Haus-im-Haus: Neubau in 200 Jahre alter Remise in Kolbermoor

Der Zimmermann und Korbflechter Emmanuel Heringer hat ein über 200 Jahre altes Holzbauwerk zurückgebaut, repariert und altes Ständerwerk ausgetauscht. Nachdem er das passende Grundstück gefunden hatte, errichtet er das Holzbauwerk neu und platziert in die Mitte einen neuen Holzrahmenbau.

Um das Jahr 1810 wurde in der bayerischen Stadt Kolbermoor eine Remise zum Trocknen von Torf erbaut. Dazu errichteten die Handwerker ein Holztragwerk. Damit Luft unter den Boden an den Torf gelangen konnte, war die Konstruktion aufgeständert. Später wurde die Remise von einer großen Spinnerei genutzt. Nach der Aufgabe der Spinnerei 1993 stand die Remise aber leer und wurde nicht mehr erhalten. Ab 2005 kam neues Leben in das Gebäude: Der Korbflechter und gelernte Zimmermann Emmanuel Heringer mietete sie als Gewerbefläche. In der luftigen Holzkonstruktion lagerte er seine Weiden. Trotz der sinnvollen Nutzung des historischen Gebäudes sollte es 2006 abgebrochen werden, um für rentablere Gebäude an diesem Ort Platz zu machen. Im Januar 2006 entschied sich Emmanuel Heringer, die Konstruktion Balken für Balken abzuschlagen und zu lagern. Anhand der Bundzeichen stellte er fest, dass das Gebäude ehemals länger war – es fehlten Binder I und II der Baukonstruktion. Sie wurden, als Balkenlage wiederverwertet, ausfindig gemacht. Zudem ließ sich anhand mancher Zimmermannsverbindungen in den Säulen, sowie der Ausbildung mancher Kopfbänder, darauf schließen, dass die Torfremise ehemals zweigeschossig gewesen sein könnte. Gut nummeriert lagerte Heringer die Hölzer erst einmal ein, bis ein neues Nutzungskonzept und ein neuer Bauplatz gefunden waren.

Bis er einen neuen Platz gefunden hatte, musste er mit seinem Baustofflager – immerhin 90 m³ – noch einmal umziehen.

Zuerst Translozierung, dann Transformation

Erst zwei Jahre später fand Emmanuel Heringer ein neues Grundstück, 13,5 km von Kolbermoor entfernt in Schechen bei Rosenheim. Es entsprach seinem Bedürfnis, Wohnen und Arbeiten zu verbinden. Der alte, steinerne Bahnhof in Schechen sollte zu Gewerbeflächen umgenutzt werden. Sein Toilettenhäuschen aus Holz und ein angrenzender Bauplatz standen zum Verkauf. Roswag Architekten und Guntram Jankowski planten zusammen mit den Fachplanern für Tragwerk und Lehmbau Ziegert/Seiler Ingenieure den Entwurf. Der Neubau sollte konsequent baubiologisch sein. Ab 2009 bauten sie das Holzhäuschen des Bahnhofs zu einer Werkstatt um. In die Wände integrierten sie ein Lichtband, um viel Tageslicht zum Arbeiten zu bekommen. 2011 ersetzte Emmanuel Heringer die maroden Holzteile der Torfremise unter Einsatz traditioneller Holzverbindungen und schlug das Tragwerk neben dem Häuschen wieder auf. Die Translozierung war geglückt.

Neue, helle Hölzer in der dunklen Holzkonstruktion aus freistehenden Stützen und Kopfbändern erzählen

von einer wechselvoller Geschichte. Auch die Latten

der Fassade sind teilweise erneuert, die dünne Sparverschalung auf der Westfassade ist komplett erneuert. Die Natursteine, die heute die Rampen zu den beiden Eingängen der Remise fassen, waren ursprünglich ihr Fundament.

Stahlbeton statt Aufständerung

Statt der historischen Aufständerung erhielt die Holzkonstruktion ein Fundament aus Stahlbeton. Auf dem liegt im Bereich des Neubaus eine starke Schicht Glasschaumschotter zur Dämmung. Erst dann folgt der Bodenaufbau des gedämmten Wohn- und Bürogebäudes. Das neue Gebäude löst sich konsequent von der alten Konstruktion und nutzt seine dunklen Balken als gliedernde Elemente. Als Haus im Haus steht es leicht versetzt in der historischen Konstruktion und durchdringt ihr Dach und ihre Fassade an der Gartenseite. Die schwarzen Ziegel und thermischen Kollektoren des neuen Dachs setzen sich von den roten Bestandsziegeln ab. Zum Garten schiebt sich der Neubau ins Grün und zu der kaum befahrenen Bahnlinie. Zur Straße hin bildet sich zwischen alten Latten und neuer Wand ein geschützter Vorraum. Er wird von den Bewohnern als Erweiterung des Hauses genutzt. Hinter den Latten kann man sich wie hinter einem Vorhang aufhalten. Die tiefstehende Abendsonne malt hier Schattenspiele. Das eingestellte Haus bietet zwei übereinander liegende Wohnungen und ein Büro. Eine neue Außentreppe aus Stahl erschließt die obere Wohnung. Wie die Gartentür im Weidenzaun stammt sie von der Bauherrin, die Stahlbauerin ist.

Baustoffe erlauben Diffusion und Sorption

Der Neubau im alten Ständerwerk ist eine leichte Holzkonstruktion mit Ständern aus KVH und einer Holzfaserdämmung. Für eine ausgeglichene Luftfeuchtigkeit und um ein Barackenklima zu verhindern sind die Zwischenwände mit schweren Lehmsteinen ausgemauert. Die Außenwände, die ganz ohne Folien auskommen, sind mit Lehm verputzt.

