Der Scanner ersetzt den Zollstock

Die Fachwerkstatt Drücker ist auf das Restaurieren von Fachwerkhäusern spezialisiert. Mit 3D-Scannern und Aufmaßsystemen erstellen die Handwerker digitale Modelle von Gebäuden. Mit den 3D-Modellen lässt sich am Computer etwa zeigen, wie ein altes Haus im restaurierten Zustand aussehen könnte.

Erasmus Drücker ist zwar Handwerker, trotzdem handelt er bei der Auftragsakquise mit etwas sehr Virtuellem: der Vorstellung davon, wie ein restauriertes Gebäude einmal innen und außen aussehen wird. Denn die wenigsten Kunden haben so viel Erfahrung und Phantasie wie Tischlermeister Erasmus Drücker, wenn es darum geht, das Potenzial eines stark sanierungsbedürftigen Gebäudes zu erkennen.

Bei Neubauten bieten Planer und Bauträger heute oft am Computer erstellte Ansichten des fertigen Gebäudes und der einzelnen Räume an, die Bauwilligen oder Investoren einen Eindruck davon vermitteln, wie sie später einmal wohnen werden. Bei Bestandsbauten scheitert dieser Service in der Regel an den nicht vorhandenen Plänen.

Dabei wäre gerade in der Sanierung eine möglichst fotorealistische Visualisierung hilfreich. „Viele der Objekte, mit denen wir umgehen, sind nicht mehr als Ruinen. Wie kann man Menschen dafür interessieren und vielleicht sogar begeistern, in so eine Ruine zu investieren?“, war die Ausgangsfrage, die Erasmus Drücker dazu bewogen hat, sich mit dem 3D-Aufmaß zu beschäftigen. Die Antwort: Indem man fehlende Phantasie durch ein möglichst realistisches Bild vom fertigen Zustand ersetzt.

Mit herkömmlichen Werkzeugen ist das Erstellen eines solchen, möglichst dreidimensionalen Aufmaßes eine sehr langwierige und fehlerträchtige Aufgabe. Gerade bei stark beschädigten und verformten Gebäuden ist mit solchen Methoden gar nicht beizukommen. Mit moderner Laser- und Scannertechnologie gelingt es jedoch vergleichsweise einfach. „Ganz von allein entstehen auch mit der modernsten Technik noch keine 3D-Pläne oder Visualisierungen. Es ist aber auch kein Hexenwerk – sogar ich als einfacher Handwerker habe das verstanden“, sagt Erasmus Drücker schmunzelnd. Neben der eigentlichen Messung und Datenerfassung sei dafür ein – je nach Aufgabenstellung – mehr oder weniger aufwendiger Nachbearbeitungsprozess am Computer nötig, um aus Messpunkten oder „Punktewolken“ zwei- oder sogar dreidimensionale Zeichnungen und Modelle zu erstellen.

BIM lohnt sich für alle Baubeteiligten

Mit dieser Materie kennt sich Birgit Kostner bestens aus. Die gelernte Holzbildhauermeisterin hatte schon vor 20 Jahren in der damals noch kleineren Zimmerei gearbeitet, bevor sie sich beruflich umorientierte und Multi-Media-Design studierte. Mit dieser Qualifikation unterstützt sie den Firmeninhaber Erasmus Drücker als Leiterin der Abteilung Digitale Aufmaße/Visualisierung und hilft, ihr Unternehmen fit für die Zukunft zu machen. „Im Moment ist die Auftragslage sehr gut.Deshalb ist jetzt die richtige Zeit sich so aufzustellen, dass man auch dann, wenn es mit der Konjunktur mal wieder abwärts geht, Aufträge bekommt und anspruchsvolle Bauvorhaben bewältigen kann“, meint Birgit Kostner.

Neben den innerbetrieblichen Hausaufgaben, die jeder Unternehmer selber machen müsse, ist nach Ansicht von Erasmus Drücker das Building Information Modeling (BIM) ein ideales Hilfsmittel, um die immer komplexeren Bauaufgaben planen und ausführen zu können. Leider sei dies bei vielen Beteiligten in der Baubranche noch nicht angekommen. „In vielen Architekturbüros wird immer noch mit 2D-Zeichnungen geplant, teilweise sogar mit Lineal und Tusche. Für BIM benötigt man als Grundlage aber ein dreidimensionales Modell“, sagt Drücker.

Seiner Ansicht nach rechnet sich aber der Aufwand, sich in diese neue Technologie einzuarbeiten nicht nur wirtschaftlich, weil man dadurch schneller und effizienter arbeiten kann, weniger nachbessern muss und es weniger Anlass für (gerichtliche) Auseinandersetzungen mit Auftraggebern, Planern, Bauträgern oder anderen Gewerken gibt. Es schone außerdem die Nerven, senke den Stresslevel und schaffe Freiräume für andere Aufgaben, so Drücker.

3D Scanner und mobiles Aufmaß

Je nachdem, wofür die Daten später genutzt werden sollen, setzt man bei der Fachwerkstatt Drücker einen 3D Laserscanner von Faro oder ein mobiles Aufmaßsystem von Flexijet ein. Oder beides. Mit dem Flexijet kann man vor Ort ein komplettes 3D-Modell erstellen oder auch nur  Teilbereiche erfassen. Dabei wird über einen angeschlossenen Laptop direkt in die CAD-Software gearbeitet. Das funktioniert auch rückwärts. So kann man später Punkte aus dem Plan wieder auf die Baustelle projizieren, etwa um Bohrungen zu markieren. Wurde beispielsweise eine Treppe zur Restaurierung ausgebaut, kann sie auf diese Weise wieder exakt positioniert werden.

