergleichsweise milde ausgedrückt. Denn die Firma mit den günstigsten Preisen ist nicht gleichzeitig die beste. Das musste man bei den Dachdeckerarbeiten der zunächst beauftragen Firma leider schmerzlich erfahren. Beim Dachdeckerbetrieb handelte es sich um einen Subunternehmer des Zimmereibetriebs. „Die Dachdecker haben von allen Seiten mit der Eindeckung angefangen“, erinnert sich Architektin Klug. Da das alte Dach aber nicht gerade ist, führte diese Vorgehensweise dazu, dass die Dachdecker die Spitzbiber zerschneiden mussten, um die Eindeckung an vielen Stellen wild zusammenpuzzelten – ein Zustand, der weder für die Architekten noch für den Bauherren tragbar war. Also musste ein neuer Dachdeckerbetrieb gefunden und beauftragt werden.

Denkmal-, Arbeitsschutz und Logistik gemeistert

Mit der Dachdeckerei und Zimmerei Janker aus Röthenbach fanden die Architekten eine Firma, deren Referenzen ein Gelingen der Arbeiten wahrscheinlich machte. Die besondere Schwierigkeit bestand für die Arbeiten der Dachdecker zum einen im Arbeitsschutz, denn das Dach hat eine Neigung von 71 Grad. Ein weiterer Punkt betraf den Denkmalschutz, denn das Dach liegt auch an einer der markantesten Stellen der Stadt. Und schließlich war da noch die Baustellenlogistik: 400 m3 Dämmung, 83 000 Biberschwanzziegel Spitzschablone 18 mm und 16 000 m Latten S10 mussten an die Orte ihrer Verarbeitung sicher transportiert werden. Die Arbeiten mussten die Dachdecker zudem in enger Abstimmung mit den Architekten und dem Denkmalschutz ausführen. „Sämtliche Details haben wir zum Teil vor Ort erarbeitet und dann ausgeführt. Eine besondere Erschwernis war der Umstand, dass wir die Arbeiten aufgrund von Terminüberschreitung und nicht fachgerechter Ausführung seitens der eigentlich beauftragten Firma übernommen haben. So mussten wir fast fertiggestellte Teilflächen wieder rückbauen und komplett wieder neu aufbauen“, erinnert sich Dachdeckermeister Stefan Janker.

Außerdem steckt bei einem solchen Dach wie dem des zur Nürnberger Kaiserburg gehörenden Kornhauses der Teufel natürlich auch im Detail in Gestalt der insgesamt 66 Gauben. Die besondere Herausforderung bestand für die Dachdecker in diesem Fall  darin, die Dächer der Schleppgauben symmetisch in die Hauptdachfläche einzubinden. „Wenn man den Spitzbiber schneidet, wird er natürlich schmaler. Trotzdem sollte das Dach als Ganzes von unten betrachtet harmonisch eingedeckt aussehen“, sagt der bei der Firma Janker angestellte Dachdeckermeister Stephan Schröpfer. Und das ist – wie das fertige Dach zeigt – den Dachdeckern auch hervorragend gelungen.

Autor
Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherr und Nutzer Deutsches Jugendherbergswerk Landesverband Bayern, München

Planung und Bauleitung Arge Fritsch+Knodt&Klug Architekten, Nürnberg, Franchi&Dannenberg

Architecture & Desing, München

Statik WSP Deutschland, München

Zimmererarbeiten Zimmerei Matthias Augustin,

Hainichen

L.u.H. Keilholz, Nürnberg

Dachdeckerarbeiten Janker, Röthenbach a.d. Pegnitz

Dachziegel Wiekor Dachprodukte GmbH (heute Koramic)

Baudaten (Auswahl)

Dachdämmung 400 m3

Biberschwanzziegel Spitzschnitt, 83 000 Stück

Spitzschablone 18 mm

Latten S10-Sortierung 16 000 m

Gesamtbaukosten 20 Mio. Euro

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