Innen sind in einem dicken Lehmputz Flächenheizungen eingebettet. Sie erzeugen warme Oberflächen, dadurch kann die Lufttemperatur einige Grade kälter bleiben. Das spart Energie. Alle Oberflächen sind diffusionsfähig, die Materialien darunter können Feuchtigkeit puffern. Wände und Decken sind mit heller Lehmfarbe gestrichen. Einzelne Flächen sind durch einen Kalkglanzputz hervorgehoben. Die Hölzer sind geölt. Die diffusionsfähige Bauweise der Außenwände sorgt mit den sorptionsfähigen Oberflächen und Wandkernen aus Lehm für eine natürliche Regulierung des Raumklimas. So wurde trotz höchstem energetischen Standard und luftdichter Ausführung der Gebäudehülle auf eine Lüftungsanlage verzichtet.

Wohnen und Arbeiten

In der Wohnung unter dem Dach entsteht durch das alte Dachtragwerk, das unter der Decke verläuft, ein asymmetrischer Raumeindruck. Auf der Straßenseite werden die alten Balken von der neuen Außenwand abgeschnitten. Kleine Fenster ermöglichen auch im Winter ein Querlüften, wenn einmal Schnee auf dem Oberlicht liegen sollte. Die Wohnung im Erdgeschoss ist über eine Terrasse und bodentiefe Fenstertüren mit dem Garten verbunden. Wohnen, Essen und Kochen gehen ineinander über. Eine große Empore macht die hohen Räume erlebbar. Auf der Nordseite schließen auf beiden Etagen Büro und Werkstatträume an die Wohnräume an. Sie sind über eine verglaste Öffnung im Boden miteinander verbunden, die das Tragwerk erlebbar macht.

Eine enorme Leistung, dass Emmanuel Heringer die historische Holzkonstruktion abgebaut, eingelagert, repariert und wieder aufgebaut hat. Der hohe Dämmstandard und die regenerative Beheizung über eine zentrale Stückholzheizung und einen thermischen Solarkollektor machen das Haus zum Vorbild für nachhaltiges Bauen. Die Fortschreibung und Umnutzung des historischen Gebäudes zeigt die Zukunftsfähigkeit historischer Holzbauten. Die verbauten Naturmaterialien Holz und Lehm ermöglichen ein komfortables, gesundes Raumklima und schützen fossile Ressourcen. Das neue Haus in der alten Remise ist zugleich minimalistisch und bietet mit seinen alten Hölzern und neuen Naturmaterialien viele sinnliche Reize.

Die Remise ist an ihrem neuen Platz angekommen. Zusammen mit dem Werkstatthäuschen, einem mächtigen Baum und einem verbindendem Weidenzaun, wirken alt und neu wie eine Einheit und als ob sie schon lange an diesem Ort stünden. Ende Juni 2016 erhielt das Büro ZRS den Fritz Bender Baupreis für die ökologische Umsetzung des Neubaus in der Torfremise. Die Fritz Bender Stiftung fördert das Bauen mit biologischen Baustoffen. Im Januar 2017 hat der Umbau der Torfremise im Wettbewerb HolzbauPlus eine lobende Erwähnung erhalten.

Autor

Achim Pilz ist freier Baufachjournalist, Architekt und Baubiologe mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit und Baubiologie. Als Redakteur betreut er die Zeitschrift Wohnen und Gesundheit (www.bau-satz.net).

Die Vorgehensweise, die Heiztechnik und die Materialien machen das Haus zum Vorbild für nachhaltiges Bauen

Bautafel (Auswahl)

Projekt Wiederaufbau und Umbau einer Torfremise zu einem Wohn- und Gewerbegebäude in 83135 Schechen, www.geflechtundraum.de

Baufamilie Stefanie und Emmanuel Heringer

Architektur, Nachhaltigkeits- und Energiekonzept Roswag Architekten mit Guntram Jankowski,

10997 Berlin, www.zrs-berlin.de

Tragwerksplanung, Fachplanung Lehmbau Ziegert/Seiler Ingenieure,

10997 Berlin, www.zrs-berlin.de

Baudaten (Auswahl)

Nutzflächen 259 m² (Wohnen, Büro – beheizt), 229 m² (Werkstatt, ­

Lager – unbeheizt)

Außenwand Innenputz Lehm 4,0 cm mit Wandheizungssystem; Außenputz Lehm (weiß) 1,5 cm; U-Wert 0,13 W/m²K

Bodenaufbau gegen Erdreich mit 57,5 cm Schaumglas gedämmt,

U-Wert 0,1 W/m²K

Holzfenster Dreifachverglasung U-Wert 1,0 W/m²K

Jahresprimärenergiebedarf 38 Prozent des EnEV Referenzgebäudes von 2009

Herstellerindex (Auswahl)

Lehmputze (innen und außen) Unterputz, Oberputz und weißer Yosima Feinputz von Claytec, www.claytec.de

Holzfaserplatten Pavatex (Außenwände), www.pavatex.de, Steico (Dach), www.steico.com

Holzfaserdämmung (eingeblasen) Steicozell, www.steico.com

Stückholzkessel ETA SH 30 Touch, 15-30 KW, 110 l Wassertasche

Schichtpufferspeicher ETA SP 2200 mit Frischwasser Modul,

Solarkollektoren Flachkolektor Citrin Solar CS 300 M, ca. 16 m²

Schaumglas Technopor, www.technopor.com

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