Virtuell im gescannten Objekt bewegen

Mit dem 3D-Scanner hingegen erzeugt man eine „Wolke“ aus Messpunkten in fotorealistischer Qualität, in der man sich später virtuell bewegen kann wie in dem realen Objekt. Darin sind sogar Messungen möglich, die in der Realität nicht funktionieren.

Zum Beispiel kann man die Dicke von Wänden, Decken oder anderen Bauteilen an jeder beliebigen Stelle bestimmen, ohne diese öffnen zu müssen. Auch nicht hochgelegene Bereiche lassen sich so vermessen und Schnitte durch beliebige Ebenen legen. Aus der Punktwolke entsteht das 3D-Modell, in dem auch Massen ermittelt werden können.

Einmal scannen, dauerhaft sichern

„Die Denkmalbehörden in der Schweiz lassen grundsätzlich jedes Denkmal scannen, um die Bauwerke dauerhaft zu sichern. Auch wir nehmen von interessanten Objekten Punktewolken auf, die wir dann teilweise unbearbeitet aufbewahren und dann, wenn ein Verkauf ansteht oder sich ein Interessent findet, weiterverarbeiten“,  sagt Erasmus Drücker.

Der Vorteil dieser Herangehensweise ist: Wenn man sich einmal mit dem Scanner um und durch das Haus hindurch gearbeitet hat, können alle weiteren Arbeiten und Messungen am Schreibtisch erfolgen. So kann man zu Dokumentationszwecken ein verformungsgerechtes Aufmaß erzeugen, Schäden kartieren, wie bei der Fotogrammetrie Maße ermitteln, 2- oder auch 3D-Pläne entwickeln, „begehbare“ Animationen herstellen oder die Daten für BIM aufbereiten, um auch beim Bauen im Bestand Details, Anschlüsse und Bauabläufe besser planen und steuern zu können. „Da wir praktisch alle Rohbaugewerke selber abdecken und für die anderen Arbeiten mit bewährten Partnern zusammenarbeiten, können wir dadurch schlüsselfertiges Bauen in der Denkmalpflege anbieten“, so Erasmus Drücker.

Verkaufsfördernde Wirkung

Doch nicht nur auf der Baustelle, auch bei Akquise, Vertrieb und Finanzierung leisten digitale 3D-Modelle wichtige Unterstützung. So zeigt man bei der Fachwerkstatt Drücker den Kunden und Interessenten nicht nur, wie eine heutige Ruine im sanierten und restaurierten Zustand aussehen könnte. Auch wie das translozierte Fachwerkhaus aus seinem neuen Standort wirken wird oder wie darin eine moderne Designerküche aussieht, lässt sich mit 3D-Modellen visualisieren. „Das wirkt enorm verkaufsfördernd“, weiß Erasmus Drücker. Auch Finanzierungsgespräche mit Banken laufen mit solchen Unterlagen reibungsloser, zumal diese aktuell händeringend nach Investionsmöglichkeiten für ihre Kunden suchen, da sie mit denen sonst über Strafzinsen auf ihr Barvermögen reden müssten. „Bei den Banken hat es Klick gemacht, die haben uns sehr schnell verstanden. Wir liefern denen die Gebäude, sie haben die Investoren.“

Maschinen virtuell in der Halle verschieben

Darüber hinaus hat sich das Handwerksunternehmen, das sich mit der gewerkeübergreifenden Sanierung und Restaurierung von Fachwerkhäusern und anderen Baudenkmälern einen über die Region hinausreichenden guten Ruf aufgebaut hat, mit dem 3D-Aufmaß einen ganz neuen Geschäftszweig als Dienstleister erschlossen. Nicht nur Architekten und Planer können auf die Kompetenz des Rietberger Betriebs zurückgreifen, mittlerweile gehören große Industrieunternehmen im Raum Gütersloh zu den Kunden. Immer wenn dort eine neue Maschine installiert oder eine Produktionsstraße umgebaut werden soll, nehmen sie die Dienste der Aufmaßspezialisten in Anspruch, um sich ein 3D-Modell ihrer Halle inklusive aller nachträglichen Einbauten und Versorgungsleitungen erzeugen zu lassen. In diesen Modellen können sie dann Kollisionsprüfungen durchführen, die neue Maschine virtuell verschieben und prüfen, ob sie überhaupt hineinpasst, ob Leitungen, Stützen oder Träger im Weg sind, ob Sicherheitsabstände und Fluchtwege eingehalten werden.

Netzwerke knüpfen

Obwohl sich der innovative Handwerksbetrieb durch das digitale 3D-Aufmaß einen Wettbewerbsvorteil verschafft hat, werden die Rietberger nicht müde, andere für diese Technologie zu begeistern. „Natürlich könnte uns mal ein Auftrag durch die Lappen gehen, wenn andere Handwerker oder Planungsbüros die gleichen Kompetenzen aufbauen. Unterm Strich profitieren aber alle Baubeteiligten davon, wenn dreidimensional geplant, gesteuert und ausgeführt wird“, sagt Erasmus Drücker. Wenn möglichst viele oder am besten alle Planer und ausführenden Gewerke BIM nutzten, könne jeder genauer, rationeller, Fehler vermeidender und insgesamt produktiver, profitabler und stressfreier arbeiten. Aus diesem Grund versuche man, sich mit möglichst vielen Akteuren zu vernetzen, knüpfe Kontakte zu anderen Handwerkern, Architekten und Planungsbüros, Verbänden, Organisationen und Behörden, organisiere eigene Informationsveranstaltungen oder halte auf  Einladung Vorträge auf Messen und anderen Veranstaltungen.

Autor

Thomas Schwarzmann ist Redakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

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